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SPD-Parteitag: Und dann ruft Karl Lauterbach plötzlich "Hört auf!"


SPD-Parteitag
Und dann ruft Karl Lauterbach plötzlich "Hört auf!"


Aktualisiert am 28.06.2025 - 17:33 UhrLesedauer: 5 Min.
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Neue und alte SPD-Garde: Vergangenheitsverklärung ersten Grades. (Quelle: Kay Nietfeld)
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Wer sich vom SPD-Parteitag eine kritische Aufarbeitung der Wahlschlappe erhofft hatte, sollte vielleicht an seinem Erwartungsmanagement arbeiten. Schon an Tag zwei schaltet die SPD auf klassische Parteitagsfolklore um – Mythenbildung inklusive.

Ein leichtes Störgefühl stellt sich ein, als man am Samstagmorgen auf die rote Bühne des Parteitags der SPD im Berliner CityCube blickt. In meterhohen Buchstaben prangt das Motto des diesjährigen Treffens über der Hallenfront, es ist Slogan und Sermon zugleich: "Veränderung beginnt mit uns."

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Daneben steht ein Mann, den man nicht unbedingt mit Veränderung verbindet: Olaf Scholz, bis Mai 2025 Bundeskanzler und nun einfacher Abgeordneter. Der Kontrast – hier der Ruf nach Erneuerung der Partei, dort die Vergangenheit in ihrer menschlichen Gestalt – könnte in diesem Moment nicht größer sein.

Es lassen sich gute Gründe dafür finden, Scholz auf dem Parteitag sprechen zu lassen. Er, der langjährige Parteisoldat, der eine beeindruckende SPD-Karriere hinter sich hat – vom Hamburger Kommunalpolitiker bis zum Bundeskanzler aufstieg – soll gewürdigt werden. Das ist nicht nur aus einer Parteilogik heraus, sondern auch menschlich nachvollziehbar.

Die immer gleichen Schleifen

Und doch offenbaren sich schnell die Grenzen dieses Experiments, nämlich Scholz den zweiten Tag des Parteitags einleiten zu lassen und damit gewissermaßen den Ton der Veranstaltung zu setzen. Denn Scholz nimmt nicht nur artig das Geschenk der Redezeit entgegen, sondern nutzt seinen Auftritt, um sich ein Denkmal zu setzen.

Scholz lobt sich und seine Kanzlerschaft, so wie man es von ihm kennt: Lobt sich dafür, Deutschland zum zweitgrößten Ukraine-Unterstützer gemacht zu haben und für seine ruhige Hand in der Krise. Er lässt mehrmals seinen Wahlsieg von 2021 Revue passieren, der ihm nach vor allem deswegen zustande gekommen sei, weil die Partei an sich geglaubt habe und geschlossen aufgetreten sei – und nicht etwa, weil die Konkurrenz so schwach war.

Es sind die immer gleichen Schleifen, die Scholz da dreht. Parteifloskeln, die die Menschen in den vergangenen drei Jahren wiederholt zu hören bekamen und irgendwann nicht mehr hören konnten – was am Ende in eine historische Wahlniederlage der SPD mündete. Dass Scholz der unbeliebteste deutsche Kanzler seit Langem war und aus Sicht der meisten Menschen von vornherein der falsche SPD-Kandidat bei der Bundestagswahl, sind leicht nachprüfbare Fakten. In der Darstellung des Ex-Kanzlers aber fehlten sie völlig.

Mut zur Autosuggestion

Man kann ihm nachsehen, die eigenen schlechten Umfragewerte in seiner Abschiedsrede lieber unerwähnt zu lassen. Aber als Außenstehender staunt man dennoch über derart viel Autosuggestion.

Scholz warnt in seiner Rede auch vor rechtspopulistischen Parteien und davor, dass deren wichtigster Erfolgsfaktor "die Unsicherheit über die Zukunft" sei. Auch das muss alle diejenigen verwirrt zurücklassen, die Scholz' Kanzlerschaft die vergangenen drei Jahre beobachtet haben. Denn Scholz war selbst Teil dieser Verunsicherungsmaschine: Als Kanzler erklärte er seine Politik kaum und ließ die Bürger oft im Unklaren zurück – darüber rätselnd, was der Kanzler eigentlich will und wohin das Land steuert. In seiner Amtszeit hat sich die Macht der AfD verdoppelt, und die Demokratie in Deutschland ist herausgefordert wie lange nicht.

Ausgerechnet Scholz also gibt jetzt Tipps zur Bekämpfung der AfD?

Die SPD kann nur hoffen, dass diese Rede hier bleibt, in der leicht abgekühlten Messehalle des Berliner CityCube. Und dass die wenigen Zuschauer im Livestream sie schnell wieder vergessen.

Selbstkritik? Fehlanzeige

Denn auch wenn Scholz menschlich wirkt – stellenweise sympathisch und irgendwie befreit – ist die politische Operation, die er im selben Moment vollzieht, problematisch. Selbstkritik? Fehlanzeige. Kein einziges Wort über die vielen Fehler in der Ampel-Ära, die auch er zu verantworten hat.

Sicher, Scholz macht auch richtige Punkte. Etwa wenn er über den Trumpismus in den USA spricht, dessen Schlüssel zum Erfolg es war, die Lebenswelt von Arbeitern und Menschen ohne Hochschulabschluss erobert zu haben. Also das, was sich die deutsche Sozialdemokratie seit Jahren vornimmt.

Aber ob der Ex-Kanzler, der mit seiner Politik objektiv gescheitert ist, nun die Richtung vorgeben soll, ließe sich zumindest hinterfragen.

Die leicht befremdliche Inszenierung läuft auf ihren Höhepunkt zu, als dann noch die Ministerinnen und Minister der zerplatzten Ampel einzeln auf die Bühne gebeten und gefeiert werden. Hubertus Heil, Nancy Faeser, Karl Lauterbach, Svenja Schulze – alle bekommen hier ihr Einzelzeugnis, alle eine Eins mit Stern.

Planet SPD

Für einen kurzen Moment wähnt man sich in einem Paralleluniversum, wo die gescheiterten und abgesägten SPD-Minister noch regieren, stets das Gute im Sinne haben und die Sozialdemokratie zur Vollendung führen. Planet SPD.

Der Jubel der Delegierten ist zeitweise so ungestüm, dass es selbst den Gefeierten zu viel wird. "Hört auf! Kämpft lieber für die Bürgerversicherung", ruft Lauterbach grinsend ins Mikrofon, obwohl ihm der Applaus sichtlich gefällt.

Aber die Choreografie des Parteitags scheint genau diesem Plan zu folgen. Parteichef Klingbeil gab am Freitagabend beim Fest des Seeheimer Kreises einen Hinweis: "Das war jetzt der Tag, wo ein Stück weit auch abgerechnet wurde, was am 23. Februar und danach war", sagte er mit Blick auf sein Schock-Wahlergebnis wenige Stunden zuvor. "Aber jetzt entwickeln wir wieder eine Kraft, nach vorn zu gehen."

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Reicht ein Tag Kritik, um das schlechteste Wahlergebnis seit über 130 Jahren aufzuarbeiten? Anscheinend ja.

Saskia Eskens letzter Dienst an der Partei

Am Nachmittag wird dann auch noch Klingbeils Ex-Co-Chefin Saskia Esken verabschiedet. Wie für Scholz zuvor wurde auch für Esken ein kurzer Film abgespielt, der Eskens Wirken für die Partei knapp zusammenfasst.

Esken, die von ihrem Co-Chef Klingbeil von ihrem Posten verdrängt worden war, macht es anders als Scholz. Wird persönlicher in ihrer Rede, betreibt weniger Vergangenheitsbewältigung. Schon nach wenigen Minuten endet ihre Rede, zum Vergleich: Scholz sprach mindestens dreimal so lang.

Es sei die Ehre ihres Lebens gewesen, Vorsitzende dieser Partei zu sein, sagte Esken vor sichtlich emotionalen Delegierten. Es ist ihr letzter Akt von Loyalität gegenüber einer Partei, die sie über Wochen öffentlich zerlegte. Auch viele derjenigen, die nun klatschen und sie zum Abschied über den grünen Klee loben, etwa auch die neue Vorsitzende Bärbel Bas, waren in dieser Zeit auffallend still und ließen die Demontage der Parteifreundin geschehen.

Ob der SPD so viel Mythenbildung und Vergangenheitsverklärung auf dem Weg der Erneuerung guttun, müssen andere beurteilen. Und doch wirkt es manchmal so, als hätte die Partei in Teilen noch immer nicht begriffen, in welcher Krise sie sich befindet. Hätte man das Parteitagsmotto "Veränderung beginnt mit uns" vielleicht so manchem vorher besser vorher erklärt?

Verwendete Quellen
  • Beobachtungen auf SPD-Parteitag
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