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Ampel-Koalition im Gezänk: Größte Wahlkampfhilfe für die AfD?


Gefährlicher Streit
Das ist Kindergartenniveau

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 05.07.2023Lesedauer: 4 Min.
Meinung
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Christian Lindner (FDP) und Olaf Scholz (SPD): Das koalitionsinterne Gezanke hilft vor allem der AfD. (Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen)

Eigentlich muss die Ampelkoalition wichtige Themen lösen. Stattdessen zerfleischen sich die Partner öffentlich – und leisten so Wahlkampfhilfe für die AfD.

Gleich drei große Themen haben die Republik in den vergangenen Wochen beherrscht: der Höhenflug der teils rechtsextremistischen AfD, das sogenannte Heizungsgesetz und der Dauerstreit in der Ampel. Moment, ich muss mich korrigieren – da gab es noch etwas: Denn über die Frage, ob das AfD-Hoch nicht mit den beiden anderen Themen zusammenhängt, gab es auch viel Streit. Sind also vier Themen. Sorry. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich verliere allmählich den Überblick.

Ein Problem, das stattdessen immer im Mittelpunkt stehen sollte: digitale Kompetenz. Denn die ist offensichtlich nicht vorhanden. Das ist seit vielen Jahren bekannt – genauso wie die Negativfolgen für unsere Gesellschaft (von der Wirtschaft fange ich gar nicht erst an).

Um das zu kaschieren, hat sich das Bundeskabinett fast geschlossen Social-Media-Accounts zugelegt. Auch das will die selbsternannte Fortschrittskoalition natürlich besser machen als die Vorgängerregierung.

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich, ihr Blog findet man hier. Außerdem ist sie Co-Host des Podcasts "Gegen jede Überzeugung".

Was nun aber wieder zu sehen ist, lässt Zweifel an 1. Fortschritt, 2. Verbesserung, 3. digitaler Kompetenz und 4. sozialer Kompetenz der Beteiligten aufkommen. Nach Wochen des öffentlichen Hauens und (Durch-)Stechens, nach zwei aufeinanderfolgenden großen Erfolgen der AfD auf Kommunalebene, nach Beteuerungen, es jetzt stilvoller, leiser und friedlicher anzugehen – geht man gar nichts anders an, sondern geht munter aufeinander los. Und zwar auch in den sozialen Netzwerken.

Die Ampel streitet also. Das ist keine Nachricht, aber sie streitet jetzt über ein anderes Thema: über die Kindergrundsicherung. Die zuständige Ministerin, Lisa Paus von den Grünen, fordert für ihr zentrales Projekt in dieser Legislaturperiode viel, viel mehr Geld, als der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ihr dafür zugestehen will.

Die Aufregung ist riesig. Auch innerhalb der Ampel

Lisa Paus muss deshalb sparen. 2024 stehen ihr 290 Millionen Euro weniger zur Verfügung als aktuell. Nun kursiert ein Vorschlag aus ihrem Hause, dies beim Elterngeld zu tun. Nicht mit dem berühmten Rasenmäher, also bei allen, sondern bei den Besserverdienern: Ab einem zu versteuernden Brutto-Jahreseinkommen von 150.000 Euro soll der Anspruch auf die Leistung wegfallen.

Die Aufregung ist riesig. Auch innerhalb der Ampel. Paus' Ministerium warnte gar "vor negativen Auswirkungen auf die gleichstellungspolitischen Ziele der Bundesregierung", berichtet der "Spiegel".

Nun kann man sich fragen, ob es politisch klug ist, sich als Ministerin so kleinzumachen und zu sagen: "Wir haben keine Wahl und auch keine andere Idee." Man kann sich – und das haben sehr viele gestern wohltuend klug und respektvoll miteinander in den sozialen Netzwerken getan – darüber unterhalten, ob dermaßen gut verdienende Menschen wirklich auf das Elterngeld angewiesen sind.

Auch darüber, wie sehr es dem feministischen Gedanken schadet, der ja auch hinter der Leistung steckt. Schließlich soll sie die Väter animieren, zu Hause beim Baby zu bleiben. Und man kann, ich finde sogar, man muss darüber sprechen, was es über eine Fortschrittsregierung aussagt, wenn ausgerechnet wieder bei Kindern und Familien gespart wird.

Denn um den Zusammenhang noch einmal ganz deutlich zu machen: Die Bundesfamilienministerin will am Elterngeld sparen, weil sie auch an der Kindergrundsicherung sparen muss. Und da geht es um Leute, die es weiß Gott nötiger haben als ein 150.000-Euro-Haushalt.

Wasser auf die Mühlen der AfD

So weit, so hilflos. Wer dann öffentlich noch einen draufsetzt, wirkt nicht unbedingt stabilisierend aufs ohnehin schon gestresste wahlbürgerliche Gemüt. So wie zum Beispiel Christian Lindner.

Der Mann kann schreiben, der Mann kann reden. Ob er das allerdings immer sollte, steht auf einem anderen Blatt. Lindner griff nämlich prompt die oben zitierte Aussage Paus' auf Twitter auf, also vor großem Publikum, und garnierte sie mit diesem Text: "Wenn die zuständige Kollegin selbst von der Änderung beim #Elterngeld nicht überzeugt ist, dann kann und sollte sie ihren Konsolidierungsbeitrag in anderer Weise erbringen. CL"

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Selbst direkt an seine Kabinettskollegin gerichtet, zum Beispiel per Mail oder SMS, wäre das nicht nett. In dieser Form ist es eine Frechheit.

Und ob es die feine englische Art ist, Briefe zu twittern – so wie es Paus' Parlamentarische Staatssekretärin mit einem aus dem Finanzministerium tat, ...

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... woraufhin wiederum FDP-Leute einen anderen Brief von Lindner veröffentlichten – muss man wohl nicht mal Engländer fragen.

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Der Streit um Elterngeld und die Kindergrundsicherung wird auf Kindergartenniveau geführt. Dieser Disput bringt uns jetzt noch zu einem weiteren Punkt, bei dem diese Regierung dicke Fragezeichen aufwirft: 5. Verantwortungsbewusstsein. Wer nicht mehr öffentlich streiten will, der streitet nicht mehr öffentlich.

Die Welt ist komplex, die Probleme sind es auch, aber das zumindest ist so einfach.

Was im Übrigen auch für andere Parteien gilt. Ob Friedrich Merz der Untergang oder der Heiland der CDU ist, auch darüber debattiert seine Partei nicht nur hinter verschlossenen Türen.

Damit sind wir also bei den hässlichen Folgen. Denn diese öffentlichen Streitereien schwächen nicht nur die Koalition – sondern auch das Vertrauen der Wähler in sie. Natürlich ist es schwerlich möglich, exakt zu beziffern, welchen Anteil die anderen Parteien bzw. Koalitionen am derzeitigen Hoch der AfD haben. Klar dürfte aber sein: Bei Null liegt er nicht. Weder bei der Ampel, noch bei den Unionsparteien oder der Linken.

Mit ein bisschen Mut zur Bitterkeit lässt sich sagen: Große Kompetenz lässt sich derzeit nur in einem Punkt erkennen: bei der Wahlkampfhilfe für die AfD. Die übrigens in den sozialen Medien auch sehr weit vorne mitspielt und Wahlkämpfe dort zu einem großen Teil bestreitet. Dass andere Parteien nun dabei mitmachen, dürfte sie wundern. Und freuen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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