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Nachhaltigkeit im Alltag: Wie wichtig ist regionales Einkaufen?


Nachhaltiger Einkauf
"Der dreckige Kilometer ist der letzte Kilometer"


Aktualisiert am 21.07.2021Lesedauer: 5 Min.
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Wochenmarkt: Hier gilt es, die Herkunft der Produkte zu erfragen – nicht immer kommt das angebotene Obst und Gemüse wirklich aus der Umgebung.Vergrößern des Bildes
Wochenmarkt: Hier gilt es, die Herkunft der Produkte zu erfragen – nicht immer kommt das angebotene Obst und Gemüse wirklich aus der Umgebung. (Quelle: Eibner/imago-images-bilder)

Regionale Produkte sind nachhaltiger als Importware – oder sind der Apfel aus Neuseeland und die Tomate aus Spanien etwa doch besser als gedacht? Worauf Sie beim Einkauf wirklich achten sollten.

Wer im Supermarkt vor den Obst- und Gemüseregalen steht, hat die Qual der Wahl: Äpfel, Tomaten und Gurken gibt es in unterschiedlichen Sorten, mit Plastikverpackung oder ohne, aus Deutschland, Spanien oder Übersee. Für die meisten Kunden das Entscheidungskriterium Nummer eins: der Geschmack. Doch schon auf Platz zwei folgt der Anbauort: Rund 82 Prozent der Teilnehmer waren in einer Umfrage des Landwirtschaftsministeriums die regionale Herkunft ihrer Lebensmittel wichtig. Bei Obst und Gemüse waren es sogar 86 Prozent. Lange Transportwege vermeiden und so etwas für das Klima tun, diese Empfehlung hört man immer wieder. Doch ist "regional" wirklich in jedem Fall die nachhaltigste Option?

Die Sache ist komplizierter, als es zunächst den Anschein erweckt. Denn der Transport ist zwar ein wichtiger Faktor, aber bei Weitem nicht der einzige. Die Nachhaltigkeit von Obst und Gemüse hängt daneben zum Beispiel von der Landnutzung, dem Wasserverbrauch, den genutzten Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, eventuell notweniger Kühlung und den Arbeitsbedingungen in den Betrieben ab.

Nachhaltigkeit meint das Leben und Wirtschaften innerhalb der Grenzen unserer Erde. Dazu zählt der bewusste Umgang mit Ressourcen wie Wasser und Holz, aber auch der Schutz von Tieren und Klima. Nur so lässt sich garantieren, dass alle Menschen eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten haben. Bei t-online bekommen Leserinnen und Leser die Nachrichten und Hintergründe zu dieser Jahrhundertaufgabe. Die Serie "Nachhaltig nachgefragt" hinterfragt bekannte Alltagstipps und erklärt, welche Ratschläge tatsächlich sinnvoll sind.

Kann ein Apfel aus Neuseeland nachhaltig sein?

Wird der Sinn oder Unsinn von regionalem Einkaufen diskutiert, kommt ein Beispiel immer wieder auf: der neuseeländische Apfel. Verschiedene Forscher hatten einst berechnet, dass Äpfel vom anderen Ende der Welt im Sommer klimafreundlicher seien als deutsche. Denn nach der deutschen Erntesaison im Herbst müssen die Äpfel aus hiesigem Anbau im Kühlhaus gelagert werden – das kostet Energie.

Heute stimmen diese Berechnungen jedoch nicht mehr, erklärt Guido Reinhardt vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg für t-online: "Die Kühlanlagen in Deutschland sind sehr viel effizienter geworden, durch bessere Dämmung sind die Kälteverluste inzwischen viel geringer. Zudem werden jetzt Kühlsubstanzen verwendet, die nicht so umweltschädlich sind. Die FCKWs von früher, die einen extrem hohen Treibhauseffekt haben, sind inzwischen zum Beispiel verboten." Der klimafreundliche Apfel aus Neuseeland ist somit nur noch ein Mythos – die deutschen Alternativen sind zu jeder Jahreszeit die bessere Variante.

Werden im Sommer die deutschen Äpfel einmal knapp, kann man aber guten Gewissens auch zu Importware greifen – solange diese aus Europa kommt. "Die Transporte von Lebensmitteln mit dem Lkw innerhalb Europas spielen aus ökologischer Sicht meist nur eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum gesamten Lebensweg des Lebensmittels", so Experte Reinhardt. Das heißt: Andere Faktoren sind wichtiger als die Strecke, die der Apfel zurückgelegt hat – zum Beispiel die Art des Anbaus. "Grundsätzlich muss zwischen Äpfeln aus Deutschland und Südtirol nicht groß differenziert werden. Die erste Wahl ist der Streuobst-Apfel und der Bio-Apfel aus Deutschland, die zweite Wahl dann aber der konventionell produzierte Apfel aus Deutschland oder einer etwas weiter gefassten Region."

Die Krux mit der Tomate

Dass die Entscheidung jedoch nicht immer so einfach ist, zeigt ein anderes Beispiel: Die Tomate aus Spanien hat trotz des Transports einen ähnlichen CO2-Fußabdruck wie eine saisonal in Deutschland angebaute. Im Winter scheint die Frucht aus Südeuropa daher auf den ersten Blick eine gute Wahl, denn der Winter-Anbau im deutschen Gewächshaus verursacht deutlich mehr Treibhausgase.

Die Einheit CO2-Äquivalent (CO2e) wird genutzt, um die Klimawirkung verschiedener Treibhausgase zu vergleichen. Verschiedenen Gase tragen in einem bestimmten Zeitraum unterschiedlich stark zum Treibhauseffekt bei. Ihre Wirkung wird mit der von Kohlenstoffdioxid (CO2) verglichen. Methan wirkt beispielsweise 21-mal stärker als Kohlendioxid. Eine Tonne Methan entspricht somit 21 Tonnen CO2-Äquivalenten.

Das Problem: In Spanien ist das Wasser deutlich knapper als bei uns. Forscher der ETH Zürich haben jedoch berechnet, dass dort für den Anbau fast sieben Mal so viel Wasser gebraucht wird wie in Deutschland. Es lässt sich daher kaum sagen, welche Entscheidung hier die nachhaltigere ist. "Grundsätzlich würde ich Bio-Tomaten empfehlen, auch im Sommer, aber im Herbst und Winter erst recht", sagt Reinhardt. "Wenn es aber darum geht, sich zwischen konventionellen Tomaten aus Spanien und aus Deutschland zu entscheiden, gibt sich das nicht viel. Da müsste man sich für oder gegen CO2 oder für oder gegen den Wasserverbrauch entscheiden. Das kann man wissenschaftlich nicht miteinander verrechnen."

Saisonales Einkaufen geht heute länger

Mittlerweile ist die Zeit im Jahr, während welcher der Verbraucher diese Entscheidung treffen muss, jedoch ohnehin deutlich kürzer als früher. Britta Klein vom Bundeszentrum für Ernährung weist darauf hin, dass man selbst im Oktober oder November in den Supermärkten noch deutsche Tomaten aus dem Freilandanbau kaufen könne. Genutzt werden dabei Plastikfolien, die über die Äcker ausgebreitet werden: "Beim Anbau im Folientunnel sammelt man Wärme unter Plastik, ohne zusätzliche Energie zuzuführen. Das ist völlig in Ordnung, wenn mit der Folie gut umgegangen wird. So hat sich die Saison an vielen Stellen bei uns deutlich ausgeweitet", so Klein zu t-online.

Zudem schränkt sie ein, dass nicht jedes Gewächshaus klimaschädlich sei: "Man muss unterscheiden: Ist es ein Treibhaus, wo extra Energie reingepumpt wird, oder ist es zum Beispiel ein Treibhaus, das mit Abwärme von Heizkraftwerken betrieben wird? Nur kann das der Verbraucher im Supermarkt in der Regel leider nicht sehen."

Mangelware Verbraucherinformation

Fehlende Informationen sind ein Problem, das dem Verbraucher beim Versuch, regional einzukaufen, immer wieder begegnet: Der Begriff "Region" ist gesetzlich nicht definiert, vorgeschrieben ist bei den meisten Obst- und Gemüsesorten lediglich die Angabe des Herkunftslands. "Was Menschen als regional empfinden, ist eigentlich nahe an ihnen dran. Die Angabe 'aus Deutschland' hilft daher bei Lebensmitteln ausgesprochen wenig. Wenn jemand auf Sylt wohnt, dann ist Obst vom Bodensee sehr weit weg produziert worden. Da ist dann ein dänischer Apfel das regionale Produkt", bemerkt Klein.

Viele Supermarktketten wollen die wachsende Nachfrage nach regionalen Produkten nutzen und bieten mittlerweile eigene Regionalmarken an. Ohne genaue Angaben kann dahinter jedoch auch nur ein Werbeversprechen stecken, erklärt die Expertin: "Aussagekräftig für Verbraucher ist: 'Produziert in Lüneburg', vielleicht sogar mit einem Bild vom Landwirt. Ansonsten kann der Verbraucher beim Einkauf im Supermarkt kaum feststellen, wie die Region eigentlich definiert wird."

Abhilfe sollen unterschiedlichste Siegel schaffen – eine universelle Kennzeichnung gibt es allerdings nicht. Vom Landwirtschaftsministerium in Kooperation mit Wirtschaftsverbänden erarbeitet wurde das "Regionalfenster". Hier muss genau angegeben werden, woher das Produkt und seine Zutaten stammen. Jedoch ist diese Kennzeichnung bisher vor allem in Bayern und Baden-Württemberg verbreitet, in anderen Teilen des Landes findet man nur wenige Produkte mit dem blauen Rechteck.

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Garantierte Regionalität auf dem Wochenmarkt?

Selbst auf dem Wochenmarkt könne man sich nicht darauf verlassen, regionale Produkte angeboten zu bekommen. "Es gibt auf dem Wochenmarkt ganz normale Obst- und Gemüsehändler, die auf dem Großmarkt einkaufen", kritisiert Klein. "Es gibt aber auch Gemüsebauern aus der Region, die ihre eigenen Produkte verkaufen. Da können Sie sich einen aussuchen und zum Händler Ihres Vertrauens ernennen. Aber alle müssen auch auf dem Markt angeben, woher die Äpfel und die Erdbeeren kommen." Das bezieht sich jedoch ebenfalls nur auf das Herkunftsland, nicht die Region.

Eigentlich sei das aber nicht schlimm, sagt Wissenschaftler Reinhardt: "Ob 'regional' 20, 50 oder 500 Kilometer sind, ist aus ökologischer Sicht letztendlich beliebig." Es gehe darum, innerhalb Deutschlands die Landwirtschaft zu fördern. Das sieht auch Klein so: "Man hat den Leuten viele Jahre lang die globalisierte Nahrungswelt als das Paradies vorgegaukelt. Erst jetzt erkennt man, wie wichtig die Landwirtschaft in unseren Regionen ist."

"Das können wir uns eigentlich nicht mehr leisten"

Das Einkaufsverhalten der Verbraucher bestimme mit, wie sich deren unmittelbare Umgebung weiterentwickle, so die Expertin. "Jedes neue Gewerbegebiet vernichtet unwiderruflich oft besten Ackerboden. In einem Land, dessen Bevölkerung schrumpft, aber immer mehr baut, sind solche Flächen für immer verloren. Das können wir uns eigentlich nicht mehr leisten. Wir brauchen das Land als Nahrungsflächen, als Plätze für Artenvielfalt, als Freiflächen."

Und sie ergänzt, dass es für die Nachhaltigkeit des Einkaufs nicht nur wichtig sei, was im Wagen landet. "Der dreckige Kilometer ist der letzte Kilometer. Wenn Sie mit Ihrem SUV zum Supermarkt fahren und da ein Kilo Äpfel holen, dann ist es egal, ob das aus dem Alten Land kommt oder aus Neuseeland. Die Klimabilanz des Produktes haben Sie dann selbst verschlechtert."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Interviews mit Guido Reinhardt, Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg, und Britta Klein, Bundeszentrum für Ernährung
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