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Hape Kerkeling und die AfD: Niemand sieht sein Dilemma


Ein Mann und seine Mission
Niemand sieht sein Dilemma


Aktualisiert am 05.10.2024Lesedauer: 4 Min.
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Hape Kerkeling: Ist der 59-Jährige vom politischen Beobachter zum Botschafter geworden?Vergrößern des Bildes
Hape Kerkeling: Ist der 59-Jährige vom politischen Beobachter zum Botschafter geworden? (Quelle: imago stock&people)

Hape Kerkeling verkleidete sich als Rico Mielke oder parodierte klassische Musik mit dem legendären "Hurz!"-Sketch. Und jetzt? Ist er längst eine politische Größe.

Im März dieses Jahres nimmt alles seinen Anfang. Damals trifft sich t-online mit Hape Kerkeling zu einem Interview – und wenige Tage später schlägt das Ergebnis Wellen. Der Entertainer macht seinem Ärger Luft, spricht von einer "Katastrophe", weil Menschen die AfD wählen, und spricht sich eindeutig für ein Verbot der Partei aus: "Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass Faschismus jemals durch Diskussion beendet wurde", beginnt er und fügt an: "Ich höre immer nur, es wäre zu riskant, diese Partei zu verbieten. Diese Argumentation halte ich für geradezu grotesk."

Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Unzählige Interviews und Auftritte Kerkelings sind seitdem hinzugekommen. Jüngst ein Interview bei Sandra Maischberger in der ARD. Auch dort wiederholt der 59-Jährige sein Credo: "Welcher Idiot ist Mitglied in einer Partei, die teilweise rechtsradikal ist? Das kann kein wirklicher Demokrat sein", wettert der Entertainer und Buchautor dort über die AfD und ihre jüngsten Wahlerfolge in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.

Die Rückkehr des Horst Schlämmer

Ist die einst von ihm erdachte Kunstfigur Horst Schlämmer, die in ihrer Wesensart schon 2009 dem Typus des "Wutbürgers" ähnelte, auf Kerkeling selbst übergegangen? Verfolgt auch der Komiker eine politische Mission? Wird es statt der Horst-Schlämmer-Partei (HSP) bald das Bündnis-Hape-Kerkeling (BHK) geben, mit der damals so einprägsam wie humorvoll gemeinten Formel "liberal, konservativ und links"?

Vermutlich nicht. Kerkeling ist kein Politiker – und will es allem Anschein nach auch nicht werden. Der Gedanke an einen Hape Kerkeling in einem Plenarsaal oder auf einem Parteitag bleibt eine Imagination, die seiner Horst-Schlämmer-Rolle vorbehalten ist. Und doch hat sich etwas verändert. Aus dem Komiker, dem Grandseigneur der guten Laune, ist ein Mahner geworden.

Die Heiterkeit mag noch vorhanden sein, doch die Ernsthaftigkeit hat die Oberhand gewonnen. Schon vor langer Zeit hat Hape Kerkeling der Showbranche abgeschworen, seine Kostüme von Rico Mielke über Uschi Blum bis Königin Beatrix an den Nagel gehängt. Vor ziemlich genau zehn Jahren zog er sich zurück aus dem Fernsehen – und tritt seitdem als nachdenklicher Autor auf, der Lesungen gibt und eher im Hintergrund Synchronrollen spricht, statt im Scheinwerferlicht Kunstfiguren zu mimen.

Seine Autobiografie "Der Junge muss an die frische Luft" lässt bereits 2014 erahnen, was Kerkeling im Innersten umtreibt. Er wächst in einer antifaschistischen Familie auf, beherzigt die Ideale einer freien und toleranten Welt. Die Beobachtungsgabe ist seit jeher eine der obersten Fertigkeiten eines Komikers – und Hape Kerkeling ist mit ihr gesegnet, er ist ein Naturtalent. Schon als kleiner Junge spielt er seiner todkranken Mutter, die starb, als Kerkeling gerade mal acht Jahre alt war, Sketche vor. Kerkelings Material ist der Alltag im nordrhein-westfälischen Recklinghausen, und sein Vorbild ist Loriot.

Kerkeling schlüpft in Rollen, weil es ihm Spaß bereitet. Doch in ihm ist schon immer das Bedürfnis verankert, ernst genommen zu werden. Seine frühere Musik- und Literaturlehrerin am Recklinghäuser Marie-Curie-Gymnasium erinnert sich 2018 in einem "Spiegel"-Porträt an Kerkelings erste Bühnenerfahrung in der Schulaula. Er habe unbedingt die Cäsar-Rolle spielen wollen und mit so viel Ernst vorgesprochen, dass daraus eine lustige Nummer wurde. Die Lehrerin rief Kerkeling zu: "Hans-Peter, lass mal gut sein, du machst lieber die komische Rolle."


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Das Erbe meines Großvaters, der im Konzentrationslager war, sehe ich tatsächlich für mich als Verpflichtung."


Hape kerkeling


Rückblickend wirkt diese Szene wie eine Erklärung für seine Verwandlung – in die eine wie die andere Richtung. Zu Beginn seiner Karriere im WDR wird er zum Star, weil er mit Unbekümmertheit, Witz und Einfallsreichtum die Massen begeistert. Damals sieht keiner die Schattenseiten, die Gedanken eines Mannes, der mit der Oberflächlichkeit und den Eitelkeiten hinter den Kulissen hadert. Man habe ihm immer gesagt, "sei lustig, bleib deiner Linie treu", so beschreibt er das "Schuster, bleib bei deinen Leisten"-Prinzip, das ihm die Senderchefs einzubläuen versuchten. Er fühlt sich eingeengt, doch keiner sieht sein Dilemma.

Der Ernst schlummerte schon immer in ihm

Für Hape Kerkeling scheint es eine Befreiung zu sein, nun endlich keine Rollen mehr spielen zu müssen, er selbst sein zu können – und dabei seinen eigentlichen Idealen gerecht zu werden: Freiheit, Gerechtigkeit, Antifaschismus.

"Ich fühle mich verpflichtet, ja", sagt Kerkeling vor wenigen Tagen in dem Podcast "Hotel Matze". "Das Erbe meines Großvaters, der im Konzentrationslager war, sehe ich tatsächlich für mich als Verpflichtung." Die Geschichte ist bekannt: Kerkelings Großvater wird als Widerständler von den Nazis verhaftet, überlebt das KZ Buchenwald und wirkt auf seinen Enkel später wie ein gebrochener Mann, der mundtot gemacht wurde.

Heute ist er Kerkelings Vorbild in Sachen Haltung und Überlebenskunst. Was sein Großvater ihn gelehrt habe, was für eine Verpflichtung daraus entsteht, fragt ihn der Podcaster Matze Hielscher: "Seine Meinung zu sagen und immer, an jeder Stelle, auch da, wo es unbequem wird, für Freiheit, für Toleranz, für Demokratie einzutreten", antwortet Kerkeling.

"Es droht uns die Demokratie wegzubrechen, es erodiert. Und immer mehr Menschen zweifeln nicht nur an den demokratischen Parteien, sie zweifeln an dem System. Wir sind an einen Punkt gekommen, wo das bedrohliche Ausmaße annimmt, und dagegen muss man ganz klar seine Stimme erheben", zeigt sich Kerkeling kämpferisch wie schon zu Beginn des Jahres, als er t-online sagt: "So riskant war die Situation noch nie. Warum versuchen wir nicht, die Partei zu verbieten? Wenn ich höre, es stärke die Rechten, und das aus dem Munde studierter Juristen, ist das verrückt. Diese Hasenfüßigkeit macht mir Angst."

CDU, SPD und Co. wollen Verbotsantrag stellen

Der Unterschied zu damals: Kerkelings stürmische Entrüstung verhallt nun nicht mehr in medialen Echokammern. Ein AfD-Verbotsverfahren ist so wahrscheinlich wie noch nie. Abgeordnete aus mehreren Parteien wollen einen Verbotsantrag stellen. CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke haben sich versammelt, um der aus ihrer Sicht verfassungsfeindlichen Alternative für Deutschland Paroli zu bieten.

Kerkelings Mission trägt Früchte. Der Komiker ist zu einer politisch relevanten Größe geworden – und womöglich gar zu einem Mann, der seinem Lebenswerk noch kurz vor seinem 60. Geburtstag eine demokratische Errungenschaft hinzufügen kann.

Künstler, die für ihre politischen Ideale ihre Stimme erheben, sind längst keine Selbstverständlichkeit mehr in diesem Land. So schließt sich der Kreis des so wandlungsfähigen Kerkeling: Besonders war er schon als Spaßmacher, besonders bleibt er nun auch als politischer Kommentator.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
  • Interview mit Hape Kerkeling aus dem März 2024
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