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Familie: So beeinflussen uns noch heute die Neandertaler


Partnerwahl und Familienleben: So beeinflussen uns noch heute die Neandertaler

t-online, Simone Blaß

05.07.2017Lesedauer: 5 Min.
So beeinflussen uns noch heute die Neandertaler
Babys schlafen zum Beispiel am besten bei der "Horde", weil sie sich hier am sichersten fΓΌhlen. (Quelle: alexandr_1958/Thinkstock by Getty-Images-bilder)
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Wir leben in Zeiten des Internet of Everything, tragen atmungsaktive Kunsttextilkleidung und kânnen in Sekundenschnelle mit dem anderen Ende der Welt Kontakt aufnehmen. Unser Verhalten allerdings steckt noch in den Fellschuhen. Tief in uns schlummern archaische Ururgroßeltern und beeinflussen uns gerade bei Partnerwahl und Kinderaufzucht ganz entscheidend.

Wir haben die Evolution ΓΌberholt

Betrachtet man die Gattung "Homo" als 24-Stunden-Tag, dann hat der Mensch 23 Stunden davon als JΓ€ger und Sammler verbracht. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass noch heute zwei bis vier Prozent Neandertaler in unseren Genen stecken. Dieses evolutionΓ€re GepΓ€ck zeigt sich zum einen in FΓ€higkeiten wie dem Ohrenwackeln, zum anderen aber auch in zahlreichen Verhaltensweissen: Der Mann am Grill, der Singsang bei der Kommunikation mit einem Baby, aber auch unsere Reaktion auf Stress – all das sind Überbleibsel unserer Vorfahren.

Kleine Jungs haben es besonders schwer

Die Anthropologen Lionel Tiger und Robin Fox beschΓ€ftigten sich ausfΓΌhrlich mit dem "SteinzeitjΓ€ger im SpΓ€tkapitalismus" und halten uns fΓΌr "eingekerkerte, domestizierte, vergiftete, vermasste und verwirrte JΓ€ger". Wer sich jemals darΓΌber gewundert hat, warum es MΓ€dchen im Grundschulalter leichter fΓ€llt, stillzusitzen, der muss sich nur mal das Urzeitszenario vor Augen fΓΌhren. Da wird schnell klar, warum kleine NachwuchsjΓ€ger einen solchen Bewegungsdrang haben. Sie nehmen alles um sich herum exakt wahr; so waren sie frΓΌher die Lebensversicherung fΓΌr die Horde. Heute gelten sie als hyperaktiv und werden therapiert.

Das Mama-Memory

Die Liste der Verhaltensweisen, die wir mit den Urmenschgenen in uns erklΓ€ren kΓΆnnen, ist lang: Ein offener Kamin lΓΆst GefΓΌhle von Behaglichkeit aus. Kleine Kinder spucken Bitteres aus, weil es Gefahr bedeutet. MΓ€nner orientieren sich an Richtung und Bewegung. Frauen dagegen sind in der Lage, weit verstreute, aber unbewegliche Dinge in einem Suchgebiet wiederzufinden – nicht umsonst wissen MΓΌtter meistens, in welcher Ecke die Turnschuhe ihres Sohnes liegen.

Und auch die Tatsache, dass kleine Kinder Angst vor Fremden oder dunklen Kellern haben, aber mit Vorliebe ihre Fingerchen in Steckdosen stecken und keinerlei Respekt vor großen Straßen zeigen, erklÀrt sich vor dem Hintergrund der besagten Timeline: Moderne Gefahren existieren einfach noch nicht lang genug für eine genetische Anpassung.

Die Angst vor dem Kuckuckskind

Die englische Anthropologin Alice Roberts geht davon aus, dass unser Flirtverhalten von den Jagderfahrungen unserer Vorfahren geprΓ€gt wird. Frauen bevorzugen große MΓ€nner mit einem sozialen Stand, der ΓΌber ihrem eigenen ist – ein nachgewiesenes Verhalten, das wir gerne leugnen. Und MΓ€nner betrachten unbewusst die Proportionen einer Frau. Zum einen, weil sie ihre Gene weitergeben wollen und sich die Frau dafΓΌr eignen muss. Und zum anderen, weil sie sichergehen wollen, dass da nicht schon ein Kuckuckskind von einem anderen unterwegs ist.

Hat eine Frau also einen flachen Bauch und eine etwas breitere HΓΌfte, dann stehen die Chancen auf Reproduktion gut. Zudem sollte sie einen makellosen Ruf haben – heute wie damals. Denn nur so ist gewΓ€hrleistet, dass sie sich auch angemessen um die Aufzucht kΓΌmmert.

Kann er uns versorgen?

WÀhrend sich der Mann vor einem Kuckuckskind fürchten muss, kann die Frau sicher sein, dass die HÀlfte des kindlichen Genpools von ihr ist. Für die Frau ist es hingegen viel wichtiger, einen Mann zu finden, der sich anstÀndig um sie und ihren Nachwuchs kümmert. "Für sie ist es entscheidend, wÀhlerisch zu sein, denn die Wahl eines falschen Partners vermindert aus evolutionÀrer Sicht nicht nur die Überlebenschancen ihrer Nachkommen und damit die Weitergabe ihrer Gene, sondern sie geht auch das persânliche Risiko ein, einen nicht unerheblichen Zeitraum ihres Lebens mit einer nutzlosen Schwangerschaft und Kinderaufzucht zu vergeuden", so der Wissenschaftsautor Jürgen Brater in seinem Buch "Wir sind alle Neandertaler".

Neandertaler waren soziale Wesen

Der Neandertaler war kein affenartiger Banause, sondern ein soziales Wesen. Damals wie heute gibt es einen Unterschied zwischen einer Kindheit in harter Umgebung und einer harten Kindheit. Die Neandertaler lebten in kleinen Gruppen zusammen, emotional zusammengeschweißt und kümmerten sich gut um ihre Kinde.

Die, wenn sie groß genug, also geschlechtsreif geworden sind, sich eigene Gruppen aufbauen mussten. Mit denen sind sie ausgezogen, um andere Gegenden zu erobern, auch mal ein Risiko einzugehen und sich einen Partner zu suchen. Im Prinzip genau das Gleiche, was unsere Jugendlichen auch machen. Kein Wunder also, dass ein Sonntagsausflug mit der Familie, ein wÀrmender Schal oder gar ein Fahrradhelm nicht Platz Nummer eins auf ihrer Interessensliste einnehmen.

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Wissen um den Neandertaler in uns erleichtert Umgang mit Babys

Gerade bei der Partnerwahl, der Schwangerschaft und wenn ein Kind noch sehr klein ist, kΓΆnnen wir nicht aus unserem β€žFellβ€œ. Da steckt das stammesgeschichtliche Verhalten tief in uns. Unter dieser Voraussetzung erklΓ€rt sich auch, warum eine Geburt in RΓΌckenlage auf einer Liege nicht unserer Natur entspricht, wieso Neugeborene in den ersten Lebensstunden nicht unbedingt Nahrung brauchen und wieso die Muttermilch versiegt, wenn die frischgebackene Mama in Stress gerΓ€t.

Auch hier greifen uralte Verhaltensmuster: Denn wenn der HâhlenbÀr oder der SÀbelzahntiger im Anmarsch sind, kann man keine laufenden Brüste gebrauchen, dann geht es erst einmal darum, den Nachwuchs in Sicherheit zu bringen. Beruhigt sich alles, fließt auch die Milch wieder.

Leider hilft selbst das Wissen um diesen Mechanismus vielen Frauen heute nicht. Denn unser Stress ist kein SΓ€belzahntiger, der sich irgendwann wieder schleicht. Ist man sich der Ursache aber bewusst, sorgt man mΓΆglichst fΓΌr Ruhe rund um Mutter und SΓ€ugling.

Babygeschrei: erfolgreiche Überlebensstrategie

Das beste Beispiel fΓΌr unsere Urgene ist das Schlafverhalten von Babys. Lange Zeit dachte man, sie mΓΌssten doch ganz wunderbar schlafen, wenn sie allein in einem verdunkelten Zimmer sind und alles ruhig ist. Und hat sich gewundert, warum das nur so selten funktioniert. Ganz einfach: Babys wollen nicht alleine sein. Sie wollen hΓΆren und spΓΌren, dass da Menschen um sie herum sind, denn nur dann sind sie auch in Sicherheit.

Alles andere würde bedeuten, alleine irgendwo zurückgelassen zu sein. Und was das heißt, wenn der SÀbelzahntiger um die Ecke kommt, ist klar. Also wird aus LeibeskrÀften geschrien und dem kann sich niemand entziehen. Das ist eine Tonlage, die sofort das Bedürfnis auslâst, das verwaiste Kind zu suchen und zu retten. Und sei es mitten in einer Einkaufspassage.

Wir sind nicht Sklave unserer Gene

Die Unterschiede im Verhalten der MΓ€nnchen und Weibchen unserer Spezies entsprechen uralten Mustern und Rollen. Bestes Beispiel: die Kommunikation. Immer wieder interpretieren Frauen das Schweigen ihres Mannes oder auch Sohnes als Zeichen von mangelndem Vertrauen "…und ΓΌbersehen dabei, dass der ein Mammut verfolgende SteinzeitjΓ€ger nicht bei jeder Schwierigkeit zurΓΌck ins Lager eilen konnte, um der Ehegattin seinen Kummer zu offenbaren und sie um seelischen Beistand zu bitten", so Brater.

Dem Neandertaler in uns ist es vΓΆllig gleichgΓΌltig, ob sich die Rollen an sich gewandelt haben. Je mehr wir uns aber darΓΌber im Klaren sind, was der Urmensch in uns auslΓΆst, desto eher verstehen wir unser Verhalten – und kΓΆnnen dieses auch bewusst verΓ€ndern.

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