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Trotz Ukraine-Krieg: "Wir können Putin nicht nur den Mittelfinger zeigen"


Zukunft trotz Krise
"Wir können Putin nicht nur den Mittelfinger zeigen"

  • Theresa Crysmann
InterviewVon Theresa Crysmann

Aktualisiert am 04.05.2022Lesedauer: 6 Min.
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Wladimir Putin: Neben Klimakrise und Pandemie bereitet auch der Krieg des russischen Präsidenten gegen die Ukraine vielen Menschen Angst vor der Zukunft.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Neben Klimakrise und Pandemie bereitet auch der Krieg des russischen Präsidenten gegen die Ukraine vielen Menschen Angst vor der Zukunft. (Quelle: imago-images-bilder)

Krieg, Pandemie und Klimakrise: Die Angst der Deutschen vor den kommenden Jahren wächst. Zukunftsforscher Johannes Kleske erklärt im Interview mit t-online, warum der Ansatz "Augen zu und durch" nichts bringt.

Nur 19 Prozent der Deutschen schauen zuversichtlich auf das kommende Jahr, so das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Seit Jahrzehnten war die Angst vor der Zukunft nicht mehr so ausgeprägt wie aktuell.

Zwei Jahre Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine nagen nicht nur an der Wirtschaft, sondern vor allem am Grundvertrauen vieler Menschen auf Frieden und Gesundheit als verlässliche Normalzustände. Gerade Jugendlichen und jungen Erwachsenen setzt außerdem die Klimakrise zu: Weltweit geben knapp zwei Drittel der 16- bis 25-Jährigen an, sich große oder extrem große Sorgen wegen des menschengemachten Klimawandels zu machen. Und auch die ältere Generation blickt beunruhigt auf die fortschreitende Erderhitzung.

Im Gespräch mit t-online erklären der Zukunftsforscher Johannes Kleske und die WWF-Klimachefin Viviane Raddatz, wieso der Ansatz "Augen zu und durch" nichts bringt und warum eine positive Zukunft immer mit Arbeit verbunden ist.

t-online: Der Krieg in der Ukraine wütet im dritten Monat, die Inflation liegt auf Rekordniveau, die Pandemie dauert an und dann ist da noch die Klimakrise. Kann man noch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken?

Viviane Raddatz: Jetzt gerade sieht es tatsächlich nicht rosig aus. Aber wenn man aufhört, sich auszumalen, wie es besser laufen könnte, kann man auch gleich aufgeben.

Johannes Kleske: Aktuell kriegt man leicht das Gefühl, dass alles nur noch schlimmer wird. Aber der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass viele Horrorszenarien nie Realität geworden sind. Dafür musste allerdings immer gekämpft werden.

Bittere Zeiten auszusitzen, reicht also nicht?

Johannes Kleske: Nein, es wird nicht von allein besser. Angsteinflößende Szenarien wurden abgewandt, weil die Menschen gesagt haben: Wir geben nicht auf, wir lassen nicht locker. Die Geschichte zeigt, dass es nichts bringt, nur auf bessere Zeiten zu hoffen. Man muss sich richtig reinhängen. Gerade das motiviert mich – wir haben selbst in der Hand, wie die Zukunft aussieht.

Johannes Kleske beschäftigt sich als Zukunftsforscher damit, welche Zukunftsszenarien für die Gesellschaft möglich, wahrscheinlich und wünschenswert sind. Viviane Raddatz leitet den Bereich Klima und Energie bei der Umweltschutzorganisation WWF, wo sie sich für die Klimaneutralität in Deutschland einsetzt.

Wo sehen Sie dabei den wichtigsten Hebel?

Viviane Raddatz: Viele der riesigen Probleme, vor denen wir stehen, haben eine gemeinsame Lösung: raus aus den fossilen Energien, so schnell es geht. Das ist einerseits gut für das Klima, weil damit der größte Treiber der Erderhitzung wegfällt. Und es fördert den Frieden, da die sinkende Nachfrage nach Gas, Öl und Kohle die Kriegskassen autokratischer Staaten schrumpfen lässt.

Wie schnell es mit der Energiewende vorangeht, entscheidet aber letztlich die Regierung: Laut vielen Wissenschaftlern immer noch zu langsam.

Viviane Raddatz: Ja, das stimmt – aber es läuft schon deutlich besser als unter früheren Bundesregierungen. Und auch im Kleinen kann man etwas beisteuern.

Zum Beispiel?

Viviane Raddatz: Im Moment gibt es ein richtiges Aufleben beim Energiesparen. Zugegeben: auch, weil die Preise so stark gestiegen sind. Aber viele wollen ebenso einen Beitrag leisten, um die Nachfrage nach russischem Gas zu drücken. Energieeffizienz war vorher untergegangen – und jetzt geht es in vielen Haushalten plötzlich um Gebäudesanierung, sparsames Heizen, richtiges Lüften und langsameres Fahren auf der Autobahn. Das sind zwar keine Allheilmittel, aber die Ansätze helfen, in ein lösungsorientiertes Denken zu kommen. So bitter das klingen mag.

Weniger Ohnmachtsgefühl dank Tempolimit?

Johannes Kleske: Verzicht allein inspiriert niemanden. Wir können Putin nicht nur den Mittelfinger zeigen. Gleichzeitig müssen wir eine positive Vision für die Zukunft entwickeln, die uns allen ein besseres Leben ermöglicht. Nicht nur geopolitisch, sondern ganz nah bei uns – zu Hause, in unserer Straße und Nachbarschaft, der eigenen Stadt oder Region. Dafür reicht eine Frage: Was wäre, wenn alles gut wird? Dadurch wird der Kopf dafür frei, wie das eigene Leben aussehen könnte.

Die bedrückende Lage macht es nicht leicht, sich in eine bessere Zukunft wegzuträumen.

Johannes Kleske: Es geht dabei nicht ums Träumen, sondern darum zu planen! Nur wenn ich weiß, was mein Ziel ist, kann ich herausfinden, was ich tun muss, um dahinzukommen. Und den ersten Schritt machen.

Gerade rund um die Klimakrise dominieren aber lähmende Schreckensszenarien: mehr tödliche Hitzewellen, verheerende Überflutungen, Dürren, Ernteausfälle und weltweite Fluchtbewegungen. Wie soll das motivieren?

Viviane Raddatz: Diese Krisenszenarien sind wissenschaftliche Vorhersagen, die sich nicht schönreden lassen. Aber die Prognosen zeigen kein unausweichliches Schicksal, sondern was auf uns zukommt, wenn wir nur mit den Achseln zucken. Zahlreiche Auswirkungen der Klimakrise lassen sich noch aufhalten oder immerhin abschwächen. Statt die Augen zu verschließen, müssen wir unsere Zukunft selbst schaffen.

Johannes Kleske: Die negativen Prognosen können einen wachrütteln. Aber es braucht positive Visionen, um sich aufzuraffen. Was passiert denn, wenn wir unsere E-Autos für wenige Cent überall laden können? Wenn ein Dorf an neuen Windrädern mitverdient? Wenn Bus und Bahn mich zuverlässig zur Arbeit und zum Einkaufen bringen? Das macht Lust, sich einzusetzen und sich mit gleichgesinnten Leuten zusammenzutun.

Beispielsweise beim Stichwort "autofreie Innenstädte" werden viele Leute aber immer noch wütend statt inspiriert.

Johannes Kleske: Das ist ja auch ein negatives Zukunftsszenario! Da sagen die Autofahrer zu Recht: "Du willst uns was wegnehmen!" Da muss man ganz anders rangehen: Wie wäre es, wenn in den Innenstädten mehr Platz für Grünflächen und Naherholung ist? Weniger Lärm, weniger Verkehrstote und bessere Luft? Da entstehen gleich ganz andere Bilder.

Geht es Ihnen dabei also nur ums richtige Verpacken der Botschaften, um die Menschen zu überzeugen?

Johannes Kleske: Nein, auf keinen Fall. Es geht um viel mehr.

Viviane Raddatz: Konkrete hoffnungsstiftende Vorstellungen für die Zukunft zu entwickeln, bringt viele Menschen erst darauf, dass es auch anders laufen kann als bisher. Zu oft wird der Status quo einfach als naturgegeben wahrgenommen – im Sinne von: So ist es jetzt, so wird es bleiben.

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Johannes Kleske: Dieses Festhalten am vermeintlichen "Normalzustand" ist auch erstmal verständlich. Veränderung ist evolutionstechnisch immer eine Gefahr: Wir alle sind hier, weil unsere Vorfahren extrem vorsichtig waren und lieber dreimal geguckt haben, ob im Busch ein Säbelzahntiger sitzt. Deshalb tun wir uns auch heute mit Neuerungen schwer. Und es kommt auch sehr darauf an, ob ich das Gefühl habe, bevormundet zu werden.

Einen dicken SUV zu fahren und über Greta Thunberg zu meckern, ist also eine Trotzreaktion?

Johannes Kleske: Wenn man das Gefühl hat, man wird bevormundet oder kriegt etwas aufgezwungen, rutscht man ganz natürlich in eine Ablehnungshaltung. Egal bei welchem Thema. Daher ist Teilhabe beim Klimaschutz so wichtig – am besten funktioniert ein langsamer Prozess, bei dem alle mitreden können und tatsächlich gehört werden.

Vor 20 Jahren hätte das wohl funktioniert. Jetzt bleibt für eine behutsame Umstellung aber keine Zeit mehr. Kohleausstieg, Verbrennerverbot, alles muss Schlag auf Schlag gehen. Lässt sich der Riss, der dadurch in der Bevölkerung entsteht, mit emotionalen Appellen für mehr Spielstraßen kitten?

Viviane Raddatz: Man darf sich nicht von dieser recht kleinen Gruppe der Energiewendegegner blenden lassen. Die sind zwar laut und beharrlich, aber in der absoluten Minderheit. Alle relevanten Erhebungen zeigen, dass in Deutschland rund 80 Prozent der Bevölkerung hinter der Energiewende stehen. Dass die Ampelregierung das jetzt beschleunigt, kommt ebenfalls gut an. Schauen Sie auf die Zustimmungswerte für die entsprechenden Politikerinnen und Politiker! Diese neue Dynamik nimmt die Leute also auch an die Hand.

Johannes Kleske: Dadurch entsteht gerade auch unheimlich viel Raum für eigene Zukunftsvisionen. Weil man merkt: Da ist Bewegung drin, es tut sich etwas. Muss ich davon ausgehen, dass alles gleich bleibt, habe ich keinen Antrieb, um etwas anzupacken. Aber wenn ich eine Chance auf Veränderung in meinem Sinne sehe, bin ich bereit, heute etwas dafür zu tun.

Viviane Raddatz: Das muss nicht die große Revolution sein. Nicht alle können sofort ihre Gastherme austauschen. Wer das kann, sollte es tun, aber Teilhabe am Wandel geht auch anders: mehr Radfahren, sich für bessere Infrastruktur einsetzen oder eine Petition für erschwingliche Öffis unterschreiben. Damit ist man schon mittendrin in der Energiewende.

Frau Raddatz, Herr Kleske, besten Dank für das Gespräch.

Dieses Interview ist im Rahmen einer redaktionellen Kooperation mit dem WWF Deutschland entstanden.

Zu schön, um nicht wahr zu werden: Der WWF entwirft mit seiner neuen Kampagne "WWF Zukunft" die Vision einer voll gelungenen Energiewende. Was wird sich ändern, wenn wir Strom und Wärme nur noch aus erneuerbaren Quellen beziehen, die Verkehrswende gelingt und die Wirtschaft klimafreundlich arbeitet? Und vor allem: Wie verändert sich mein eigenes Leben? Sinkende Strompreise, mehr Gesundheit und Sicherheit sowie neue Jobs sind möglich, wenn wir heute schon für die Zukunft anpacken. Mehr Infos unter: zukunft.wwf.de

Verwendete Quellen
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