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Darum sterben so viele Radler auf deutschen StraĂen
Der Verkehr wird sicherer, die Autos schlauer, die Opfer weniger. Nur die Zahl der getöteten Radfahrer bleibt konstant. Woran liegt das? Ein Experte erklĂ€rt die GrĂŒnde â und nennt mögliche Auswege.
Immer weniger Verkehrstote â aber Radfahrer leben nach wie vor sehr gefĂ€hrlich auf Deutschlands StraĂen. Die Zahl der Todesopfer sinkt seit Jahren, die Zahl der getöteten Radfahrer jedoch nicht. Das zeigen die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts. Die GrĂŒnde sind vielfĂ€ltig, zu ihnen zĂ€hlt die Verbreitung des Elektrofahrrads. Gerade Ă€ltere Radfahrer verunglĂŒcken immer hĂ€ufiger mit ihrem E-Bike.
- Das Leid der FuĂgĂ€nger: Das letzte Glied in der Verkehrshackordnung
- Licht, Promille, EinbahnstraĂe: Die wichtigsten BuĂgelder fĂŒr Fahrradfahrer
- GroĂer Ăberblick: FĂŒr wen sich das E-Bike eignet â und fĂŒr wen nicht
Experten kritisieren aber vor allem die mangelnde Sicherheit fĂŒr Radfahrer auf deutschen StraĂen. Immer wieder verweisen sie auf unsere NachbarlĂ€nder DĂ€nemark und die Niederlande. StĂ€dte wie Kopenhagen gelten weltweit als Vorbild beim Schutz ihrer Radfahrer. Was machen sie besser als deutsche StĂ€dte? Das erklĂ€rt Heinrich StröĂenreuther, Verkehrsexperte und Sprecher der Initiative Clevere StĂ€dte, die sich unter anderem fĂŒr eine moderne Verkehrs- und Umweltpolitik engagiert.
t-online.de: StÀdte wie Amsterdam (Niederlande) und Kopenhagen in DÀnemark gelten als Vorreiter einer modernen und radfahrergerechten Verkehrsplanung. Zu Recht?
Heinrich StröĂenreuter: Ja. Denn dort spielt seit Jahrzehnten der Radfahrer in der Verkehrsplanung eine groĂe Rolle. Auch von Schweden kann man viel lernen. Dort wurde das Programm "Vision Zero" entwickelt. Es soll ein systematischer Lern- und Verbesserungsprozess sei. Der Name beschreibt das Ziel, die Zahl der getöteten Radfahrer auf null zu senken. Man akzeptiert dabei natĂŒrlich, dass Fehler nicht komplett vermeidbar sind â aber sie sollen nicht zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen fĂŒhren.
Wie wollen die Schweden das schaffen?
Durch einen ganzen Katalog weitreichender MaĂnahmen bis hin zum Ampel- und Kreuzungsdesign. Man kann zum Beispiel eine Kreuzung so gestalten, dass Autofahrer gar nicht zu schnell abbiegen können. Etwa durch Poller oder FuĂgĂ€ngerinseln. So haben sie automatisch die Möglichkeit zu mehr Umsicht. Und nutzen sie auch. Oder die sogenannte Differenzgeschwindigkeit: Ein Zusammenprall eines 50 km/h schnellen Autos mit einem 20 km/h schnellen Radfahrer geht anders aus, als wenn das Auto nur Tempo 30 fĂ€hrt.
Tempo 30 in der ganzen Stadt wird bei uns immer wieder diskutiert â und abgelehnt. Immerhin sollen Lkw-Fahrer durch Abbiege-Assistenten unterstĂŒtzt werden.
Sie werden aber nicht zur Vorschrift. Das könnte nur die EU durchsetzen, und das braucht noch einmal fĂŒnf Jahre. Man könnte trotzdem energischer darauf einwirken, dass der Assistent schnell in jedes Fahrerhaus einzieht. Da gĂ€be es genĂŒgend Möglichkeiten. Auch ĂŒber die Lenkzeiten muss man nachdenken: Wenn Lkw-Fahrer immer gehetzter sind, fahren sie "fahr-lĂ€ssiger", also vorsĂ€tzlich riskanter. Auch an Kreuzungen, was wiederum die Radfahrer gefĂ€hrdet. Den berĂŒhmten toten Winkel gibt es nicht, auch nicht in einem Lkw. Es gibt nur zu wenig Umsicht.
Was ja auch hÀrter bestraft werden könnte.
Die Strafen des BuĂgeldkatalogs Ă€rgern zwar den Autofahrer. Aber sie Ă€ndern nicht sein Verhalten. Falschparken etwa, was sehr gefĂ€hrlich ist fĂŒr Radfahrer, kostet in Deutschland 15 Euro. Das tut kaum einem Autofahrer wirklich weh. Im EU-Durchschnitt zahlt man dafĂŒr 100 Euro. DarĂŒber denkt man schon nach. Und Ă€ndert dann sein Verhalten.
Und das macht eine Auto-Stadt zur Radfahrer-Stadt?
Es ist ein Schritt auf dem Weg dorthin. Denn so entsteht in den VorbildlĂ€ndern und -stĂ€dten wie Kopenhagen ein befriedetes Verkehrssystem, das die Infrastruktur und auch die Autofahrer einschlieĂt: Sie versuchen, auch aus eigenem Interesse, aktiv UnfĂ€lle zu verhindern â etwa, indem sie schon mal nicht mehr falsch parken.
Das ging aber sicherlich nicht von jetzt auf gleich?
Nein, das alles basiert auf einem Umdenken, das vor 30 bis 40 Jahren begann. Damals wurden in Amsterdam wie auch in Kopenhagen Autobahnen durch Innenstadtviertel geplant. Erst der Protest der Anwohner fĂŒhrte zu einer neuen Politik, die nicht mehr gegen die Interessen der Bewohner betrieben wurde.
Bemerken Sie dieses Umdenken auch in Deutschland?
Es ist erst seit kurzem zu bemerken. Ein Vorreiter ist Berlin mit dem Volksentscheid Fahrrad.
Die MusterstÀdte haben also einen gewaltigen Zeitvorsprung. Wie schnell könnte man ihn aufholen?
Das ist eine Frage des Willens. Berlin zum Beispiel will sich in den kommenden zehn Jahren eine sichere, attraktive Rad-Infrastruktur geben. Das kann gelingen. Was natĂŒrlich auch am Budget hĂ€ngt. Aber auch hier sehen wir â zumindest in Berlin â ein Umdenken: Noch vor kurzem flossen pro Einwohner weniger als vier Euro pro Jahr in die Rad-Infrastruktur. Selbst das Verkehrsministerium empfiehlt einen deutlich höheren Wert. KĂŒnftig werden es in Berlin mehr als 15 Euro sein. Das ist zwar deutlich weniger als zum Beispiel in Kopenhagen. Aber wiederum deutlich mehr als in fast jeder anderen deutschen Stadt.
Woran liegt das? Wir werden doch immer mehr Radfahrer.
Der Radfahrer hat eine schwache Lobby. Das hat viele GrĂŒnde. Sicherer Radverkehr braucht Platz, zum Beispiel sollte ein moderner Radweg drei Meter breit sein. Das ist eine Fahrbahnspur. Sie wĂŒrde den Autofahrern fehlen, wird behauptet. Deshalb trauten sich da bisher Politiker nicht ran. Dann sind da die Lobbyisten der Beton- und Asphalthersteller, ganz zu schweigen von der Auto-Lobby. Und obendrein der ADAC: Er protegiert seit Jahren Tempo 50 in den StĂ€dten und verteidigt ParkplĂ€tze gegen Radwege.
Herr StröĂenreuter, vielen Dank fĂŒr das GesprĂ€ch.
Das fordert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC)
ADFC-Sprecherin Stephanie Krone: "Autofahrer profitieren von immer besseren elektronischen Sicherheitssystemen und immer mehr Stahl â Radfahrerinnen und Radfahrer nicht. Im Gegenteil, die völlig unterdimensionierte Rad-Infrastruktur und fehlende Assistenzsysteme speziell zum Schutz von Radfahrenden bringt sie mehr und mehr in Gefahr. Wir brauchen jetzt breite, geschĂŒtzte Radwege und Kreuzungen und durchgĂ€ngige Radwegenetze wie in den Niederlanden. AuĂerdem intelligente Ampelschaltungen und verpflichtende Fahrassistenzsysteme wie Turn Assist, Active Brake Assist und ISA. Alle Welt redet ĂŒber autonomes Fahren. Wir sagen: Ein intelligentes Auto, ein intelligenter Lkw warnt vor Radfahrern und FuĂgĂ€ngern im schwer einsehbaren Bereich â und fĂŒhrt im Ernstfall eine Notbremsung durch. Und ein intelligentes Auto hĂ€lt automatisch die korrekte Geschwindigkeit ein. Solche Systeme brauchen wir serienmĂ€Ăig in allen Kraftfahrzeugen."