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Ulrich Matthes im Interview: "Freundliches Gesprächsangebot reicht nicht mehr"


Ulrich Matthes
"Ein freundliches Gesprächsangebot reicht nicht mehr"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 01.10.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Ulrich Matthes: Hier ist der Präsident der Filmakademie auf der Bühne bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2019 in Berlin.Vergrößern des Bildes
Ulrich Matthes: Hier ist der Präsident der Filmakademie auf der Bühne bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises 2019 in Berlin. (Quelle: Eventpress/Fuhr/Deutsche Filmakademie/imago-images-bilder)

Seine Stimme hat Gewicht: Ulrich Matthes ist der Präsident der Deutschen Filmakademie – und in der Branche geachtet. Jetzt spricht der 62-Jährige über das, was sich beim deutschen Film ändern muss.

Am kommenden Freitag wird es spannend. Nicht nur, weil mit dem Deutschen Filmpreis in Berlin die renommierteste Kino-Trophäe des Landes vergeben wird. Der 1. Oktober wird auch zeigen, wie gespalten die Filmbranche nach der Corona-Krise und einer Aktion wie "Alles dicht machen" ist. Haben sich die zwei Parteien wieder versöhnt – oder werden die Gräben bei der Verleihung sichtbar?

Ulrich Matthes hat die neuesten Entwicklungen um die Fortsetzung "Alles auf den Tisch" noch nicht registriert. Als wir ihn am Donnerstag um 13.30 Uhr am Telefon erreichen, ist er geschockt ob der neuen Videos von Volker Bruch, Wotan Wilke Möhring und Co. – und möchte dies nicht kommentieren. Er verweist auf unser Interview, das wir bereits vorab geführt haben und erklärt: "Meine Meinung in der Sache hat sich nicht geändert".

t-online: Wie politisch ist der Filmpreis, Herr Matthes?

Ulrich Matthes: Der Filmpreis ist selbstverständlich politisch, weil die Zeit einen dazu auffordert.

Wozu fordert die Zeit uns auf?

Sich politisch zu ihr zu verhalten. Dass dieser Jahrgang ein politischer geworden ist, ist auch Ausdruck der Brisanz der Zeit, in der wir leben.

Was genau ist politisch brisant in dieser Zeit?

Natürlich die Klimakrise und ich halte den Rechtspopulismus weltweit für eine außerordentliche Bedrohung. Es kann passieren, dass bei der nächsten Wahl in Frankreich, unserem größten Nachbarn und einem wichtigen Land Europas, eine Rechtspopulistin zur Präsidentin gewählt wird. Ich mag mir nicht ausmalen, was das für Europa und den europäischen Gedanken, an den ich leidenschaftlich glaube, hieße.

Richten wir den Blick auf Deutschland. Was bereitet Ihnen hierzulande am meisten Sorgen?

Über die AfD habe ich mich schon so oft geäußert. Im Grunde habe ich keine Lust mehr, dazu noch etwas zu sagen. Aber selbstverständlich ist der Rechtspopulismus auch in unserem Land eine große Bedrohung. Zum Glück ist es in Deutschland noch nicht so schlimm wie in den USA.

Donald Trump ist nicht mehr an der Macht, gefällt Ihnen das nicht?

Doch, zum Glück ist er weg. Aber in den USA stehen sich die Demokraten, die Republikaner und die Personen, die sie jeweils unterstützen, auch nach seiner Abwahl mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber. Das geht ja so weit, dass man meint, als Republikaner die Masken ablehnen zu müssen. Die amerikanischen Entwicklungen illustrieren sehr anschaulich, was eine Gesellschaft innerhalb von wenigen Jahrzehnten erodieren lässt.

Auch Ihre Filmbranche wurde zuletzt heftig erschüttert, eine Spaltung wurde sichtbar. Wie erschreckend war es für Sie als Präsident der Deutschen Filmakademie, die Ereignisse um "Alles dicht machen" zu beobachten?

Erschreckend ist ein zu großes Wort. Ich habe mich da deutlich positioniert, ich fand diese Aktion falsch und unverständlich. Dennoch ist es mir schwergefallen, mich derart deutlich zu äußern. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich das sowohl als Präsident der Filmakademie als auch als privater Ulrich Matthes machen musste.

Warum ist das alles dann trotzdem derart aus dem Ruder gelaufen?

Die Virtualität der sozialen Medien hat dazu beigetragen, dass man keine direkten Reaktionen mehr gewohnt ist. Man schaut auf die Tasten statt in menschliche Gesichter. Man schickt etwas in den virtuellen Raum, und Corona hat diese distanzierte Kommunikation noch verstärkt.

Gibt es ganz konkrete Auswirkungen von "Alles dicht machen"? Gräben, die noch nicht wieder zugeschüttet sind?

Viele derjenigen, die da mitgemacht haben, haben ihre Videos zurückgezogen, manche waren vielleicht etwas gedankenlos. Aber dann gibt es auch manche, die da ideologisch dahinterstehen. Ich bedaure das. Ich halte von allgemeinem Politiker-Bashing gar nichts.

Es gab auch viele andere Stars, die beklagt haben, dass die Kultur lange Zeit stiefmütterlich behandelt wurde. Nur: Die Art und Weise war eine andere. Wie stellt sich das Mehrheitsverhältnis diesbezüglich bei Ihnen in der Filmakademie dar?

Ich glaube, dass es eine überwältigende Anzahl von Mitgliedern der deutschen Filmakademie gibt, die "Alles dicht machen" für nicht sehr geglückt hielt. Wenn es immer noch einzelne Leute gibt, die daran festhalten, dann kann ich das nicht ändern. Es gab viele Äußerungen während der Corona-Krise, was die Rolle der Kultur anging, auch von mir. Aber "Alles dicht machen" hatte eine etwas übertriebene Prominenz dadurch, dass es 53 teils sehr prominente Kolleginnen und Kollegen waren.

Wie kann das besser werden in Zukunft? Dass die Branche gar nicht erst in solch eine Spaltung hineinrutscht?

Meine Hoffnung ist, dass uns durch Corona und auch nach Corona eine Art solidarischer Grundgedanke wieder verbindet. Jeder trägt dazu bei, dass ein Film ein besonderer Film wird. Das ist auch das Anliegen des Deutschen Filmpreises, dass wir uns unterhaken und sagen: "Mensch, wir kriegen es doch nur gemeinsam hin!"

Kann die Verleihung des Filmpreises am 1. Oktober die Branche wieder zusammenbringen?

Unbedingt! Wir wollten alle eine Präsenzveranstaltung. Indem wir gemeinsam das deutsche Kino, den deutschen Film und die wirklich gebeutelte Kinobranche im Saal versammeln. Wir haben trotz der Krise, mit allen Depressionen und Verzweiflungen, die damit einhergingen, ein Kinosterben abwenden können.

Das klingt nach einem Moment des Aufbruchs.

Ja, dieser 1. Oktober ist ein Signal sowohl nach innen als auch nach außen, dass es uns gibt. Wir haben tolle Leistungen von Kolleginnen und Kollegen zu feiern. Und jetzt heißt es: "Liebe Leute, geht ins Kino!"

Genau dort werden die Menschen sehr unterschiedliche Filme zu sehen bekommen. Ihnen war es persönlich schon immer wichtig, sowohl Mainstream- als auch Arthouse-Produktionen zu feiern: U und E miteinander zu verbinden. Wieso?

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Grundsätzlich ist das immer schon mein Anliegen gewesen – auch schon bevor ich Präsident der Filmakademie wurde. Ich möchte diesen Hochmut auf beiden Seiten etwas herunterdimmen. Der Mainstream hat genauso sein Publikum verdient wie der kleine feine Arthouse-Film. Ich selbst bin weder Verächter des Mainstreams noch ein ausschließlicher Bewunderer des Arthouse. Ich schaue mir manchmal genauso gerne einen Blockbuster an wie einen kleinen spröden Arthouse-Film, den außer mir vielleicht noch 2.847 Leute gesehen haben. Deswegen war es mein Anliegen als Präsident der Filmakademie, das auch öffentlich so zu verkünden und zu sagen: "Leute, rüstet auf beiden Seiten diesen Hochmut ab. Seid neugierig und erkennt die Leistung der anderen Seite an."

Was haben Sie als Präsident der Deutschen Filmakademie erreicht und wo sehen Sie noch Nachholbedarf?

Ich bin angetreten mit dem Bemühen, das politische Bewusstsein etwas zu schärfen. Was ich wirklich bedaure, ist, dass ich aufgrund der Corona-Lage viel weniger ins persönliche Gespräch mit den Mitgliedern der Akademie kommen konnte. Es fielen viele Veranstaltungen weg und natürlich kommt man im direkten Gespräch, wenn man zusammensitzt, sich streitet und Meinungen austauscht, einfach besser zusammen. Dazu ist die Filmakademie ja da. Der Austausch ist ein wesentlicher Bestandteil, um empathischer füreinander zu werden. Das hat meine Zeit als Akademiepräsident, diese zweieinhalb Jahre, doch sehr kompliziert und deutlich schwieriger gemacht, als ich mir das erhofft und vorgestellt hatte.

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Sie haben kürzlich bei der Kampagne "Act Out" mitgemacht und sich für Diversität ausgesprochen. Ist der deutsche Film in Sachen Repräsentation von Minderheiten da, wo er sein muss?

Ich halte es für völlig selbstverständlich, sich für Diversität einzusetzen. Als ich gefragt wurde ob ich bei "Act Out" mitmachen will, habe ich allerdings zuerst abgelehnt.

Sie haben es sich offenbar anders überlegt.

Mein erster Gedanke war: Ich bin schon so lange dabei und meine Sexualität geht doch niemanden etwas an. Dann habe ich noch mal darüber nachgedacht und erkannt: Das ist Quatsch. Wenn ich einem Youngster damit behilflich sein kann, dass da der Name eines prominenten Menschen dabei ist, dann setze ich meinen Namen auch darunter.

Meine Anfangsfrage haben Sie damit dennoch nicht beantwortet. Ist der deutsche Film divers genug?

Leider gibt es auch in unserer vermeintlich so toleranten Filmbranche immer noch Vorurteile. Also: Nein, wir sind noch nicht da, wo wir sein müssten. Insofern war die "Act Out"-Aktion richtig und wichtig. Aber Diversität gilt nicht nur für die LGBTQ+-Community, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund und für People of Colour. Ich halte es für selbstverständlich, im Jahre 2021 diverser zu werden. Die ganze Gesellschaft wird diverser.

Auch viele Frauen beklagen immer wieder, dass sie es nicht leicht haben im Filmgeschäft. Würde ihnen eine Quote helfen?

Ja, ich bin inzwischen ein Anhänger der Frauenquote.

"Inzwischen", sagen Sie. Das war mal anders? Wieso?

Früher dachte ich, was die Position der Frau angeht, sowohl in der Filmbranche wie in der ganzen Gesellschaft: Qualität setzt sich durch. Aber offenbar ist die Beharrlichkeit bei den Männern und den männlichen Netzwerken so groß, dass die Frauen nicht nach vorne gekommen sind. Also: Obwohl ich ein Mann bin, bin ich dafür, dass es, egal in welchen Bereichen, Quoten für Frauen geben sollte.

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Also waren all die Versprechen und vollmundigen Ankündigungen von der Gleichberechtigung im Film nichts weiter als Lippenbekenntnisse?

Ich glaube einfach, ein freundliches Gesprächsangebot reicht nicht mehr. Wir brauchen eine Quote, anders wird es zu keinem signifikanten Wandel kommen.

Dabei geht es auch um Altersdiskriminierung. Frauen in Ihrem Alter – Sie sind jetzt 62 Jahre alt, Herr Matthes – bekommen nachweislich weniger Rollen angeboten. Kennen Sie das Problem auch?

Ich könnte flapsig sagen, es könnten immer noch mehr Angebote sein ... Aber Spaß beiseite: Dieser Umstand wird immer wieder von Frauen über 50 beklagt, und das ist traurig. Wir Männer sind da besser dran. Das ist ein Muster, das wahnsinnig kompliziert zu durchbrechen ist. Es gibt für Frauen über 50, so sagen es mir Kolleginnen, immer weniger Rollen als für Männer über 50. Das ist bedauerlicherweise beim Film und am Theater so. Es braucht einen Bewusstseinswandel, denn wir haben viele wunderbare Schauspielerinnen über 50.

Ich würde sogar so weit gehen und sagen: Diese fantastischen Frauen werden nicht schlechter im Alter, ganz im Gegenteil.

So sehe ich das auch. Wir müssen offener werden, das gilt für alle Bereiche. Ich nehme es mir selbst vor und es ist auch mein Appell an die Leserinnen und Leser: Es macht Spaß, im Laufe der Jahre immer ein bisschen offener zu werden gegenüber allem Möglichen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ulrich Matthes
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