Zwei Milliarden Tonnen Abfall Plastikmüll – Warum unser Recycling wenig bringt
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ein Ozean voller Tüten, Trinkflaschen und Einwegverpackungen. Ein Traumstrand auf Bali an dem anstatt Muscheln, Plastikmüll an den Strand gespült werden. Spätestens seit dem viralen Video eines Tauchers oder den vielen Bloggerfotos, haben die meisten realisiert: Die Welt hat ein großes Müllproblem. Doch warum ist das so? Wie kann man das Problem lösen?
Wertstoffe, Papier, Bio und Restmüll – seit der Einführung der Verpackungsverordnung am 8. Mai 1988 sollen Deutsche ihren Müll trennen. Dabei werden bis heute lediglich 26 Prozent davon recycelt. Der Rest wird in Müllverbrennungsanlagen thermisch – zu Strom oder Fernwärme – verwertet. Oder an Zementwerke geleitet, wo er teures Erdöl und Erdgas als Brennstoff ersetzt.
Seit dem neuen Verpackungsgesetz, das am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist, soll neben den Verbrauchern nun auch die Verpackungsindustrie vermehrt in die Verantwortung genommen werden. Durch die Regelungen sollen diejenigen, die Verpackungen in Umlauf bringen, noch stärker an der Entsorgung beteiligen. Das bedeutet beispielsweise: produziert oder verbreitet ein Unternehmen viele Einwegverpackungen, muss es zahlen. Mithilfe dieser Gelder werden dann wiederum neue Sortieranlagen gebaut.
Experten bezweifeln jedoch, dass das neue Verpackungsgesetz in der Praxis bestehen wird. Denn das Verbrennen von Plastik sei schlicht günstiger als das Recycling. Zudem gebe es in Deutschland zahlreiche Müllverbrennungsanlagen, die auf Ware angewiesen seien, um Strom und Fernwärme erzeugen zu können. Das bestätigt auch ein Bericht des Bundestags aus dem Jahr 2018. Doch das Problem bei der Müllverbrennung: Sie erhöht die Kohlendioxid-Emissionen und ist damit schädlich fürs Klima.
Wie sieht die Situation in anderen Ländern aus?
Abfallmenge wird weltweit auf 3,4 Milliarden Tonnen steigen
Im September vergangenen Jahres warnte die Weltbank vor der drastischen Zunahme von Müll auf der Welt. Bis 2050 werde die Abfallmenge um rund 70 Prozent steigen. Derzeit sind es, laut Bericht, etwa zwei Milliarden Tonnen Müll – in 2050 dann rund 3,4 Milliarden Tonnen.
Größter Müllproduzent sind derzeit die USA mit 624.700 Tonnen – pro Tag. Dahinter folgt China mit täglich 520.500 Tonnen Abfall. Auf Platz drei liegt Brasilien (149.100 Tonnen Abfall pro Tag). Mit 127.800 Tonnen Müll täglich landet Deutschland auf Platz fünf.
Recycelt wird weltweit jedoch kaum: 30 Prozent in Europa, 25 Prozent in China und 9 Prozent in den USA. Und vieles, was nicht wiederverwertet werden kann, wird verbrannt. "In Europa ist die Energierückgewinnung die am häufigsten genutzte Methode zur Entsorgung von Plastikmüll, gefolgt von der Deponierung", heißt es seitens des Europäischen Parlaments. "Die Hälfte des für das Recycling gesammelten Kunststoffs wird zur Weiterverarbeitung in Länder außerhalb der EU exportiert." Die Gründe für den Export seien vor allem in Europa nicht ausgereifte Technologien, mangelnde Kapazitäten der Sortieranlage oder auch finanzielle Gründe, erklärt das Europäische Parlament.
Außerhalb der EU sind häufig die Auflagen für die Aufbereitung von Plastikmüll weniger streng. Das betrifft vor allem Entwicklungsländer. Die Weiterverarbeitung in den jeweiligen Anlagen geschieht häufig unter ökologischen und gesundheitlich bedenklichen Bedingungen.
Der restliche Müll, der weder recyclt noch exportiert werden kann, wird in Müllverbrennungsanlagen verbrannt. Bei dieser Entsorgungsmethode gehen nicht nur knapp 95 Prozent des Rohstoffwertes von Einweg-Plastikverpackungen verloren, es entstehen nach Angaben des EU-Parlaments zudem weltweit rund 400 Millionen Tonnen CO2 jährlich.
So gelangt das Plastik ins Meer
Besonders kritisch sieht die Weltbank, eine Organisation der Vereinten Nationen, die Entwicklung in Afrika und Südasien. Hier werde sich die Abfallmenge in den nächsten Jahren verdreifachen beziehungsweise verdoppeln – und das bei sehr geringer Recyclingquote. Dabei sind die Entwicklungsländer schon jetzt für etwa 80 Prozent des Mülls im Meer verantwortlich.
Vor allem Plastikmüll landet in diesen Regionen schnell im Meer. Viele Verbraucher lassen ihren Müll nach ihrem Strandbesuch oder ihrem Aufenthalt am Fluss einfach liegen. Der zweite Grund, wie Plastikmüll in die Ozeane gelangt, sind Mülldeponien, die zu nah am Meer gebaut sind. Starke Winde wehen Verpackungen, Tüten und andere leichte Müllreste ins Meer – ein vor diesen Umständen schützendes Dach oder entsprechend hohe Zäune gibt es in den Entwicklungsländern selten. Hinzu kommt teilweise die illegale Entsorgung der Abfälle im Meer. Das Problem: Plastikmüll verrottet sehr langsam und stellt für die Meeresbewohner zunehmend eine tödliche Gefahr dar.
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Es gibt zahlreiche Produkte, die Plastik beinhalten, obwohl man es ihnen auf den ersten Blick nicht ansieht (Kosmetikprodukte, Feuchttücher etc.). Mit wenig Aufwand können Sie diese erkennen und sogar leicht plastikfrei leben.
Müllstrudel im Ozean
Dass die Meere stark mit Plastikmüll belastet sind, zeigen nicht nur die zahlreichen Videos und Fotos in den sozialen Netzwerken. Auch die sogenannten Müllstrudel in den großen Weltmeeren machen das Abfallproblem mehr als deutlich. In diesen Strudeln sterben zahlreiche Tiere qualvoll – sie bleiben in Tüten und Verpackungen hängen und sind wie gefesselt oder verenden beim Versuch, den Müll zu essen. Zudem zieht der Abfall Bakterien und Krankheitserreger an, mit denen sich dann Fische, Muscheln und Vögel infizieren. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Video.
Was passiert mit Müll aus der EU?
Hauptverantwortlich für die Missstände bei der Müllverwertung ist die Industrie. Die Verbraucher machen nur einen kleinen Teil des Problems aus. Denn aufgrund der intensiven Mülltrennung machen innerhalb der EU Siedlungsabfälle – Hausmüll und hausmüllähnliche Abfälle – lediglich zehn Prozent des gesamten Abfallaufkommens aus, heißt es in einer Statistik der Europäischen Union.
Laut EU-Abgeordneten scheut die Industrie das Recycling von Plastik. Hersteller beklagen die damit einhergehenden hohen Kosten. Zudem verschlechtere sich auch die Qualität der Verpackungen, wenn sie aus Recyclingmaterial hergestellt werden. Weiterhin werde von der Verpackungsindustrie bemängelt, dass es durch die unzureichende Sortierung der zahlreichen, verschiedenen Kunststoffsorten schwieriger sei, die Vorgaben ihrer Kunden zu erfüllen. Diese setzten eine bestimmte Kombination der Rohstoffe für ihr Endprodukt voraus. Durch die Wiederverwertung von altem Plastik bei der Produktion könnten die Qualitätsstandards, laut Hersteller, nicht eingehalten werden.
Um die Recyclingquote der Unternehmen zu verbessern, fordert das EU-Parlament unter anderem einen höheren Mindestgehalt an recycelten Wertstoffen in Verpackungen sowie die "Senkung der Mehrwertsteuer auf recycelte Produkte". Bestimmte Einwegkunststoffprodukte direkt zu verbieten. Doch bis diese Forderungen umgesetzt sind, kann es für die Industrie weiterhin günstiger sein, Müll in Drittländer zu exportieren oder Einwegplastikverpackungen im EU-Ausland zu produzieren. Denn der Bau von modernen Sortieranlagen oder die Schaffung neuer Produktionswege kostet viel Geld.
Derzeit wird rund die Hälfte des anfallenden Wertstoffmülls außerhalb der EU exportiert. Neben – in geringen Mengen wieder – China, sind die Hauptabnehmer für nicht oder nur schwer verwertbares Plastik Länder wie Malaysia oder Indonesien. Die Vorschriften für die Aufbereitung von altem Kunststoff ist in diesen Ländern im Vergleich zur EU sehr gering. Teilweise ohne Schutzkleidung oder mithilfe von umweltschädlichen Prozessen wird aus dem Müll dann Granulat hergestellt, welches für die Produktion von Plastikbauteilen genutzt wird. Diese gelangen über Umwege wieder zurück in die EU – und nach Deutschland.
Welches Land gibt gute Anreize für Recycling?
Dass Wiederverwertung auch anders geht, zeigt beispielsweise Japan. Das Recyclingprogramm ist sehr aufwendig – es gibt knapp zehn Kategorien für Abfall: Dosen, PET-Flaschen, Plastikmüll, großer Müll (Sperrmüll), Papiermüll, Glasmüll sowie nichtbrennbarer und brennbarer Müll. Zudem sind die Müllverbrennungsanlagen mit modernen Filtersystemen ausgestattet, sodass die Luft laut Regierungsangaben "sauber" ist.
In Südkorea werden die Bürger mit finanziellem Druck zur Abfallreduzierung erzogen. Um die Mülltonne öffnen und denn Abfall wegschmeißen zu können, benötigen sie einen individuellen Chip. Die Mülltonnen wiegen dann den Abfall und können die Menge einzelnen Personen genau zuordnen. So können die entstandenen Kosten den jeweiligen Müllproduzenten bis aufs Komma genau in Rechnung gestellt werden.
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Ruanda greift härter durch, was den Wertstoff Plastik betrifft: Dieser ist seit 2008 in dem gesamten Land verboten – sowohl in Supermärkten als auch in der Tourismusbranche. In dem afrikanischen Land führt das Einführen und auch der Verkauf von Plastiktüten oder Ware in Plastikverpackungen zu hohen Geldstrafen. Teilweise sollen sogar Gefängnisstrafen verhängt worden sein – die Regierung greift bei ihrem Plastikverbot hart durch. Darüber hinaus sollen sich alle Ruander am letzten Samstag des Monats, Umuganda-Tag, an dem Säubern der Stadt beteiligen. Das hat zur Folge, dass sowohl in Parks als auch an Flüssen kein Kunststoffmüll vorhanden ist.
Plastikmüll muss kein globales Problem sein
Die von Jahr zu Jahr wachsen Müllmengen, verdeutlichen, dass es ein massives Problem mit Plastikmüll auf der Welt gibt. Es gibt Ansätze, die zeigen, dass ein bewusster Umgang mit Plastikmüll oder der Verzicht auf Kunststoff nicht unmöglich sind – teilweise mit geringen Kosten und wenig Aufwand. Für eine weltweite Lösung des Problems bedarf es jedoch einer globalen Zusammenarbeit von Staaten und der Industrie.
- Europäisches Parlament
- Schlüsseldaten über Europa
- bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V.
- FAZ
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