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Erziehung: Ohrfeigen sind immer noch eine gängige Strafe


Gewalt
Ohrfeigen sind immer noch eine gängige Strafe

Von dpa-tmn, t-online
Aktualisiert am 19.07.2011Lesedauer: 6 Min.
Gewalt gegen Kinder: Schläge zerstören das Vertrauen.Vergrößern des BildesSchläge zerstören das Vertrauen. (Quelle: imago-images-bilder)
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Ohrfeigen und Fernsehverbot sind als Strafe für Kinder noch verbreitet. Das geht aus einer repräsentativen Studie der AOK hervor. In mehr als jedem zweiten Haushalt (57 Prozent) geben die Eltern ihrem Nachwuchs ab und zu eine leichte Ohrfeige oder einen Klaps auf den Po - obwohl 94 Prozent der Befragten physische Gewalt in der Erziehung ablehnen.

Hausarrest in jeder vierten Familie üblich

Die Hälfte der 1000 befragen Mütter und Väter streicht den Kindern das TV-Programm, wenn diese sich nicht an Regeln hielten. Gut vier von zehn Eltern schalten zur Strafe den Computer aus. Auch der Hausarrest bleibt aktuell: In jeder vierten Familie dürfen Kinder nicht vor die Tür, wenn sie etwas angestellt haben.

Die Ergebnisse der AOK-Umfrage decken sich in etwa mit einer Studie des Kinderschutzbundes im Auftrag der Bundesregierung aus dem Jahr 2009. Demnach ist für 90 Prozent der Eltern in Deutschland eine gewaltfreie Erziehung das Ideal. 14 Prozent schlagen ihre Kinder aber immer noch. Zudem greift über die Hälfte der Eltern gelegentlich auf sogenannte leichte körperliche Strafen als Erziehungsmittel zurück.

Recht auf gewaltfreie Erziehung

Gewalt in der Erziehung wird also scheinbar nur theoretisch von einem Großteil der Eltern kategorisch abgelehnt. Die Frage, die sich hier stellt, ist: Wo beginnt Gewalt? Ist eine gelegentliche Ohrfeige noch harmlos? Der Gesetzgeber formuliert das in dem seit Ende 2000 bestehenden "Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung" ganz deutlich: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Auf dem Papier bedeutet das, dass Schläge - und dazu gehören auch Ohrfeigen - als vorsätzliche Misshandlungen strafbar sind. Auch dann, wenn sie keine schwerwiegenden Verletzungen zur Folge haben. Doch der Sinn des Gesetzes ist es nicht, Eltern zu kriminalisieren. Es will aufrütteln, das Bewusstsein verändern. Dahingehend, dass Gewalt kein geeignetes Erziehungsmittel ist.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Gewalt und Stress

"Körperliche Gewalt, Vernachlässigung und sexueller Missbrauch kommen in allen Schichten vor. Wo aber der Druck in Familien sehr groß ist, sei es wegen finanzieller Sorgen, Arbeitslosigkeit, Alkoholproblemen oder mangels unterstützender Beziehungen, da ist die Gefahr, geschlagen zu werden für Kinder am größten“, so Paula Honkanen-Schoberth vom Deutschen Kinderschutzbund. Zunehmend kann man aber Gewalt in der Erziehung nicht mehr einem bestimmten Bildungsgrad zuordnen. Das Ideal der gewaltfreien Erziehung scheint alle Bevölkerungsgruppen erreicht zu haben. Das zeigt sich auch an der wachsenden Sensibilität in der Gesellschaft. Die Veränderung ist unter anderem daran zu erkennen, dass mehr Fälle von Misshandlung gemeldet werden als früher. Man ist hellhöriger geworden und schaut nicht mehr so schnell weg.

Schläge zerstören das Vertrauen

Viele Eltern finden sich aber trotz aller guter Vorsätze immer wieder in der Situation, dass sie doch zugeschlagen haben. Hilflosigkeit, Überforderung und Stress strapazieren die Geduld und die Hand rutscht aus. Auf das Schlagen folgt die Reue und dieses Verhalten wiederholt sich unter Umständen immer wieder. "Die Reue ist aber schon mal ein gutes Zeichen“, so Paula Honkanen-Schoberth. "Da wissen Eltern, dass sie ihre Beherrschung verloren haben. Und das kommt in so gut wie allen Familien vor. Dafür kann man sich als Vater oder Mutter auch entschuldigen. Das heißt ja nicht im Umkehrschluss, dass man damit direkt auch die 'Untaten' des Kindes akzeptiert.“

Honkanen-Schoberth schlägt vor, die Kinder an der Problemlösung zu beteiligen und zwar nicht direkt in der Konfliktsituation, sondern dann, wenn sich die Wogen wieder geglättet haben. "Eltern können das Kind zum Beispiel fragen: 'Was können wir in Zukunft tun, damit wir nicht wieder so einen Streit bekommen? Hast Du eine Idee?‘“ Hierbei sollte man dem Kind Zeit zum Überlegen geben. Und für den Fall, dass ihm nichts einfällt, auch selbst ein oder zwei Vorschläge parat haben.

Die Sprache der Gewalt

Aus einer einzelnen Ohrfeige wird allerdings in vielen Fällen schnell mehr, denn die Hemmschwelle sinkt. Das wiederum kann schlimme Folgen haben: Neben Auffälligkeiten wie Ängstlichkeit, Leistungsabfall und Kontaktarmut können auch Aggressionen entstehen - gegen andere, aber auch gegen sich selbst gerichtet. Nicht wenige Drogensüchtige sind in ihrer Kindheit misshandelt worden.

Babys, die vor Wut oder Verzweiflung geschüttelt werden, können Gehirnschädigungen davontragen und sogar sterben. Blutergüsse, Knochenbrüche, Verbrennungen durch elterliche Gewalt sind häufig. Doch auch die Folgen für die Seele sind gravierend: Das Urvertrauen des Kindes in seine Eltern wird erschüttert. Seine Hilflosigkeit ausgenutzt.

Gefangen in einer Gewaltspirale?

Wer als Kind geschlagen wurde, neigt eher dazu, auch seine eigenen Kinder körperlich zu bestrafen. Diese Eltern befinden sich in einer Gewaltspirale. Sie haben gelernt, sich mit Schlägen durchzusetzen, vor allem, wenn es sich um Schwächere handelt. Und sie sind meist der Meinung, die Prügel ihrer eigenen Kindheit hätten ihnen nie geschadet. Nur wenige gestehen sich ein, dass sie durch das Fehlverhalten ihrer eigenen Eltern einen seelischen Schaden davongetragen haben, den sie ihren Kindern nicht antun wollen.

"Ein Mensch, der viel geschlagen wurde, hat selten andere Wege gelernt, Konflikte zu lösen. Daher sollten gerade diese Menschen sich besonders bewusst mit ihren Gefühlen, ihrem Ärger und dem Zorn auseinandersetzen. Damit sie in ohnmächtigen Wutsituationen nicht auf die alte Methode zurückgreifen“, so der Kinderschutzbund. Man kann sich aus der Gewaltspirale befreien und sie ist mit Sicherheit keine Entschuldigung. Doch die Realität sieht häufig anders aus: Nur 16 Prozent der Eltern, die selbst Gewalt in der Erziehung erfahren mussten, haben sich - vielleicht gerade aufgrund dieser Erfahrungen - "im Griff".

Sich eine Auszeit nehmen

Dass Kinder ihre Eltern an den Rand der Verzweiflung und vor allem an die Grenze ihrer Geduld bringen können, ist keine Frage. Tritt eine solche Situation ein, gilt es, frühzeitig den nötigen Abstand zu nehmen. Sich selbst ein paar Minuten Auszeit zu gönnen, um abzukühlen. Bei größeren Kindern kann das ein Spaziergang um den Block sein oder aber auch einfach nur bedeuten, das Kind in einen anderen Raum zu schicken, um ihm so die Möglichkeit zu nehmen, weiter zu provozieren. Bei kleineren Kindern, die man noch nicht alleine lassen kann, ist es entweder sinnvoll, sie schnell jemandem anzuvertrauen oder sich möglichst umgehend mit ihnen auf den Weg nach draußen zu machen. Die Veränderung des Umfelds und die Bewegung beruhigt die Gemüter und lässt die Konfliktsituation schnell in einem anderen Licht erscheinen.

Gewaltfrei bedeutet nicht antiautoritär

Sprüche wie "Wer nicht hören will, muss fühlen" sollten der Vergangenheit angehören. Allerdings ist eine gewaltfreie Erziehung nicht gleichzusetzen mit einer antiautoritären Erziehung. Regeln und Grenzen geben Sicherheit und sind Orientierungshilfen für das Kind. Diese Grenzen müssen aber so gesetzt werden, dass sie nicht Gehorsam und Unterwerfung einfordern, sondern dem Kind die Möglichkeit geben, in einem sicheren Rahmen Erfahrungen zu sammeln und sich an dem elterlichen Vorbild zu orientieren. Kinder lernen von ihren Eltern. Und dazu gehört auch, dass sie sich abschauen, wie diese mit Konflikten umgehen. Reagieren die Eltern mit Gewalt, so wird es auch den Kindern kaum einleuchten, warum das kein adäquater Weg ist. Rachegefühle und Gegengewalt können eine weitere Folge sein.

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Kinder dürfen durchaus mitbekommen, dass ihre Eltern in bestimmten Situationen verärgert und wütend reagieren. So lernen sie diese Gefühle einzuschätzen und erkennen den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Situation und einer Emotion. Doch das Kind muss immer spüren, dass es so geliebt wird, wie es ist. Auch dann, wenn es nicht so ist, wie die Eltern es gerade gerne hätten oder wenn ihm ein Missgeschick passiert.

Hilfe von außen suchen

Wer sich an eine Erziehungsberatungsstelle wendet, kapituliert nicht vor der Situation, sondern beweist innere Größe. Hier finden Betroffene vertrauliche Ansprechpartner, die ihnen nicht mit Vorwürfen, sondern mit Verständnis begegnen. Die helfen, die guten Seiten zu stärken und gewaltfreie Wege aus Konfliktsituationen zu finden. "Es ist für Eltern immer ratsam, für die eigenen Kräfte zu sorgen. Das bedeutet auch, sich nicht alleine mit den Erziehungsfragen zu plagen, sondern zum Beispiel einen Elternkurs zu besuchen, wo auch mit Freude und Humor über Alltagsthemen gesprochen werden kann. Der Kinderschutzbund bietet in diesem Zusammenhang 'Starke Eltern - Starke Kinder' an“, so Honkanen-Schoberth. Man kann aber auch jederzeit das Elterntelefon anrufen. Kostenlos und anonym ist es unter 0800 – 111 0 550 zu erreichen. Hilfe gibt es auch bei http://www.elterntelefon.org.

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