t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeMobilitätAktuelles

Experte erklärt: Darum sterben so viele Radfahrer auf deutschen Straßen


Verkehrsexperte
Darum sterben so viele Radler auf deutschen Straßen

InterviewVon Markus Abrahamczyk

Aktualisiert am 12.07.2018Lesedauer: 4 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Player wird geladen
382 Tote in 2017: Die Zahl der tödlichen Fahrrad-Unfälle in Deutschland bleibt konstant hoch. (Quelle: stroeer-video)

Der Verkehr wird sicherer, die Autos schlauer, die Opfer weniger. Nur die Zahl der getöteten Radfahrer bleibt konstant. Woran liegt das? Ein Experte erklärt die Gründe – und nennt mögliche Auswege.

Immer weniger Verkehrstote – aber Radfahrer leben nach wie vor sehr gefährlich auf Deutschlands Straßen. Die Zahl der Todesopfer sinkt seit Jahren, die Zahl der getöteten Radfahrer jedoch nicht. Das zeigen die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts. Die Gründe sind vielfältig, zu ihnen zählt die Verbreitung des Elektrofahrrads. Gerade ältere Radfahrer verunglücken immer häufiger mit ihrem E-Bike.

Experten kritisieren aber vor allem die mangelnde Sicherheit für Radfahrer auf deutschen Straßen. Immer wieder verweisen sie auf unsere Nachbarländer Dänemark und die Niederlande. Städte wie Kopenhagen gelten weltweit als Vorbild beim Schutz ihrer Radfahrer. Was machen sie besser als deutsche Städte? Das erklärt Heinrich Strößenreuther, Verkehrsexperte und Sprecher der Initiative Clevere Städte, die sich unter anderem für eine moderne Verkehrs- und Umweltpolitik engagiert.

t-online.de: Städte wie Amsterdam (Niederlande) und Kopenhagen in Dänemark gelten als Vorreiter einer modernen und radfahrergerechten Verkehrsplanung. Zu Recht?

Heinrich Strößenreuter: Ja. Denn dort spielt seit Jahrzehnten der Radfahrer in der Verkehrsplanung eine große Rolle. Auch von Schweden kann man viel lernen. Dort wurde das Programm "Vision Zero" entwickelt. Es soll ein systematischer Lern- und Verbesserungsprozess sei. Der Name beschreibt das Ziel, die Zahl der getöteten Radfahrer auf null zu senken. Man akzeptiert dabei natürlich, dass Fehler nicht komplett vermeidbar sind – aber sie sollen nicht zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen führen.

Wie wollen die Schweden das schaffen?

Durch einen ganzen Katalog weitreichender Maßnahmen bis hin zum Ampel- und Kreuzungsdesign. Man kann zum Beispiel eine Kreuzung so gestalten, dass Autofahrer gar nicht zu schnell abbiegen können. Etwa durch Poller oder Fußgängerinseln. So haben sie automatisch die Möglichkeit zu mehr Umsicht. Und nutzen sie auch. Oder die sogenannte Differenzgeschwindigkeit: Ein Zusammenprall eines 50 km/h schnellen Autos mit einem 20 km/h schnellen Radfahrer geht anders aus, als wenn das Auto nur Tempo 30 fährt.

Tempo 30 in der ganzen Stadt wird bei uns immer wieder diskutiert – und abgelehnt. Immerhin sollen Lkw-Fahrer durch Abbiege-Assistenten unterstützt werden.

Sie werden aber nicht zur Vorschrift. Das könnte nur die EU durchsetzen, und das braucht noch einmal fünf Jahre. Man könnte trotzdem energischer darauf einwirken, dass der Assistent schnell in jedes Fahrerhaus einzieht. Da gäbe es genügend Möglichkeiten. Auch über die Lenkzeiten muss man nachdenken: Wenn Lkw-Fahrer immer gehetzter sind, fahren sie "fahr-lässiger", also vorsätzlich riskanter. Auch an Kreuzungen, was wiederum die Radfahrer gefährdet. Den berühmten toten Winkel gibt es nicht, auch nicht in einem Lkw. Es gibt nur zu wenig Umsicht.

Was ja auch härter bestraft werden könnte.

Die Strafen des Bußgeldkatalogs ärgern zwar den Autofahrer. Aber sie ändern nicht sein Verhalten. Falschparken etwa, was sehr gefährlich ist für Radfahrer, kostet in Deutschland 15 Euro. Das tut kaum einem Autofahrer wirklich weh. Im EU-Durchschnitt zahlt man dafür 100 Euro. Darüber denkt man schon nach. Und ändert dann sein Verhalten.

Und das macht eine Auto-Stadt zur Radfahrer-Stadt?

Es ist ein Schritt auf dem Weg dorthin. Denn so entsteht in den Vorbildländern und -städten wie Kopenhagen ein befriedetes Verkehrssystem, das die Infrastruktur und auch die Autofahrer einschließt: Sie versuchen, auch aus eigenem Interesse, aktiv Unfälle zu verhindern – etwa, indem sie schon mal nicht mehr falsch parken.

Das ging aber sicherlich nicht von jetzt auf gleich?

Nein, das alles basiert auf einem Umdenken, das vor 30 bis 40 Jahren begann. Damals wurden in Amsterdam wie auch in Kopenhagen Autobahnen durch Innenstadtviertel geplant. Erst der Protest der Anwohner führte zu einer neuen Politik, die nicht mehr gegen die Interessen der Bewohner betrieben wurde.

Bemerken Sie dieses Umdenken auch in Deutschland?

Es ist erst seit kurzem zu bemerken. Ein Vorreiter ist Berlin mit dem Volksentscheid Fahrrad.

Die Musterstädte haben also einen gewaltigen Zeitvorsprung. Wie schnell könnte man ihn aufholen?

Das ist eine Frage des Willens. Berlin zum Beispiel will sich in den kommenden zehn Jahren eine sichere, attraktive Rad-Infrastruktur geben. Das kann gelingen. Was natürlich auch am Budget hängt. Aber auch hier sehen wir – zumindest in Berlin – ein Umdenken: Noch vor kurzem flossen pro Einwohner weniger als vier Euro pro Jahr in die Rad-Infrastruktur. Selbst das Verkehrsministerium empfiehlt einen deutlich höheren Wert. Künftig werden es in Berlin mehr als 15 Euro sein. Das ist zwar deutlich weniger als zum Beispiel in Kopenhagen. Aber wiederum deutlich mehr als in fast jeder anderen deutschen Stadt.

Woran liegt das? Wir werden doch immer mehr Radfahrer.

Der Radfahrer hat eine schwache Lobby. Das hat viele Gründe. Sicherer Radverkehr braucht Platz, zum Beispiel sollte ein moderner Radweg drei Meter breit sein. Das ist eine Fahrbahnspur. Sie würde den Autofahrern fehlen, wird behauptet. Deshalb trauten sich da bisher Politiker nicht ran. Dann sind da die Lobbyisten der Beton- und Asphalthersteller, ganz zu schweigen von der Auto-Lobby. Und obendrein der ADAC: Er protegiert seit Jahren Tempo 50 in den Städten und verteidigt Parkplätze gegen Radwege.

Herr Strößenreuter, vielen Dank für das Gespräch.

Das fordert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC)
ADFC-Sprecherin Stephanie Krone: "Autofahrer profitieren von immer besseren elektronischen Sicherheitssystemen und immer mehr Stahl – Radfahrerinnen und Radfahrer nicht. Im Gegenteil, die völlig unterdimensionierte Rad-Infrastruktur und fehlende Assistenzsysteme speziell zum Schutz von Radfahrenden bringt sie mehr und mehr in Gefahr. Wir brauchen jetzt breite, geschützte Radwege und Kreuzungen und durchgängige Radwegenetze wie in den Niederlanden. Außerdem intelligente Ampelschaltungen und verpflichtende Fahrassistenzsysteme wie Turn Assist, Active Brake Assist und ISA. Alle Welt redet über autonomes Fahren. Wir sagen: Ein intelligentes Auto, ein intelligenter Lkw warnt vor Radfahrern und Fußgängern im schwer einsehbaren Bereich – und führt im Ernstfall eine Notbremsung durch. Und ein intelligentes Auto hält automatisch die korrekte Geschwindigkeit ein. Solche Systeme brauchen wir serienmäßig in allen Kraftfahrzeugen."

Verwendete Quellen
  • dpa
  • Destatis
  • ADFC
  • Eigene Recherche
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website