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Erdgas und Atomkraft laut EU umweltfreundlich: Entscheidung grenzt an Wahnsinn


Das grenzt an Wahnsinn

  • Theresa Crysmann
Ein Kommentar von Theresa Crysmann

Aktualisiert am 04.01.2022Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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EU-KommissionsprÀsidentin Ursula von der Leyen (Symbolbild): Nach langem Hin und Her sollen Erdgas und Atomkraft nun als umweltfreundlich gelten. Der Vorstoß der EU-Kommission ist umstritten.
EU-KommissionsprÀsidentin Ursula von der Leyen (Symbolbild): Nach langem Hin und Her sollen Erdgas und Atomkraft nun als umweltfreundlich gelten. Der Vorstoß der EU-Kommission ist umstritten. (Quelle: SNA/imago-images-bilder)

Endlich steht die Entscheidung, doch es ist die falsche: Die EU-Kommission will Erdgas- und Atomprojekte als nachhaltig einstufen. Das ist das genaue Gegenteil von Umweltschutz.

Der dickste BΓΆller Europas wurde am Freitag in BrΓΌssel gezΓΌndet. Mit der irrsinnigen Hoffnung, niemand wΓΌrde den Knall hΓΆren. Doch die Explosion, die die EU-Kommission da mitten in der Nacht ausgelΓΆst hat, hallt nach. Denn Gas und Atomkraft sind hochgefΓ€hrlich; ihre geplante Einstufung als nachhaltig grenzt an Wahnsinn.

Zwei Stunden vor Mitternacht am Silvesterabend landete der Vorschlag der BrΓΌsseler BehΓΆrde im E-Mail-Postfach der Bundesregierung: Kernkraft und Erdgas sollen demnΓ€chst als grΓΌn gelten. Nach langem Hin und Her sollen sie Bestandteile der sogenannten EU-Taxonomie werden – und machen das Γ–kosiegel fΓΌr die Finanzbranche dann zum Etikettenschwindel. Ein Investmentboom in Atomkraft- und Gasunternehmen steht bevor.

Was ist die EU-Taxonomie? Die sogenannte EU-Taxonomie legt fest, welche AktivitΓ€ten und Projekte als grΓΌn gelten dΓΌrfen. Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und Anleger sollen so besser abschΓ€tzen kΓΆnnen, welche Investitionen tatsΓ€chlich nachhaltig sind. Dadurch will die EU-Kommission nicht nur klare Rahmenbedingungen schaffen, sondern auch immer mehr Geld in klimaneutrale Vorhaben lenken. Die geplante Eingliederung von Erdgas und Atomkraft in die Taxonomie ist sehr umstritten.

Wer nach der jahrzehntelang verschleppten Energiewende nun von heute auf morgen aus der Kohle raus muss, braucht zwar Stopfmaterial fΓΌr die LΓΌcken in der Energieversorgung; Atomenergie und Erdgas kΓΆnnen genau das sein. Nachhaltig sind sie deswegen noch lΓ€ngst nicht. Im Gegenteil.

Kernkraft: Vorne sauber, hinten pfui

Sicher, Atomstrom ist sauber. Zumindest insofern, als er ohne klimaschΓ€dliches CO2 produziert werden kann. Die strahlenden MΓΌllberge, die er hinterlΓ€sst, sind es aber ganz und gar nicht. Das ist die wahre Crux der Kernenergie.

Es steht außer Frage, dass die ReaktorunfÀlle in Fukushima und Tschernobyl tragisch waren, das menschliche Leid unermesslich. Aber es waren EinzelfÀlle: Reaktoren in Erdbebengebieten, gravierende Baufehler, mangelhafte Sicherheitskonzepte. Hochgiftige Abfallstoffe sind allerdings die Regel. Sie entstehen auch in den modernsten und sichersten Meilern.

Eine atomare Wiederaufbereitungsanlage (Symbolbild): Was mit den strahlenden AbfΓ€llen geschehen soll, ist immer noch unklar. In keinem europΓ€ischen Land ist eine sichere EndlagerlΓΆsung in Sicht.
Eine atomare Wiederaufbereitungsanlage (Symbolbild): Was mit den strahlenden AbfΓ€llen geschehen soll, ist immer noch unklar. In keinem europΓ€ischen Land ist eine sichere EndlagerlΓΆsung in Sicht. (Quelle: imago-images-bilder)

Allein mit dem deutschen AtommΓΌll mΓΌssen sich noch 30.000 Generationen nach uns beschΓ€ftigen. Ein sicheres Endlager in der Bundesrepublik ist weiterhin nicht gefunden. Dasselbe gilt fΓΌr die Atomnation Frankreich.

Ganz davon abgesehen, dass Atomstrom von allen Energieformen die teuerste ist; schon ohne die Folgekosten rund um die MΓΌllfrage einzupreisen. Dass die EU-Kommission die Kernkraft in diesem Wissen nun mit einer Nachhaltigkeitskennzeichnung adeln will, ist skandalΓΆs.

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Erdgas ist alles andere als grΓΌn

Das grüne Licht der Kommission für Erdgas ist sogar noch ungeheuerlicher. Denn sein Hauptbestandteil Methan ist rund 25-mal klimaschÀdlicher als das bekanntere Kohlenstoffdioxid (CO2). Schon in kleinen Mengen hat es einen großen Treibhauseffekt und tritt entlang der gesamten Lieferkette aus. Erdgas entweicht bei der Fârderung und schlüpft aus leckenden Pipelines.

Unter viel Getâse schob die EU vor gerade einmal zwei Monaten ein internationales Versprechen bei der Weltklimakonferenz an, mit dem man die Methanemissionen drücken wolle. Und zu Hause? Soll jetzt ausgerechnet der Sektor als vermeintlich nachhaltig aufgewertet werden, in dem sich Methan am leichtesten einsparen ließe. In der Landwirtschaft und im Abfallmanagement ist das viel schwieriger. Und es kommt noch dicker.

Europa bindet sich fΓΌr Jahrzehnte

Der Ehrenplatz für Erdgas in der Taxonomie dürfte uns für Jahrzehnte an den fossilen Brennstoff fesseln. Selbst wenn Gas nur als Übergangstechnologie für einen bestimmten Zeitraum definiert werden sollte, droht die EU-Kommission Anreize zu schaffen, um langfristig daran festzuhalten.

Wird bald, dank grΓΌnem Siegel, drastisch in Gasprojekte und -infrastruktur investiert, muss sich das fΓΌr Investoren und Betreiber rentieren. Es dauert, bis sich neue Anlagen, Umbauten und Probebohrungen bezahlt machen. Dann geht es ΓΌberhaupt erst mit den Gewinnen los.

Wenn in 20, 30 Jahren genug Windkraft, Solarstrom und Wasserstoff vorhanden sind und der Gashahn zugedreht werden soll, dΓΌrfte es daher Γ€hnlich laufen wie jΓΌngst bei der Kohle: Konzerne, die ihr GeschΓ€ft bis aufs Letzte verteidigen, Klimakrise hin oder her. Die EU-Kommission nimmt das offensichtlich in Kauf.

Leere Worte, keine Konsequenz

Das geplante grΓΌne Upgrade fΓΌr Atom und Gas ist nicht nur unsinnig. Es ist kontraproduktive Augenwischerei. Ein wenig so, als verkΓΌnde man eine Abnehmkur und erklΓ€rte Kirschtorte und Schweinshaxe zu DiΓ€trezepten.

Mit Blick auf die immer dramatischeren Folgen der Klimakrise hârt man aus der Kommission zwar die richtigen Worte. Vize-PrÀsident Frans Timmermans mahnte zuletzt bei der Weltklimakonferenz an, man müsse sich mit dem Klimaschutz beeilen, um das Überleben der Menschheit zu sichern.

Wie viel solche BeschwΓΆrungen bei Tageslicht und nach intensiver Lobbyarbeit von BranchenverbΓ€nden und Regierungen noch wert sind, zeigt der Plan fΓΌr die neuen "nachhaltigen" Energien in der Taxonomie.

Korrektur: In einer früheren Version des Textes hieß es, nirgends in Europa sei bis dato ein sicheres Endlager für hochradioaktive AbfÀlle gefunden worden. Dies wurde gestrichen, da im finnischen Onkalo aktuell eine solche EndlagerstÀtte entsteht, die in einigen Jahren in Betrieb gehen soll.

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