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Artikel-7-Verfahren
Kann die EU Ungarn das Stimmrecht entziehen?


03.06.2022Lesedauer: 3 Min.
Regierungschef Viktor Orbán in Brüssel: Ein umfassendes Ölembargo scheiterte an Ungarns Widerstand.Vergrößern des Bildes
Regierungschef Viktor Orbán in Brüssel: Ein umfassendes Ölembargo scheiterte an Ungarns Widerstand. (Quelle: Johanna Geron/reuters)
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Bei der Verabschiedung des neuen Sanktionspakets gegen Russland hat Viktor Orbán die EU vorgeführt. Manche fordern nun, Ungarn das Stimmrecht in der Union zu entziehen. Geht das?

Die Staats- und Regierungschefs schienen sich geeinigt zu haben. Nach stundenlangen Verhandlungen stand am späten Montagabend beim EU-Gipfel in Brüssel ein sechstes Sanktionspaket gegen Russland. Mit dabei: ein Importstopp, der Lieferungen von russischem Öl auf dem Seeweg unterbindet. Auch ein vollständiges Embargo wäre denkbar gewesen. Es wurde jedoch von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán verhindert.

Was bedeutet das Einstimmigkeitsprinzip?

Wichtige Entscheidungen müssen in der Europäischen Union im Konsens getroffen werden. Bei der Außen- und Sicherheitspolitik, bei der Aufnahme neuer Mitglieder oder bei Geldfragen müssen alle Mitgliedsstaaten im Europäischen Rat zustimmen. Weigert sich ein Land, so kann es die Entscheidung im Alleingang blockieren.

Manche Staats- und Regierungschefs wissen, dieses Instrument für sich zu nutzen. So auch Viktor Orbán, als er das schon beschlossene Sanktionspaket am Mittwoch überraschend noch mal aufschnüren ließ. Ungarn würde den wirtschaftlichen Strafmaßnahmen nur zustimmen, wenn das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill von der Sanktionsliste genommen würde, hieß es dann. Am Donnerstag billigte die EU die Liste schließlich – ohne Kirills Namen.

Die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, forderte deshalb am Donnerstag, Ungarn das Stimmrecht in der Europäischen Union zu entziehen. Das Land missbrauche das Einstimmigkeitsprinzip als Erpressungsmittel, sagte die SPD-Politikerin.

Kann die EU einem Mitglied das Stimmrecht entziehen?

Ja. Gemäß Artikel 7 des EU-Vertrags kann ein EU-Mitglied für die dauerhafte und schwerwiegende Verletzung der europäischen Grundwerte so bestraft werden. Zu diesen Grundwerten zählen der Schutz der Menschenrechte sowie die Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Besonders die Rechtsstaatlichkeit und die Medienfreiheit sind aus Sicht vieler in Brüssel und Straßburg im Fall Ungarns in Gefahr. Schon 2018 leitete das Europäische Parlament deshalb ein Artikel-7-Verfahren gegen das Land ein.

In diesem Zuge könnte Ungarn als schwerste Sanktion das Stimmrecht im Europäischen Rat entzogen werden. Die Verletzung von rechtsstaatlichen Prinzipien muss allerdings einstimmig festgestellt werden. Alle Mitgliedsstaaten – außer das betroffene Land selbst – müssen den Strafmaßnahmen zustimmen. Es gilt jedoch als unwahrscheinlich, dass Polen gegen Ungarn stimmen wird. Denn auch gegen Polen läuft ein Artikel-7-Verfahren, in dem es wiederum auf die Unterstützung Ungarns zählt.

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Mit seiner Blockade des Sanktionspakets könnte Orbán allerdings in der Beziehung zu Polen eine Grenze überschritten haben. Schon seit Beginn des Kriegs in der Ukraine wachsen die Spannungen zwischen den Regierungen in Budapest und Warschau, weil letztere eine deutlich kritischere Position gegenüber Putins Russland einnimmt. Dennoch: Dass Polen eine 180-Grad-Wende vollziehen und den Stimmrechtsentzug Ungarns auf EU-Ebene mittragen würde, gilt als unwahrscheinlich, wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtete.

Wie lange dauert das Verfahren?

Das Artikel-7-Verfahren wurde bisher erst zweimal eingeleitet: im Jahr 2017 gegen Polen und ein Jahr später gegen Ungarn. In beiden Fällen ist der Prozess am Europäischen Rat gescheitert, wo beide Mitgliedsstaaten eine Entscheidung gegen das jeweils andere Land blockierten. Ob eines der Verfahren jemals abgeschlossen wird, ist fraglich.

Aussichtsreicher ist eine Sanktionierung über den EU-Rechtsstaatsmechanismus. Das 2021 geschaffene Werkzeug gibt der EU-Kommission die Möglichkeit, Verstöße gegen die Grundwerte der Europäischen Union finanziell zu bestrafen. Den betroffenen Mitgliedern droht dann der Entzug milliardenschwerer EU-Hilfen. Ende April wurde der Rechtsstaatsmechanismus erstmals gegen Ungarn angewendet. Doch auch dieser Prozess dürfte noch dauern.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagentur dpa
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