"Tagesschau"-Sprecher zieht Reißleine Eine Eskalation mit Ansage
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vom Grimmepreisträger zum Geächteten? Constantin Schreiber beklagt, für seine Thesen angefeindet zu werden. Sein Rückzug ist nun Folge einer Eskalationsspirale.
Constantin Schreiber will nicht mehr über den Islam sprechen. Nach einer Attacke auf ihn in einer Universität und einer verstörenden Taxifahrt zieht er die Reißleine. Das bekannte Gesicht aus der Hauptausgabe der "Tagesschau" beugt sich seinen Kritikern? So wird der Entschluss des 44-Jährigen jetzt vielerorts interpretiert. Doch es lohnt, in dieser Angelegenheit ein paar Jahre zurückzublicken.
"Mir war schon klar, dass es heftige Reaktionen geben würde. Die muss man dann aushalten", sagt Constantin Schreiber noch 2018 in einem Interview mit der "Zeit". Schon damals gerät der "Tagesschau"-Sprecher in die Kritik: Sein Buch "Inside Islam" verzerre die Wirklichkeit, Schreibers Darstellungen seien tendenziös. Schreiber hatte 13 Freitagspredigten übersetzen lassen, in einem Buch zusammengefasst und bewertet. Der Tenor: Predigten in deutschen Moscheen seien demokratiefeindlich, propagierten eine religiös-konservative Weltanschauung – und stünden deshalb im krassen Gegensatz zur freiheitlichen Grundordnung Deutschlands.
Laut dem Islamexperten Rauf Ceylan suggeriere der ARD-Journalist damit, Moscheen seien "ein Thema, das sich niemand anzufassen traut. Das ist nicht richtig". Vielmehr hätten die dafür befragten Imame nichts versteckt und seien sehr offen gewesen. Eine andersartige Vermarktung des Buches sei "nicht seriös". Ceylan wirft Schreiber grobe Verallgemeinerungen sowie falsche Interpretationen von Predigtstellen vor.
Eine Chronologie wachsender Kritik
Andere schließen sich der Kritik an, so der "Taz"-Journalist Daniel Bax. Demnach widmete sich Constantin Schreiber den Moscheen, als habe er "einem vermeintlich wilden und gefährlichen Indianerstamm" nachgespürt. Zudem prangert Bax in dem Buch fehlende Sorgfalt und Sachkenntnis an. Auch andere Fachrichtungen äußern Bedenken. So zweifelt ein früherer Mitarbeiter des Hamburger Verfassungsschutzes, dass die in "Inside Islam" geschilderte Gefahr, die von Moscheen ausginge, realistisch sei – und beschuldigt Constantin Schreiber, zu übertreiben.
Unsaubere Arbeit? Ein sensationalistischer Stil? Alarmismus? Constantin Schreiber steht plötzlich als islamophob da und wehrt sich gegen diese Anschuldigungen. Er habe ein gutes Dutzend Moscheen besucht, Predigten verfolgt, mit Imamen gesprochen und sauber recherchiert. Er erhebe keinen Anspruch auf Repräsentativität. "So wie ich als Journalist eine Reportage über das Zugfahren schreiben kann, ohne in jedem Zug gesessen zu haben, kann ich eine Reportage über Moscheen in Deutschland schreiben, ohne in allen gewesen zu sein", sagt er der "Zeit" in dem Gespräch vor fünf Jahren.
Seitdem ist viel passiert. Schreiber veröffentlicht zwei weitere umstrittene Werke: "Kinder des Koran. Was muslimische Schüler lernen" erscheint 2019 und "Die Kandidatin", welches stark an Michel Houellebecqs Buch "Unterwerfung" erinnert, zwei Jahre später. Unter anderem der Islamwissenschaftler Stefan Weidner nennt "Die Kandidatin" ein "reaktionäres Manifest", andere Kritiker sprechen sogar von einem "politischen Hasspamphlet".
In dem Roman hatte Constantin Schreiber eine Zukunftsvision von Deutschland entworfen, in der eine muslimische Frau kurz davor steht, die nächste Bundeskanzlerin zu werden. Eine schleichende Islamisierung im Land wird skizziert.
Schreiber antwortet auch auf diese Kritiken. "Die Kandidatin" sei ein "dystopischer Entwurf". Er wolle damit aufzeigen, "was passieren kann, wenn eine Gesellschaft in viele Teile zerbricht". Mit dem "Instrument des Sachbuchs" komme man nicht weiter. Außerdem gehe es ihm in seinem Buch auch um die Gefahr des Rechtsextremismus in Form der versuchten Ermordung der Protagonistin. Bereits vor Veröffentlichung des Werkes gibt Constantin Schreiber an, einiges "überzeichnet" zu haben und auch "satirische Ansätze" zu verwenden.
Doch all das hilft nichts. Der "Tagesschau"-Sprecher gilt vielen Menschen fortan als Islamkritiker, als jemand, der einer ganzen Religionsgruppe vorwerfe, nicht integrierbar zu sein. Anfeindungen in sozialen Medien folgen – und schließlich Eskalationen, die in den Alltag des 44-Jährigen hineinreichen. Ein bedrohlicher Taxifahrer, eine Tortenattacke und die Androhung, ein Seminar mit Schreiber zu "sprengen", wie er es selbst ausdrückt.
"Diese Negativität" in Constantin Schreibers Leben
Er zieht die Reißleine: "Ich werde mich zu allem, was mit dem Islam auch nur im Entferntesten zu tun hat, nicht mehr äußern." Constantin Schreiber bedauert das nach eigener Aussage, erneut ist es die "Zeit", die ihn interviewt: "Ich war mal Jurist, bin dann in den Journalismus gegangen, weil ich Spaß an Debatten hatte. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ich irgendwann in Diskussionen hineingezogen werde, die so toxisch sind, dass sie dann auch ins wirkliche Leben schwappen."
Ein Wandel in fünf Jahren: Erst beteuert Schreiber, man müsse Kritik "aushalten", nun zieht er Konsequenzen und erklärt, er wolle "diese Negativität" in seinem Leben nicht. Dabei fing alles so anders an. Schreiber, der als Jugendlicher bei einer Gastfamilie in Syrien Arabisch lernte, galt mal als ein Gesicht der Willkommenskultur – und vor allem als ein profunder Kenner der arabischen Welt.
Er arbeitete unter anderem für eine libanesische Tageszeitung und einen ägyptischen TV-Sender, sammelte Arbeitserfahrungen in Nahost und Nordafrika, war Korrespondent der Deutschen Welle in Dubai, dokumentierte Flüchtlingskatastrophen im Tschad und vor den Komoren. Im Jahr 2015 der erste Paukenschlag: Constantin Schreiber versammelt die in Saudi-Arabien verbotenen Texte des saudischen Bloggers Raif Badawi zu dem Erfolgsbuch "1.000 Peitschenhiebe. Weil ich sage, was ich denke".
Damals hetzten noch die Rechten gegen Schreiber
Ein Jahr später gewinnt der damals noch für den Nachrichtensender n-tv tätige Journalist einen Grimmepreis – Deutschlands renommierteste TV-Trophäe. Seine Serie für Flüchtlinge, "Marhaba – Ankommen in Deutschland", soll den Menschen, die neu ins Land kommen, den Zugang erleichtern. Schreiber erklärt in arabischer Sprache den deutschen Alltag, klärt über Klischees auf, gibt Tipps zur Integration.
Damals sagt er: "Weil ich als Deutscher auf Arabisch manche Themen erläutere oder auch mit einem Augenzwinkern aufgreife, hoffen wir, dass wir damit auch auf der anderen Seite den Willen stärken, sich zu öffnen, sich auf unser Land einzulassen." Damals gibt es ebenso Kritik an ihm – allerdings von anderer Seite. Er wird zum Feindbild der Rechten. Rund acht Jahre später ist davon keine Spur mehr zu erkennen, ganz im Gegenteil. Und eine Stimme des Islam in Deutschland, ob kritisch, sachlich oder umstritten, ist verstummt.
- zeit.de: "'Jetzt weiß ich, wo du wohnst'" (kostenpflichtig)
- ntv.de: "'Man muss die Menschen direkt ansprechen'"
- zeit.de: "Und schon gilt man als islamophob!"