Bahn soll bereits ab 30 Minuten VerspÀtung zahlen
Wer mit der Bahn eine Stunde zu spĂ€t ans Ziel kommt, kann Geld zurĂŒck verlangen. Je strenger die Regeln, desto pĂŒnktlicher die Bahn, meinen VerbraucherschĂŒtzer â und wollen die Erstattungsrichtlinien Ă€ndern.
Die Deutsche Bahn sollte bei ZugverspĂ€tungen nach Ansicht von VerbraucherschĂŒtzern deutlich hĂ€ufiger Geld zurĂŒckzahlen. "Bisher bekomme ich ja erst nach einer Stunde eine EntschĂ€digung. Wir appellieren und werben dringend bei der Politik dafĂŒr, dies auf eine halbe Stunde zu reduzieren", sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus MĂŒller, der Deutschen Presse-Agentur. Das könne auch einen Anreiz geben, dass die Bahn pĂŒnktlicher werde.
Bisher gibt es ab einer Stunde VerspĂ€tung ein Viertel des Fahrpreises zurĂŒck, ab zwei Stunden die HĂ€lfte. Im vergangenen Jahr musste die Bahn rund 52,6 Millionen Euro erstatten.
Der Fahrgastverband Pro Bahn unterstĂŒtzte MĂŒllers VorstoĂ. Eine solche Ănderung könne die Bahn unter Druck setzen, sagte der Bundesvorsitzende Detlef NeuĂ im Radioprogramm SWR Aktuell. "Selbst wenn die Summen, die da zurĂŒckgezahlt werden mĂŒssen, gar nicht so hoch sind, ist das jedes Mal ein Verwaltungsaufwand, der die Bahn mehr Geld kostet, als sie erstatten muss."
EntschĂ€digung bei VerspĂ€tung fĂŒr gesamte Reisekette
NeuĂ ging jedoch noch weiter: Die Bahn solle Reisende bei VerspĂ€tungen fĂŒr die gesamte Reisekette entschĂ€digen â also auch, wenn wegen ZugverspĂ€tung ein Flug verpasst werde. "Wenn ich nach MĂŒnchen in Urlaub fahre und komme da eine Stunde spĂ€ter an, ist das nicht weiter tragisch. Wenn ich aber mit einem Supersparpreis zum Flughafen will und da dann mein Flugzeug versĂ€ume, nutzt mir eine EntschĂ€digung von fĂŒnf oder zehn Euro herzlich wenig", betonte er.
Die Bahn betonte, ihre ZĂŒge seien im ersten Halbjahr 2020 so pĂŒnktlich unterwegs gewesen, wie seit Jahren nicht. AuĂerdem habe es angesichts der Corona-Pandemie zuletzt sehr kulante Regeln gegeben, die weit ĂŒber die Fahrgastrechte hinausgingen. "So haben wir die Stornierung und flexible Nutzung von rund fĂŒnf Millionen Fahrten ermöglicht."
VerbraucherschĂŒtzer MĂŒller forderte zudem, die EntschĂ€digung mĂŒsse einfacher zu beantragen sein. "Herr Scheuer hat sich vor einem Jahr fĂŒr ein automatisiertes EntschĂ€digungssystem ausgesprochen. Sichtbar geschehen ist seitdem nichts", kritisierte er. Im vergangenen Jahr hatte die Bahn angekĂŒndigt, dass FahrgĂ€ste ihre EntschĂ€digung spĂ€testens 2021 auch online beantragen können sollen. Bislang benötigen sie ein Papierformular.
Vorschlag auf EU-Ebene: weniger EntschÀdigungen
Die meisten Bahnfahrten wĂŒrden inzwischen online gebucht, sagte MĂŒller. "Das ist klasse, denn ich habe meine Daten hinterlegt und könnte eine EntschĂ€digung oder eine Erstattung sofort ausgezahlt bekommen." Der Verkehrsminister mĂŒsse hier gezielt Druck auf die FĂŒhrung der Bahn ausĂŒben. "Das wĂ€re tatsĂ€chlich noch ein Schritt, mit dem Herr Scheuer in die Geschichte eingehen könnte."
Nach einem Vorschlag auf EU-Ebene könnten kĂŒnftig allerdings deutlich seltener EntschĂ€digungen flieĂen. Ende 2019 hatten sich die EU-Verkehrsminister verstĂ€ndigt, dass Bahnunternehmen in FĂ€llen höherer Gewalt â etwa bei extremen Wetterbedingungen â nicht mehr zwingend zahlen sollen. Dem mĂŒsste allerdings das Europaparlament noch zustimmen, das sich bereits negativ geĂ€uĂert hat.
Lambrecht (SPD) und Scheuer (CSU): FĂŒr Bahnkunden einsetzen
Auch MĂŒller kritisierte das Vorhaben: "Wir wollen Bahnfahren attraktiver machen. Dazu gehört, dass die Bahn alles dafĂŒr tun muss, so zuverlĂ€ssig, sicher und sauber wie möglich zu sein", sagte er. "Die Gefahr ist, dass 'höhere Gewalt' zu einer Generalklausel wird und letztlich die Bahn dann bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf höhere Gewalt verweist."
Konsequenz seien teure gerichtliche Auseinandersetzungen und die Bahn werde unattraktiver. "Darum glaube ich, dass es eine total kurzsichtige Betrachtung ist, zu glauben, man tue der Bahn damit irgendetwas Gutes", sagte MĂŒller. Gerade unter deutscher RatsprĂ€sidentschaft mĂŒssten Verbraucherministerin Christine Lambrecht (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Interesse der Bahnkunden entscheiden und die VorschlĂ€ge ad acta legen.
Auch Pro Bahn erteilte dem Vorschlag eine Absage: "Wir sind der Meinung, dass die Bahn bei höherer Gewalt zahlen sollte", sagte NeuĂ dem SWR. Allerdings mĂŒsse die Ursache von VerspĂ€tungen berĂŒcksichtigt werden: Sei ein Baum von einem PrivatgrundstĂŒck im Sturm auf die Gleise gestĂŒrzt, mĂŒsse auch der GrundstĂŒckseigentĂŒmer haftbar gemacht werden.