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TV-Tipp: Colonia Dignidad - Aus dem Innern einer deutschen Sekte


TV-Tipp
Colonia Dignidad - Aus dem Innern einer deutschen Sekte

Von dpa
16.03.2020Lesedauer: 3 Min.
Paul Schäfer (Mitte) mit Kindern in Heide ca.Vergrößern des BildesPaul Schäfer (Mitte) mit Kindern in Heide ca. 1960. (Quelle: WDR/LOOKSfilm/WDR Kommunikation/Redaktion Bild/dpa./dpa)
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Berlin (dpa) - Hinter der Fassade eines deutschen Musterdorfes herrschten Terror, Angst, Folter und massenhafter Kindesmissbrauch: Die deutsche Sektengruppe "Colonia Dignidad" ("Kolonie der Würde") konnte sich an einem abgelegenen Ort im südamerikanischen Chile über vier Jahrzehnte halten. 300 Siedler waren ihrem Anführer Paul Schäfer in den 60ern ans Ende der Welt gefolgt, viele waren Kinder.

Was diese Menschen alles zu erdulden und ertragen hatten und wie der Laienprediger Schäfer sie unter seine Kontrolle bekam, zeigt die eindrucksvolle TV-Dokumentation "Colonia Dignidad - Aus dem Innern einer deutschen Sekte". Das Erste bringt sie an zwei Abenden, an diesem Montag und eine Woche später, jeweils um 22.45 Uhr. Frühere Mitglieder erzählen erstmals vor der Kamera von ihren traumatisierenden Erlebnissen. Der Film zeigt dazu in einer nie dagewesenen Fülle Filmmaterial aus der Siedlung.

Der dynamische Jugendpfleger Schäfer hatte schon in Deutschland verunsicherte junge Menschen der Nachkriegszeit um sich geschart. Auch Kurt Schnellenkamp war von seinen Predigten fasziniert und folgte ihm: "Es war, als ob ein Wind käme - alles weggefegt und da wäre keine Dunkelheit mehr." Ex-Colonia-Mitglied Robert Matthusen erinnert sich: "Für mich war klar: Der Mann ist eine gottähnliche Figur." Sein Leidensgenosse Willi Malessa, vom Sektenführer als Kind missbraucht, bringt es dann ganz deutlich auf den Punkt: "Er war der Teufel über Jahre, Jahrzehnte."

Die Siedler, die Schäfer nach ersten Missbrauchsermittlungen der deutschen Justiz nach Chile geholt hatte, mussten aus dem Nichts im Wald ein Dorf errichten und lebten völlig abgeschottet von der Außenwelt. Sie hatten kein Radio, kein Fernsehen, keine Zeitung. Weihnachten oder Geburtstage wurden abgeschafft. Viele wussten nicht einmal, wie alt sie waren. "In der Kolonie stand die Zeit still. 40 Jahre lang", heißt es in der Doku treffend.

Regisseurin Annette Baumeister hatte bei den Dreharbeiten das Problem, dass den Siedlern, denen man unter Schäfer die Uhren und Kalender abgenommen hatte, oft jedes Gefühl für Zeit fehlte. "Es gab keine Unterscheidung, ob etwas 1988 oder 1973 geschah, weil es keine Möglichkeit zum Strukturieren gab." Das Leben sei für die abgeschotteten Bewohner über Jahrzehnte täglich einförmig gewesen.

Die fast vierstündige Doku ist eine einzigartige visuelle Darstellung des Sektenalltags. Die Aufnahmen waren als Propagandamaterial gefilmt worden. Den Siedlern selbst waren private Fotos und Videos untersagt. Die Macher der Dokumentation wollen ihr Material zum Grundstock eines Archivs der früheren Sektensiedlung machen. "Man muss wissen: Es gibt ja keine Fotoalben. Viele haben gar keine Bilder von sich als Kind", sagt Baumeister.

"In den ganzen 43 Jahren wurde von unserer Familie zwei Mal ein Familienfoto gemacht mit Erfragen um Erlaubnis bei Paul Schäfer", so Ex-Mitglied Esther Müller. "Einzelne Aufnahmen von mir als Kind, als Jugendliche hab ich kein einziges."

Die "Colonia Dignidad" war 1961 rund 350 Kilometer südlich von Santiago de Chile von deutschen Auswanderern aus Siegburg bei Bonn gegründet worden. In der Kolonie kam es unter dem 2010 gestorbenen Sektenführer Schäfer jahrzehntelang zu Folter, Zwangsarbeit und Kindesmissbrauch - in enger Verstrickung mit Chiles Junta. Später benannte sich die Siedlung in "Villa Baviera" um und sagte sich von Schäfer los, der 2006 wegen Kindesmissbrauchs in Chile zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war.

So ungewöhnlich die Geschichte der Kolonie, so ungewöhnlich ist auch die Entstehungsgeschichte der Doku. "Ich habe vor etwa fünf Jahren einen Anruf aus Santiago de Chile bekommen", sagt Produzent Gunnar Dedio. Ein chilenischer Filmemacher sei an einen "ganzen Lieferwagen mit Archivmaterial" geraten. "Das Material war zu dem Zeitpunkt frisch aus der Erde gehoben. Es war vergraben. Es war verschimmelt, vergammelt, verrottet." Das Restaurieren sei ein Kraftakt gewesen. "Und dann war das halt so viel Material - über 400 Stunden, über 9000 Fotos." Drei Jahre habe allein das Katalogisieren gedauert.

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