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Corona | Krankenpfleger: "Pandemie ein Beschleuniger des Zustands"


Krankenpfleger über Pandemie
So gefährlich ist der Personalmangel für Patienten

InterviewVon Sandra Simonsen

Aktualisiert am 05.12.2021Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Bereits 2020 zum Tag der Pflege demonstrierten viele Fachkräfte: Das Problem besteht nicht erst seit der Corona-Pandemie.Vergrößern des Bildes
Bereits 2020 zum Tag der Pflege demonstrierten viele Fachkräfte: Das Problem besteht nicht erst seit der Corona-Pandemie. (Quelle: Snapshot/imago-images-bilder)

Zu Beginn der Pandemie gab es Applaus für die Pflegekräfte – doch Personalknappheit, volle Kliniken und Bettenmangel bestimmen die Realität. Ein Pfleger berichtet von Beschimpfungen, Frust und steigendem Risiko für die Patienten.

Gerade erst haben Experten Alarm geschlagen: Allein auf den Intensivstationen in Deutschland gibt es in diesem Jahr 4.000 Betten weniger als noch 2020 – weil so viele Pflegekräfte ihren Beruf gewechselt oder die Arbeitszeit verkürzt haben. Mitten in der vierten Corona-Welle sind das besonders schlechte Bedingungen.

Doch die Situation ist nicht neu, erklärt ein Gesundheits- und Krankenpfleger im Interview mit t-online. Er berichtet, wie die Wirklichkeit auf den Stationen aussieht – und was er darüber denkt, dass Ungeimpfte mit Covid-19 Krankenbetten belegen.

Der Gesundheits- und Krankenpfleger aus dem Interview möchte anonym bleiben, sein Name ist der Redaktion bekannt. Er arbeitet seit rund 15 Jahren in der Pflege und aktuell auf einer Station für Kardiologie und Neurologie mit rund 40 Betten. Zudem betreut er Krankenpflegeschüler und stellt seit Jahren ein schwindendes Interesse an dem Beruf fest.

t-online: Sie sagen, das eigentliche Problem ist nicht die Pandemie, sondern die Personallage in der Pflege. Können Sie erklären, was Sie damit meinen?

Gesundheits- und Krankenpfleger: Es ist grundsätzlich so, dass wir einen Rückgang des Pflegepersonals haben – das hat vor Jahren schon angefangen. Das liegt auch nicht daran, dass zu wenige die Ausbildung machen. Aber wenn ich die Schüler frage, wohin sie im Anschluss an die Ausbildung wollen, kommt sehr häufig die Antwort: Ich studiere weiter. Oder sie gehen auf Funktionsabteilungen wie die Intensivstationen oder auch Psychiatrien.

Daran merkt man: Kaum einer will auf der Normalstation arbeiten. Und damals war die Situation noch nicht so wie jetzt.

Woran glauben Sie, liegt das?

Da muss man denke ich sehr viel weiter vorn ansetzen – das betrifft zum Beispiel die Gesundheitsreform, die das Kabinett von Gerhard Schröder vor rund 20 Jahren beschlossen hat. Die Krankenhäuser wurden zu Wirtschaftsunternehmen gemacht. Und es ist klar: Die Pflege gilt als unwirtschaftlich.

Unsere Arbeit, so aufwendig, stressig und belastend sie auch ist, wird nicht abgebildet. Ein kleiner Anteil der Fallpauschalen fällt zwar auf Service – aber die Pflege selbst bringt keinen Profit ein. Es ist also nicht lukrativ, Pflegepersonal zu beschäftigen.

Und wie kommt es zu dem aktuellen Mangel?

2018 hat sich dann schon abgezeichnet, dass es eine Flucht aus der Pflege gibt – die Menschen orientieren sich um oder akademisieren sich weiter. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Krankenhausbetten. Weil es abrechenbar ist, werden viele auch im Krankenhaus behandelt, die gar nicht unbedingt im Krankenhaus behandelt werden müssten.

Jens Spahn hat daraufhin eine Pfegepersonaluntergrenze eingeführt. Danach darf eine examinierte Pflegekraft nicht mehr als zehn Patienten im Tagdienst und nicht mehr als 20 Patienten im Nachtdienst betreuen – auf der Normalstation. Auf den Intensivstationen gibt es andere Schlüssel.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Ihnen aus – können Sie uns eine Art Protokoll geben?

Das lässt sich schlecht vergleichen mit einem Bürojob. Wenn ich zum Frühdienst komme, fange ich zwischen sechs und halb sieben an. Dann kommt zuerst eine Übergabe und dann der Dienst. Im Frühdienst gehört dazu beispielsweise die Wundversorgung, Insulinspritzen, Wiegen. Ab etwa acht Uhr schellt das Telefon in Dauerschleife, weil die Fachabteilungen wie die Röntgenabteilung oder der OP die Patienten abrufen.

Dann kommen irgendwann Visiten und in vielen Kliniken muss das Pflegepersonal auch die Mahlzeiten verteilen. Dann gibt es Neuaufnahmen und Entlassungen. Tabletten müssen gestellt werden. Und zwischendurch gibt es immer wieder Situationen, in denen ein Patient besonders viel Aufmerksamkeit braucht. In dieser Mühle ist kaum noch die Möglichkeit, um sich intensiver mit den Patienten zu beschäftigen.

Warum ist es besonders auf den Normalstationen so schwierig?

Auf den Intensivstationen ist es so, dass die Patienten unter einem permanenten Monitoring stehen. Und es ist nur noch eine Eins-zu-drei- oder vier-Betreuung. Natürlich kann es da auch brenzlig werden. Aber, wenn diese Patienten einigermaßen stabil sind, werden sie auf eine Normalstation verlegt.

Die Patienten, die dann auf einer Normalstation liegen, sind nicht immer automatisch stabil. Und es gibt kein Monitoring – so wird die Verschlechterung eines Patienten oft leider durch Zufall entdeckt. Diese Krankenbeobachtung in regelmäßigen Abständen ist so nicht mehr gewährleistet.

Was bedeutet das für die Patienten?

Es geht wirklich nicht mehr ums Zuhören. Es ist eine kuriose Idealvorstellung, dass die Pflegekraft auf der Bettkante sitzt und sich mit dem Patienten unterhält. Es geht wirklich nur noch darum zu erkennen: Schläft der Patient nur oder hat er ein ernsthaftes Problem? Und vor dieser Situation stehen wir oft.

Das bedeutet für die Patienten, dass natürlich auch Sicherheit verloren geht. Auf der Intensivstation wird man wenigstens noch überwacht. Auf einer Normalstation lässt sich nicht immer gewährleisten, dass ein Risikopatient mit einem mobilen Patienten in einem Zimmer liegt – abgesehen davon, dass es natürlich nicht die Aufgabe der Patienten ist, sich gegenseitig zu überwachen. Aber es kann dann eben auch sein, dass ein Risikopatient zwischen zwei dementen Patienten liegen muss.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ich sage Ihnen wie es ist: Der eine ist dann verwirrt und ruft vielleicht die ganze Zeit um Hilfe – der andere hingegen spielt mit seinem Stuhlgang. Da redet keiner gerne drüber, aber das ist nun einmal die Realität. Und wenn man dann dazwischen liegt und abhängig davon ist, dass jemand Komplikationen erkennt, kann das sehr böse enden.

Welchen Einfluss nimmt die Pandemie nun auf das Geschehen?

Die Pandemie ist natürlich ein Beschleuniger des Zustands. Ich bin kein Wahrsager, aber ich gehe davon aus, dass wir ohne Pandemie in drei oder vier Jahren an einem ähnlichen Punkt gewesen wären. Klar, es gibt noch die eine oder andere altruistische Krankenschwester – aber viele haben mittlerweile auch eine Work-Life-Balance und fühlen sich auch nicht mehr an das jeweilige Krankenhaus gebunden.

Ärgern Sie sich über Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen und dann die Krankenhäuser überlasten?

Ich kann das natürlich nicht nachvollziehen – weder als Pflegekraft, noch als Bürger. Ich glaube allerdings, dass ich als Bürger sogar noch mehr Unverständnis dafür habe. Ich habe mir schon viel von den Corona-Impfungen versprochen – dass wir aus dieser Endlosschleife herauskommen können. Als Pflegekraft hingegen müssen wir täglich Menschen versorgen, die sich das selbst angetan haben.

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Was für Menschen erleben sie da?

Es ist nicht so, dass die Menschen alle schicksalhaft erkranken. Wir haben es zu einem großen Teil mit Menschen zu tun, die Alkohol trinken, rauchen, Übergewicht haben, Drogen nehmen – man findet selten den sportlichen, gesund lebenden 50-Jährigen, der plötzlich Bluthochdruck entwickelt.

Daher sind wir es gewohnt, Menschen zu versorgen, die eigentlich nicht versorgt werden müssten, wenn sie mehr Selbstfürsorge betrieben hätten. Aber als Pflegekraft versorge ich jeden, der da ist.

Welche Unterstützung würden Sie sich von der Politik wünschen?

Es darf keinen Kostendruck mehr geben – die Krankenhäuser können jetzt nicht mehr an der Pflege sparen. Es ist jetzt ein Konkurrenzkampf um Pflegekräfte entstanden. Der Markt ist leer.

Da kann die Politik vielleicht nur gegensteuern, indem nicht notwendige Krankenhausbehandlungen heruntergefahren werden. Aber wir können die Menschen ja nicht zwingen, den Beruf zu ergreifen. Man kann nur versuchen, den Job attraktiver zu gestalten – und das funktioniert nicht nur über Gehalt.

Was können die Krankenhäuser tun?

Ja, auch die Krankenhäuser oder besser deren Betreiber sind in der Pflicht: Die Politik hat zwar die Rahmenbedingungen geschaffen und versucht jetzt gegenzusteuern, aber für die Bedingungen in den Krankenhäusern sind die Krankenhausbetreiber verantwortlich. Die können auch Betten sperren, wenn sie verantwortungsvoll handeln.

Und was erwarten Sie von der Gesellschaft?

Es mangelt auch an Solidarität: Wir merken zunehmend, dass der Ton rauer wird. De Leute stecken nicht zurück, sondern fordern sogar mehr ein. Wir erleben Unmut bis hin zu Beschimpfungen. Als 2020 von Applaus die Rede war: Ich weiß nicht, wer da geklatscht hat. Das Klima ist also unangenehm und das macht es nicht leichter, Menschen für diesen Beruf zu begeistern. Das Resümee ist ziemlich trostlos.

Vielen Dank für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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