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Eckart von Hirschhausen: "Die Erderwärmung ist schlimmer als Covid-19"


Eckart von Hirschhausen
"Die Erderwärmung ist schlimmer als Covid-19"

MeinungEin Gastbeitrag von Eckart von Hirschhausen

Aktualisiert am 23.07.2023Lesedauer: 7 Min.
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Eine alte Dame schützt sich vor der Sonne: Die Klimakrise ist vor allem ein gesundheitliches Risiko, sagt Eckart von Hirschhausen. Man müsse die Menschheit retten, nicht das Klima.Vergrößern des Bildes
Eine alte Dame schützt sich vor der Sonne: Die Klimakrise ist vor allem ein gesundheitliches Risiko, sagt Eckart von Hirschhausen. Man müsse die Menschheit retten, nicht das Klima. (Quelle: Anton Novoderezhkin/TASS)

Während der Krieg in der Ukraine die Nachrichten beherrscht, geht ein anderer Kampf unvermindert weiter: Die Klimakrise bedroht die Menschheit auf der ganzen Erde, wie der neue Weltklimabericht zeigt. Warum Aufgeben keine Option ist, erklärt Eckart von Hirschhausen.

Momentan ist einem wirklich nicht nach weiteren Weltuntergangsszenarien zumute. Und auch als grundsätzlich optimistischer Mensch vergeht mir gerade der Humor.

Mein Mitgefühl ist voll bei den Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen. Dennoch: Wir haben einen Krieg an mehreren Fronten, und es gibt eine innere Verbindung zwischen den Konfliktherden.

Auf meinem Buch "Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben" prangt ein Sticker: "Drei Krisen zum Preis von zweien". Damit meinte ich die Pandemie, das Artensterben und die Klimakrise. Aber es passt auch zu dem Kampf um fossile Energie, um Wasser und Boden.

Ohne Klimaschutz kein Frieden

Dr. Kira Vinke, die Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, beschreibt es so:

"Der neue IPCC-Bericht unterstreicht, dass die Klimakrise eine fundamentale Bedrohung für Frieden und Stabilität ist – auch in Europa. Für Deutschland ergibt sich daraus die zwingende Notwendigkeit, außen- wie innenpolitisch multiple Krisen gleichzeitig zu bewältigen."

"Während unmittelbar Ressourcen gebündelt werden müssen, um Angriffe auf die Europäische Friedensordnung abzuwenden, lenkt der Weltklimarat unseren Blick wieder auf die dramatischen Folgen, die eine entfesselte Klimakrise nach sich ziehen wird. Ohne Klimaschutz kein Frieden – das gilt nach wie vor und bestätigt auch die bestehenden energiepolitischen Abhängigkeiten von Russland."

Die Erderwärmung ist schlimmer als Covid-19

Jedes Jahr sterben laut Weltgesundheitsorganisation WHO über acht Millionen Menschen an Luftverschmutzung, also weitaus mehr als bislang in der Summe an Covid-19. Ich möchte nichts verharmlosen, aber in Relation bringen.

Dort wo die Luft dreckig ist, gibt es auch mehr Corona-Tote. In unserem Körper kommen ja alle schädigenden Einflüsse zusammen. Und Luftverschmutzung entsteht maßgeblich durch das Verbrennen von fossilen Energieträgern wie Kohle. Genau die Treiber der Erderwärmung, die die Atmosphäre belasten, belasten uns im Inneren.

Am Montag ist der neue IPCC-Bericht erschienen. Darin verweist der Weltklimarat darauf, dass schon jetzt 3,3 bis 3,6 Milliarden der knapp acht Millionen Menschen weltweit durch den Klimawandel "hochgradig gefährdet" sind!

(Quelle: Dominik Butzmann)


Dr. Eckart von Hirschhausen (54) ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen". Seit 2018 setzt er sich für eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klimapolitik ein. Von Hirschhausen ist Mitglied der Scientists for Future und Unterstützer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit.

Wir sind viel verletzlicher, als wir denken

Viel zu lange haben wir geglaubt, das wird alles nicht so schlimm. Und irgendwie werden wir etwas erfinden, was uns aus der Patsche hilft, oder wir werden uns anpassen können. Eine gefährliche Illusion. Wir Menschen sind viel verletzlicher, als unser Hirn uns vorgaukelt.

Es ist ja psychologisch gesund, sich nicht ständig mit der Vollkatastrophe zu beschäftigen – aber auf Dauer ist es kindisch, wie wir ignorieren, dass wir gerade gleichzeitig Täter und Opfer sind. Wir zerstören den einzigen Ort, auf dem wir leben können: die Erde.

Gesunde Erde – Gesunde Menschen

Wir Menschen brauchen als Allererstes etwas zu essen, zu trinken, zu atmen, um gesund zu sein. Und erträgliche Außentemperaturen. All das ist bedroht.

Das heißt: Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns! Naturschutz und Tierschutz ist auch Gesundheitsschutz – wenn wir das aus dem vergangenen Jahr gelernt haben, war es wenigstens zu etwas gut. Dieser Kerngedanke nennt sich international "one health" oder auf Deutsch: Gesunde Erde – Gesunde Menschen. Doch das ist vielen Leuten noch immer nicht voll bewusst.

Niemand schaut hin

In der Netflix-Satire "Don't Look Up" warnen Forscher die Welt vor einer Katastrophe – und werden ignoriert. Das bringt es leider auf den Punkt: Wir haben eine Klimakatastrophe und keiner guckt hin.

Als Arzt habe ich gelernt: erst die Diagnose, dann die Therapie. Wenn vielen Menschen immer noch nicht klar ist, in welcher wirklich bedrohlichen Situation wir sind, braucht es eine unverblümte Schilderung dessen, was heute schon passiert. Und was an Krisen, Konflikten und Vollkatastrophen auf uns zukommt, wenn wir nicht handeln.

Es gibt kein Zurück

Denn das liegt in der Natur der Kipppunkte: Kein Geld, keine Erfindung und keine Macht der Welt kann sie rückgängig machen, wenn sie einmal überschritten sind.

Auch das steht im neuen IPCC-Bericht: Hitzewellen und Extremwetter lösten schon vielfach ein Massensterben aus. Mittlerweile ist für einige wenige Arten sicher belegt, dass sie durch den Klimawandel endgültig ausgestorben sind. Diese Arten kehren nie mehr zurück.

Auch ganze Ökosysteme nähern sich dem Punkt, an dem sie sich nicht mehr retten lassen – zum Beispiel durch den Rückzug der Gletscher oder weil die Permafrostböden in der Arktis auftauen. Und wenn die Gletscher und Eismassen an den Polkappen abgeschmolzen sind, setzen Kettenreaktionen ein, die es ebenfalls immer heißer werden lassen.

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Wir haben alles zu verlieren an Gesundheit und Wohlstand, wenn wir tatenlos zusehen. Und sehr viel an Lebensqualität zu gewinnen, wenn wir uns aufraffen, die Klimakrise zu stoppen. Sie bedroht massiv unsere Gesundheit, weltweit und eben auch in Deutschland.

Zehntausende Hitzetote in Deutschland

Das wird mit jedem Hitzesommer und jedem Extremwetterereignis klarer: Die Klimakrise betrifft nicht nur Eisbären und ferne Küstenregionen – sie betrifft uns hier, heute und erst recht in Zukunft. Sie betrifft jedes Organ, jedes Kind, jeden alten Menschen.

Beispiel Hitze: Im Extremsommer 2018 sind allein in Deutschland 20.000 Menschen gestorben. Hitze ist ein medizinischer Notfall. Der Körperteil, der am wenigsten Hitze verträgt, ist unser Gehirn.

Lange bevor wir mit Hitzschlag zusammenbrechen, reduziert sich klammheimlich unsere geistige Leistung, unser Wohlbefinden und unsere seelische Gesundheit. Bei jedem Rechner wissen wir, der Zentralspeicher geht in die Knie, wenn er nicht gekühlt wird.

Das ist bei unserem Zentralrechner da oben genau das Gleiche. Weil wir also nicht mehr klar denken können, werden psychische Erkrankungen wahrscheinlicher und es kommt vermehrt zu Unfällen. Wir Ärzte können bei Fieber die Körpertemperatur zwar senken. Aber wir können keine Außentemperatur senken.

Unser Hirn ist bei 42 Grad futsch

Der Glaube, wir könnten uns an Hitze gewöhnen, ist leider eine große Illusion. Wir sind Menschen und keine Maschinen. Menschen sind biologische Wesen, unser Körper ist anfällig und verletzlich. Klar, im Urlaub, in der Sauna, im begrenzten Rahmen reguliert das unser Schweiß, unser Kreislaufsystem. Aber wir kommen sehr schnell an unsere Grenze.

Ich mache das immer gern anschaulich: Wenn man ein Ei in ein heißes Wasserbad mit 42 Grad legt, dann ist es irgendwann hart. Wenn das Wasser abkühlt, wird es nicht mehr weich.

Ähnlich ist das beim Menschen: Wir bestehen wie ein Ei aus Wasser und aus Proteinen. Unser Hirn ist bei 42 Grad futsch. Es ist irreversibel gestört. Trotzdem haben wir in Deutschland nicht aus den vergangenen Hitzewellen gelernt.

Ohne Schutz in den nächsten Supersommer

Warum gibt es bei uns nicht wie in jeder fanzösischen Kommune Hitzeschutzpläne? Gegen Viren kann man impfen, gegen Hitze nicht. Besonders gefährdet sind Kinder, Ältere und Vorerkrankte.

Wie viele Krankenhäuser, Altenheime, Kinder- und Pflegeeinrichtungen sind schon hitzeresilient? Die meisten stammen aus einer Zeit, in der niemand an Wärmeeintrag, Verschattung, Dachbegrünung und Deckenkühlung gedacht hat.

Hier braucht es eine intelligentere Stadtplanung, denn in Städten ist die Hitzebelastung besonders hoch. Und die Erderwärmung bringt noch weitere gesundheitliche Probleme mit sich.

Tropenkrankheiten vor der Haustür

Die Mücken kommen als blinde Passagiere mit Autos und Lastwagen aus dem Süden – und sie können Viren mitbringen, die wir bei uns noch nicht hatten. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Und gegen die Wärme.

In meiner Ausbildung zum Arzt spielte das Thema Klimawandel überhaupt keine Rolle. Wir lernten etwas über Tropenkrankheiten wie das West-Nil-Fieber, aber keiner hat uns darauf vorbereitet, dass wir das jemals in echt diagnostizieren würden – vor unserer Haustür.

Im Jahr 2019 ist in Deutschland erstmals eine durch Mücken übertragene Infektion und Erkrankung mit dem West-Nil-Virus bekannt geworden, in Sachsen. Mittlerweile gab es auch in Berlin erste Fälle.

Steigende Temperaturen bringen aber noch mehr durcheinander: Milde Winter verschieben die Flugzeiten der Pollen. Im Januar blüht schon die Hasel – und Allergikern blüht ab dann der Heuschnupfen. Wir haben auch plötzlich die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) schon im Januar. Alles sehr ungesund. All diese Bedrohungen können einem auch auf die Psyche schlagen.

Wo wollen wir denn hin?

Die Klimakrise hat ja alle Merkmale eines Ereignisses, das uns traumatisiert: extreme Wetterlagen, steigende Meeresspiegel, Dürren, Überschwemmungen, Waldbrände. Die Veränderungen machen Angst und sie sind irreversibel.

Das unterscheidet die Klimakrise von anderen Krisen. Wo sollen wir denn hin, wenn wir hier nicht mehr sein können? Unsere Psyche reagiert mit Unsicherheit, Ohnmacht, einem Gefühl von Hilflosigkeit: "Eco-Distress".

Der australische Umweltphilosoph und Nachhaltigkeits-Professor Glenn Albrecht hat den Begriff der "Solastalgie" erfunden. Solastalgie ist der Schmerz um den Verlust unserer Umwelt.

Die seelischen Folgen des Klimawandels wurden bislang noch nicht systematisch erfasst. Hier gibt es großen Nachholbedarf, denn sie könnten in Zukunft zu den häufigsten Nebenwirkungen der Klimakrise gehören. Aufgeben ist trotzdem keine Option.

Die nächsten Jahre entscheiden alles

Für ein besseres Gefühl kann es schon helfen, sich immer wieder gezielt positive Gegenbeispiele vor Augen führen. Oder man wird selbst aktiv: Jede und jeder kann etwas tun und dadurch gleichzeitig jede Menge an Lebensqualität gewinnen.

Rad statt Auto, Zug statt Flugzeug und Gemüse statt Fleisch. Wir könnten viel klarer betonen, welche Vorteile wir selbst haben, wenn wir für den Klimaschutz handeln.

Und ganz wichtig: Der Einzelne hat die größte Wirkung, wenn er kein Einzelner bleibt! Machen Sie sich schlau, finden Sie Verbündete. Welche Personen kennen Sie, die noch mehr Möglichkeiten haben etwas zu verändern, als Sie selbst?

Der jüngste IPCC-Bericht sagt: Je weniger wir den Planeten erwärmen, desto weniger schädlich wird der Klimawandel sein. Heißt: Die CO2-Konzentration wird sich in der Atmosphäre stabilisieren, wenn die Emissionen auf null reduziert werden.

Die nächsten zehn Jahre entscheiden darüber, wie die nächsten 10.000 Jahre für unsere Zivilisation werden. Wir haben alles zu verlieren. Und deshalb ganz viel zu gewinnen. Wir können es so viel schöner haben als jetzt – und so viel gesünder!

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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