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Reisetipp Bukarest: Hier setzte ein Diktator sich ein gigantisches Denkmal


Städtetrip in Rumäniens Hauptstadt
Hier setzte sich ein Diktator ein gigantisches Denkmal

Simone F. Lucas/srt

Aktualisiert am 28.01.2019Lesedauer: 4 Min.
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Parlamentspalast in Bukarest: Der Diktator ließ es als "Haus des Volkes" planen, was die Rumänen umdeuteten in "Haus des Sieges über das Volk".Vergrößern des Bildes
Parlamentspalast in Bukarest: Der Diktator ließ es als "Haus des Volkes" planen, was die Rumänen umdeuteten in "Haus des Sieges über das Volk". (Quelle: joyt/getty-images-bilder)

Anfang des Jahres hat Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Ein Besuch in Bukarest zeigt die vielfältigen Seiten der Hauptstadt – zwischen größenwahnsinniger Architektur und malerischer Altstadt.

Die Rumänen haben keine guten Erfahrungen mit ihren Politikern. Daran hat sich auch nach dem Fall des Ceausescu-Regimes wenig geändert. Auch heutzutage wird wieder viel protestiert in Bukarest. Die Demonstranten fordern den Rücktritt der "Diebe", wie sie die Regierung nennen.

Reiseführerin Cristina Munteanu macht sich Sorgen, wie es weitergehen soll mit dem Land, das in diesem Jahr die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Die derzeitige Ministerpräsidentin Dancila gilt als Marionette des ebenso mächtigen wie korrupten Vorsitzenden der Regierungspartei PSD, Dragnea. Klüngelwirtschaft und Korruption haben die Ära Ceausescu überdauert.

Architektur zwischen Gigantomanie und Historie

Stein gewordenes Symbol der Mächtigen Rumäniens ist der Parlamentspalast, ein Wahrzeichen monströser Gigantomanie. Von den 3.000 Räumen dieses wahnwitzigen Baus, an dem 700 Architekten und 20.000 Arbeiter mehr als fünf Jahre lang arbeiteten, ist nur ein Bruchteil der Öffentlichkeit zugänglich. Doch das reicht, um zu erkennen, welch irrsinniger Machtanspruch hinter diesem Gebäude steht, das der Diktator zynisch als "Haus des Volkes" planen ließ, was die Rumänen schnell umdeuteten in "Haus des Sieges über das Volk".

Denn während der "Conducator" genannte Bauernsohn Ceausescu und seine Frau in Luxus schwelgten, hungerte das Volk. "Lebensmittel waren rationiert, die Läden waren leer, Strom gab es nur zu bestimmten Zeiten", erinnert sich Cristina an die "harten Zeiten" vor 1989. Für seinen Protzbau ließ der Diktator 40.000 Wohnungen zwangsräumen und die Häuser abreißen, 20 Kirchen und drei Synagogen fielen der Spitzhacke zum Opfer, auch das altehrwürdige Krankenhaus "Spitalu Brancovenesc".

Nur wenige Räume sind der Öffentlichkeit zugänglich

Die verantwortliche Chef-Architektin Anca Petrescu hatte bei Baubeginn mit 26 Jahren gerade ihr Studium abgeschlossen, sie begleitete das Mega-Bauvorhaben und sorgte dafür, dass es nach der Hinrichtung des Machthabers und unter der neuen Regierung nach den ursprünglichen Plänen fertiggestellt wurde. Der heutige Palast des Parlaments beherbergt die Abgeordnetenkammer und den Senat sowie ein internationales Konferenzzentrum.

Besucher können in dem öffentlich zugänglichen Bereich einen fünf Tonnen schweren und mit 1.000 Glühbirnen bestückten Kronleuchter bestaunen oder auch den Teppich im 2.200 Quadratmeter großen Ballsaal, der vor Ort an einem Stück gewebt wurde. Um ihn auszurollen seien 50 Menschen nötig, sagt Cristina. Auch die schweren Samtvorhänge, die von Nonnen genäht wurden, und die marmornen Treppenaufgänge lassen den Größenwahn des Bauherrn ahnen. "Ich brauche etwas Großes, etwas sehr Großes", soll Ceausescu seiner Chef-Architektin gesagt haben. Und sie lieferte.

Palast zählt zu den flächenmäßig größten Gebäuden der Welt

Mit rund 360.000 Quadratmetern verbauter Fläche ist der Palast eines der flächenmäßig größten Gebäude der Welt. Um alle Räume sauber zu halten, sind 600 Putzfrauen nötig. Während der Bauphase ließ der Diktator immer wieder Teile abreißen und neu bauen, weil sie ihm nicht gefielen – oder weil er Angst davor hatte, durch die Klimaanlage vergiftet zu werden.

Eine Million Tonnen Marmor wurden verbaut, 3.500 Tonnen Kristall für die Kronleuchter verwendet. Alle Materialien kamen aus Rumänien, denn Ceausescu wollte der Welt zeigen, wozu sein Land fähig war. Zwischen 3,5 und 4 Milliarden Euro könnte der Irrsinnsbau nach neuesten Schätzungen gekostet haben.

Bühne für Michael Jackson und Filmkulisse

Doch der Bauherr konnte nie in dem Palast residieren: Als er und seine Frau von einem Exekutionskommando erschossen wurden, war der Palast nur zum Teil fertig. Auch vom Balkon des Kolosses hat Ceausescu nie zu seinem Volk gesprochen, das auf dem riesigen Aufmarschplatz zusammenkommen sollte. Der Erste, der von diesem Balkon aus zu den Massen sprach, war der "King of Pop". Michael Jackson habe sich 1992 von seinen Fans feiern lassen "und dann sagte er 'Hello Budapest'", erzählt Cristina.

Neun Jahre später drehte Regisseur Constantin Costa-Gavras den Film "Amen" in der monströsen Anlage, die als Vatikan herhalten sollte. Ein womöglich vergessenes Madonnenbild erinnert bis heute an die Dreharbeiten.

Auch draußen vor dem Riesenpalast ist alles gigantisch. Die Allee wurde den Champs-Élysées nachempfunden, natürlich musste sie mindestens einen Meter breiter sein. Darauf legte der Diktator Wert. 42 Brunnen sprudeln in der Mitte des Boulevards, nach dem Tod Ceausescus wurde das Dekor etwas abgespeckt. Entlang der Prachtstraße finden sich Ministerien und Botschaften aber auch die teuersten Wohnungen der rumänischen Hauptstadt. In den Arbeitervierteln dominieren dagegen Plattenbauten.

Reizvolle Altstadt für Touristen

Zwei Millionen Menschen leben in Bukarest, ein Zehntel der rumänischen Bevölkerung. Und die Stadt hat – abseits des Regierungsviertels – durchaus ihren Reiz. Vor allem die historische Altstadt mit ihren engen Gassen, den vielen Restaurants, Bars und Bistros kann es mit weitaus beliebteren Städten aufnehmen. Hier kann man sich durch halb Europa essen, kann griechisch und irisch speisen, italienisch und orientalisch. Unter den Arkaden trifft sich die Jugend der Stadt zum Shisha-Rauchen, scheinbar ganz unbeeindruckt von der politischen Situation.

Rund 30.000 Studenten machen Bukarest zu einer jungen, hippen Stadt. Die Touristen kommen aus Spanien und aus Deutschland, aus der Schweiz und aus Frankreich. Sicher sind auch viele Auslandsrumänen auf Heimaturlaub dabei. Denn Rumänien muss bis heute einen Aderlass verkraften. Allein 10.000 Mediziner sind in den vergangenen Jahren ausgewandert, berichtet Cristina. Rumänien ist eines der ärmsten Länder der EU, der Netto-Durchschnittslohn liegt bei rund 535 Euro pro Monat.

Wer im Trubel des Ausgehviertels innehalten will, kann sich in den stillen Kreuzgang des alten Stavropoleos Klosters setzen oder sich in der Kirche von den Wandmalereien und Ikonen verzaubern lassen. 400 Kirchen zeugen in Bukarest von der traditionellen Frömmigkeit der Rumänen. Vor dem Nationaltheater fällt die Skulptur mit den Gestalten aus den Komödien des populären Autors Ion Caragiale ins Auge. Cristina weist auf die eher unauffälligen Gedenksteine hin, die an den Studentenaufstand 1990 erinnern. Sechs junge Leute starben damals, weil sie sich für eine demokratische Entwicklung ihres Landes einsetzten.


Eher der offiziellen Erinnerung an die historische Wende und die "Märtyrer der Revolution" dient das "Wiedergeburtsdenkmal" auf dem Revolutionsplatz, eine 25 Meter hohe Marmorsäule, die laut Cristina eine brennende Kerze darstellen soll. Aber: "Bei uns heißt die Skulptur nur 'aufgespießte Kartoffel'. Wir hätten sie am liebsten weg. Leider geht das nicht, weil der Künstler Präsident der Künstlervereinigung ist." Selbst im Reich der Kunst geht es in Bukarest nicht ohne Seilschaften.

Verwendete Quellen
  • Reiseredaktion SRT
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