t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeGesundheitKrankheiten & SymptomeCorona

BA.5 in Portugal | Wie heftig wird die nächste Corona-Welle wirklich?


Neue Corona-Variante BA.5
Experte: "Tatsächliche Infektionsraten werden grob unterschätzt"


Aktualisiert am 09.06.2022Lesedauer: 4 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Straßenszene in Lissabon: In Portugal breitet sich die BA.5-Variante rasend schnell aus.Vergrößern des Bildes
Straßenszene in Lissabon: In Portugal breitet sich die BA.5-Variante rasend schnell aus. (Quelle: IMAGO / NurPhoto)

In Portugal schnellt die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen in die Höhe. Ursache ist die Omikron-Variante BA.5. Was erwartet uns in Deutschland?

Der ansteckendere Omikron-Subtyp BA.5 dominiert das Infektionsgeschehen in Portugal, befürchtet werden bereits neue Spitzenwerte bei den Infektionszahlen. Die Experten sind sich einig: BA.5 wird in Kürze auch in Deutschland dominant sein. Was bedeutet das für uns? t-online fragte den Immunologen Andreas Radbruch.

t-online: Herr Radbruch, was weiß man eigentlich über BA.5?

Andreas Radbruch: Dieser Subtyp ist infektiöser als die bislang bei uns dominante Variante BA.2. Er hat noch zusätzliche Mutationen am Spikeprotein, dem Rezeptor für unsere Zellen.

Was bedeutet das?

Grob gesagt: Das Virus wird deshalb schlechter von den neutralisierenden Antikörpern auf den Atemwegen erkannt. Aber es hat es auch schwerer, in unsere Zellen einzudringen. Das Virus kann sich also effizienter ausbreiten, aber man wird nicht so krank.

Zuerst nachgewiesen wurde BA.5 in Südafrika?

Ja, dort hat diese Variante vergleichsweise wenig Schaden angerichtet. Die Inzidenzen erreichten dort etwa 100, jetzt flauen sie schon wieder ab, zurzeit liegen sie bei rund 40.

Andreas Radbruch
Andreas Radbruch (Quelle: Gero Breloer)



Dr. Andreas Radbruch ist Immunologe und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin. Er berät u. a. auch den Gesundheitsausschuss des Bundestages.

Kann das auch mit einem anderen Testsystem zusammenhängen? Portugal meldet derzeit eine Inzidenz von über 1.600 und das, nachdem die Schnelltests praktisch abgeschafft waren.

Wir müssen bei BA.5 davon ausgehen, dass wir die tatsächlichen Infektionsraten grob unterschätzen, auch bei uns in Deutschland. Das hat einfach damit zu tun: Wo weniger oder kaum noch getestet wird, findet man natürlich viel weniger bestätigte Fälle. Und wo viele Infektionen ohne große Symptome verlaufen, wird eben auch wenig getestet.

Was in Portugal auffällig ist, ist die sehr hohe Impfquote. 86 Prozent der Bevölkerung sind zweifach geimpft.

Ja, aber wir wissen inzwischen, dass der Schutz vor einer Infektion bei den bisherigen Impfstoffen nur vorübergehend ist. Die neutralisierenden Antikörper auf den Schleimhäuten, über die das Virus eindringt, verschwinden nach ein paar Wochen.

In Portugal wird jetzt eine Kampagne zur Booster-Impfung angedacht. Wie viel kann das bringen?

Das ist sicher sinnvoll. Mit ausreichend zeitlichem Abstand zur zweiten Impfung oder zur Infektion kann eine dritte Impfung hilfreich sein für diejenigen, die auf die ersten beiden noch nicht so gut angesprochen haben. In Deutschland sind von den über 60-Jährigen auch schon mehr als 80 Prozent dreimal geimpft.

Portugal meldet auch steigende Todeszahlen. Wer stirbt dort jetzt? Nur Ungeimpfte?

Nein, sicherlich auch Menschen, die auf die Impfung nicht so gut angesprochen haben. Kein Impfschutz ist hundertprozentig. Die gegenwärtigen Corona-Impfstoffe schaffen auf lange Sicht einen Schutz vor schwerer Erkrankung und Tod von über 90 Prozent. Das ist sehr beeindruckend.

Was sehen wir dann gerade in Portugal?

Dort ist zu beobachten, dass die Todesrate proportional zu den Inzidenzen steigt. Springt die Infektionsrate also etwa von 100 auf 1.000, bleibt der Anteil der Todesfälle gleich, auch wenn alle 1.000 inzwischen geimpft sind.

Einfach übersetzt: Je mehr Infektionsfälle Sie haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es Menschen erwischt, deren Immunsystem auf die Impfungen schlecht reagiert hat.

Müssen wir Maßnahmen ergreifen, um BA.5 aufzuhalten, die Kurve abzuflachen, so wie wir es in der ersten Corona-Welle gelernt haben?

Nein, davon gehe ich nicht aus. Lockdowns oder Vergleichbares wird es wegen BA.5 nicht geben müssen. Ich gehe eher davon aus, dass sich das Infektionsgeschehen ähnlich entwickeln wird wie in Südafrika. Dort gab es einen schnellen Anstieg der Infektionszahlen im April und danach fiel die Kurve auch schnell wieder.

Also kein erneuter Lockdown?

Das Ziel aller Maßnahmen war ja immer, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu schützen. Darauf steuern wir nach gegenwärtigem Wissensstand nicht zu. Wir hatten ja schon Inzidenzen von über 1.000 mit anderen Omikron-Typen. Auch das hat unser Gesundheitssystem nicht überlastet. Und wir sind da ohne Lockdowns gut durchgekommen.

Nun sehen wir in Portugal erstmals eine Sommerwelle. Wurde nicht immer gesagt, es handele sich um ein saisonales Virus, das vor allem in der kalten Jahreszeit zuschlägt?

Dass das Virus sich an die Jahreszeiten hält, war mir noch nie wirklich glaubhaft untermauert. In Ländern mit heißerem Klima als bei uns im Sommer grassiert das Virus ja auch.

Warum das Virus bei uns vor allem in den Herbst- und Wintermonaten zu einem hohen Infektionsgeschehen führen soll, ist meines Erachtens nicht wirklich klar. Dem widerspricht ja auch das, was wir jetzt in Portugal sehen. Vielleicht hat es eher was mit der Dynamik der Entstehung von Wellen zu tun, damit, wie Wellen überhaupt aufeinander folgen.

Was wissen wir denn eigentlich über die Immunität der Deutschen? Bislang gibt es nur Schätzungen, etwa der Dunkelziffer der Genesenen. Damit wissen wir ja letztlich nicht, wie hoch unser Schutz eigentlich schon ist.

Ja, das ist ein großes Problem. Nötig wären hier wissenschaftlich fundierte, repräsentative Tests der Antikörper im Blut und auf den Schleimhäuten und eine Untersuchung der zellulären Immunität.

Wir müssen diese Daten dann mit den epidemiologischen Daten zusammenbringen, um zu verstehen, welche immunologischen Eigenschaften uns vor Infektion, Infektiosität, schwerer Krankheit und Tod schützen, und wie lange. So findet man heraus, in welche Richtung wir eigentlich die Impfstoffe weiterentwickeln müssen.

Loading...
Symbolbild für eingebettete Inhalte

Embed

Woran scheitern diese Untersuchungen?

Das Gesundheitsministerium steht dieser Forschung, die "Wissen schafft", bislang ablehnend gegenüber. Die Gründe sind mir nicht klar. In Deutschland werden wir Wissenschaftler diese Untersuchungen wohl aus anderen Quellen finanzieren müssen.

Wie sieht es denn im Ausland aus?

Andere Länder sind da weiter. Wir haben solche Daten aus dem Ausland, zum Beispiel aus Großbritannien, wo sich zeigte, dass fast alle Menschen entweder geimpft oder genesen oder beides sind. Die Bevölkerung ist also "durchimmunisiert". Ich vermute, dass das bei uns ähnlich sein wird.

Herr Radbruch, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
Verwendete Quellen
  • Interview mit Andreas Radbruch
  • Eigene Recherche
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website