Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Debatte um Hitzefrei Arbeiten bei 34 Grad? Ernsthaft?

Die erste Hitzewelle rollt über Deutschland – und mit ihr steigen nicht nur die Temperaturen, sondern auch die Belastung am Arbeitsplatz. Der Linken-Chef fordert "Hitzefrei" ab 26 Grad. Ist das wirklich notwendig?
Die erste Hitzewelle des Jahres ist da, regional erreichen die Temperaturen in Deutschland bis zu 34 Grad. Ich habe schon Mitte der Woche in Konferenzräumen geschwitzt, als die Temperaturen draußen nur sanft über 20 Grad stiegen. Die Räume lagen zwar im Erdgeschoss, aber durch die Fensterfront erhitzte die Sonne die Luft im Laufe des Tages wie in einem Gewächshaus. Die einzige Möglichkeit, um sich abzukühlen: die Fenster öffnen. Vor ihnen verlief jedoch die Hauptstraße samt Tram-Spur und S-Bahn-Schienen. Hitze und Lärm – für meine Konzentration war beides nicht hilfreich.
Die aktuelle Hitzewelle ist nur der Anfang eines womöglich extrem heißen Sommers. Die Prognosen prophezeien Hitzewellen, die zunehmend heißer werden und länger anhalten. Schon seit Jahren bekommen Arbeitnehmerinnen und Angestellte die wachsende Anzahl der Hitzetage und die tendenziell steigenden Temperaturen zu spüren.
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Ab 30 Grad solle die Arbeitszeit sogar halbiert werden
Der Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, forderte nun in einem Aktionspapier einen besseren Schutz am Arbeitsplatz. Sein Vorschlag gleicht einer Art Hitzefrei für Arbeitnehmende: Ab 26 Grad soll am Arbeitsplatz die tägliche Arbeitszeit um ein Viertel verkürzt werden. Van Aken fordert mehr Pausen, Sonnenschutz im Büro und ein Recht auf Homeoffice. Ab 30 Grad solle die Arbeitszeit sogar halbiert werden.
In Zeiten, in denen Politiker und Wirtschaftsverbände darüber diskutieren, Feiertage zu streichen, um die Wirtschaftsleistung des Landes anzukurbeln, wirkt die Durchsetzung dieser Forderung, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Aber ist sie überhaupt sinnvoll?
Pflichtmaßnahmen ab 30 Grad
Schon heute hält das Arbeitsschutzrecht Regeln bereit, um Angestellte vor Hitze zu schützen: Ab einer Raumtemperatur von 26 Grad wird empfohlen, dass Arbeitgeber tätig werden; aber erst ab 30 Grad müssen sie Maßnahmen ergreifen, um die Arbeitsplätze herunterzukühlen. Also etwa Rollos herunterlassen, die Räume über Nacht lüften, Ventilatoren und ausreichend Getränke zur Verfügung stellen.
Die Möglichkeiten, die Arbeitszeit nach vorn zu verschieben oder von zu Hause aus zu arbeiten, sind optional, ein Anrecht darauf hat man bisher nicht. Eine Pflicht, Klimaanlagen anzubieten, gibt es nicht. Eine Verkürzung der Arbeitszeit sieht das Arbeitsschutzrecht bislang auch nicht vor.
Übersteigen die Temperaturen 35 Grad, ist ein Raum nicht mehr als Arbeitsplatz geeignet. Doch auch in diesem Fall kann man nicht selbst entscheiden, den Dienst zu verweigern, weil das als Arbeitsverweigerung aufgefasst werden kann.
Hitze fordert neue Baukonzepte
Wenn es in Zukunft immer häufiger, immer länger am Stück heiß ist, braucht es also weitere Maßnahmen. Bürogebäude und Baustellen müssen etwa aktiv verschattet werden.
Als ich mal eine Redaktion im Südwesten Deutschlands besucht habe, machte ich den Kollegen ein Kompliment zu ihrem schönen Verlagsgebäude. Die Antwort: "Ja, aber wir mussten das relativ neue Gebäude in den vergangenen Jahren bereits komplett umbauen, weil in dem Glasklotz im Sommer niemand mehr arbeiten konnte." Die Flachdächer mussten nachträglich begrünt, die Fassaden von außen beschattet werden. Daran, dass es im Sommer immer heißer wird, hatte beim Bauen offenbar niemand gedacht.
Eine weitere sinnvolle Maßnahme zur Entlastung der Arbeitnehmer könnte die Ausdehnung des Saison-Kurzarbeitergeldes auf die heißen Perioden sein. Bisher wird es in der sogenannten Schlechtwetterzeit von Dezember bis März bewilligt, in der etwa Dachdeckerbetriebe früher regelmäßig ihre Mitarbeitenden entlassen haben, um sie dann im Frühjahr wieder einzustellen. In den Hitzejahren 2018 und 2019 hatten die Betriebe jedoch im Sommer teils mehr Ausfallzeiten als im Winter.
"Wer im überhitzten Büro sitzt, bezahlt oft mit der eigenen Gesundheit"
Also ist tatsächlich Hitzefrei nötig, wie Van Aken fordert? "Die Klimakrise ist längst auch eine soziale Krise – wer unter sengender Sonne schuftet oder im überhitzten Büro sitzt, bezahlt oft mit der eigenen Gesundheit", begründet der Linken-Vorsitzende seine Forderung nach Hitzefrei. Aus seiner Sicht kann niemand "bei dreißig Grad und mehr im Büro konzentriert und effektiv arbeiten". Von der Bundesregierung fordert er daher Sofortmaßnahmen bis Juli 2025.
Klar ist: Hitze gefährdet die Gesundheit. Sie kann zu Kopfschmerzen, Erschöpfung und Benommenheit führen. Extreme Temperaturen bedeuten für den Körper extreme Belastung. Unterschiedliche Untersuchungen belegen auch, dass die Produktivität, Konzentration und das Wohlbefinden am Arbeitsplatz sinken, wenn es zu heiß wird. Laut dem DAK-Gesundheitsreport fühlen sich 23 Prozent der Arbeitnehmenden bei Hitze erheblich belastet. Mehr als die Hälfte merkt, dass ihre Produktivität bei hohen Temperaturen sinkt. 42 Prozent geben an, dass sie Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Ein Fünftel der Befragten leidet unter gesundheitlichen Problemen wie Erschöpfung, Kreislaufproblemen und Schlafstörungen.
In den produzierenden Gewerben sind die Belastungen noch höher. Auch 34,4 Prozent der Altenpflegerinnen und -pfleger berichteten laut DAK von einer deutlichen Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit, ebenso 13,9 Prozent derjenigen, die im Baugewerbe tätig sind.
Krankmeldungen durch Hitze vervierfacht
Eine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke an die Bundesregierung zeigt, dass sich die Zahl der Tage, an denen Arbeitnehmende aufgrund von Schäden durch Hitze und Sonne krankgeschrieben waren, innerhalb von knapp zehn Jahren beinahe vervierfacht hat. Waren es 2009 noch 22.500 Tage, summierten sich die Ausfalltage im Hitzejahr 2018 auf 81.400.
Um Menschen bei der Arbeit zu schützen, braucht es ernsthafte Klimaschutzmaßnahmen, die dafür sorgen, dass die Erderhitzung und mit ihr die Temperaturen im Sommer nicht immer weiter steigen.
Arbeitsschutzgesetze müssen dringend angepasst werden
Aber das zielt auf die Mittel- und Langfristentwicklung. Die Bundesregierung muss kurzfristig das Arbeitsschutzgesetz dringend an die Realität der schon jetzt spürbaren Folgen der Klimakrise anpassen. Steigende Temperaturen gefährden zunehmend die Gesundheit, Konzentration und Leistungsfähigkeit von Millionen Beschäftigten.
Gebraucht werden daher verbindliche Grenzwerte für Raumtemperaturen, nicht nur Empfehlungen: ab 26 Grad verpflichtende Maßnahmen. Bisher gibt es ab diesem Schwellenwert nur Empfehlungen – die Forderung lautet, dass ab diesem Punkt gesetzlich verpflichtende Maßnahmen greifen müssen. Verbindlicher Hitzeschutz ab 30 Grad: Nicht nur lüften oder Rollos schließen, sondern strukturell stärkere Schutzpflichten. Recht auf Arbeitszeitverlagerung oder -verkürzung: Verpflichtende Flexibilität, etwa frühere Arbeitsbeginnzeiten, reduzierte Kernarbeitszeit.
Denn Hitze am Arbeitsplatz ist kein individuelles Problem – sie ist eine systemische Gesundheits- und Gerechtigkeitsfrage.
- baua.de: "Sommertipps für ein gutes Klima am Arbeitsplatz"
- medienservice-klima-gesundheit.de: "Zukunft der Arbeit: Wie der Klimawandel die Arbeitswelt verändert"
- dak.de: "Gesundheitsreport 2024" (PDF)
- thelancet.com: "The Lancet Countdown on health and climate change: 2024 Europe report" (Englisch)