Ausland Britische Internetüberwachung aufgedeckt - wohl größer als PRISM

"Tempora", eine Internetüberwachung, die das Ausmaß des US-Spähprogramms "PRISM" in den Schatten stellen soll, hat die britische Zeitung "The Guardian" im eigenen Land aufgedeckt. Demnach hat der britische Nachrichtendienst Government Communications Headquarters (GCHQ) im gigantischen Stil weltweit fast sämtliche Online-Daten mitgelesen, gespeichert und ausgewertet.
Der ehemalige Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA, Eric Snowden, hatte mit seiner Aufklärung über PRISM weltweit für Aufsehen gesorgt. Bereits diese Informationen veröffentlichte der "Guardian". Nun zitiert er seinen Informanten wie folgt: "Es ist nicht nur ein US-Problem. Sie", gemeint ist der GCHQ, "sind schlimmer als die USA". Snowden beabsichtige, das seiner Äußerung nach "größte Überwachungsprogramm in der Geschichte der Menschheit" offenzulegen.
Bei der Einstufung der GCHQ-Operationen beruft sich die Zeitung auf interne Dokumente der Behörde. Zu den abgegriffenen Daten gehörten dem Bericht zufolge Telefongespräche, E-Mails, Facebook-Einträge und Seitenverläufe x-beliebiger Internetnutzer.
Zugriff auf 95 Prozent des Netzverkehrs
Britische Agenten sollen auf knapp 200 Glasfaserkabel-Verbindungen Zugriff gehabt haben, über die Schätzungen zufolge rund 95 Prozent des weltweiten Internetverkehrs läuft. Ziel von Tempora, so der "Guardian", sei es gewesen, so viel Internet- und Telefonverkehr wie möglich auszuschöpfen. Den Skandal erkennt die Zeitung vor allem darin, dass dieses gewaltige Unterfangen ohne irgendeine Form der öffentlichen Kenntnis oder gar Debatte stattgefunden habe.
Tempora laufe seit 18 Monaten und erlaube dem GCHQ, dem Gegenstück zur NSA, die Daten anzuzapfen und für bis zu 30 Tage zu speichern, um sie ausgiebig analysieren zu können. Ein Sprecher des Geheimdienstes wollte sich nicht dazu äußern.
Offizielle Quelle spricht von Nadeln im Heuhaufen
Allerdings erwähnt der "Guardian" eine nicht näher benannte Quelle mit Zugang zu Geheimdienstinformationen, derzufolge die Daten als Teil eines Systems von Sicherheitsmaßnahmen gesammelt worden seien und zu entscheidenden Durchbrüchen beim Aufspüren und Verhindern von Kapitalverbrechen geführt hätten. Es gehe jedoch um Nadeln im berühmten Heuhaufen. Die zentralen Elemente bei der Suche seien Sicherheit, Terror, organisiertes Verbrechen und Wohlstand. Der übergroße Teil werde nicht weiter betrachtet - "wir haben einfach nicht die Ressourcen dafür".
Der "Guardian" vermutet ferner nach Durchsicht der ihm vorliegenden Papiere, dass einige Unternehmen für ihre partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem GCHQ bezahlt wurden.
G-20-Gipfel bespitzelt
Zuletzt hatte der "Guardian" im Zusammenhang mit der Organisation von einer Bespitzelung der Teilnehmer des G-20-Gipfeltreffens in London 2009 und ihrer Internetaktivitäten berichtet - unter Berufung auf Dokumente von Snowden. E-Mails und Passwörter sollen mitgelesen worden sein.
Im Fall von PRISM hatte Snowden deutlich gemacht, dass eine anonyme Quelle seiner Ansicht nach nicht glaubwürdig genug wäre. Darum hatte der im Exil in Hongkong weilende 29-Jährige den riskanten Schritt gewagt, obwohl ihm nun eine Verfolgung durch die US-Behörden wegen Geheimnisverrats droht.
Datenschutz vs. Terrorabwehr
Aus diesem Grund sucht Snowden ein Land, das ihm Asyl gewährt und nicht nach Amerika ausliefert. US-Präsident Barack Obama hat die Späh-Operationen, die nicht zuletzt 19.000 Facebook-Konten und Netzwerke anderer großer Unternehmen nutzen, vor allem unter dem Gesichtspunkt verteidigt, dass auf diese Weise zahlreiche "Bedrohungen" abgewendet worden seien. Es ist anzunehmen, dass Geheimdienst- und Regierungsvertreter Großbritanniens ähnlich argumentieren werden.
Auch von deutscher Seite wurde die Internet-Ebene des Anti-Terror-Kampfs betont. Zugleich versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei Obamas Besuch in Berlin, dass sie mit dem Präsidenten ernsthaft über Möglichkeiten, aber auch Begrenzungen im Sinne des Datenschutzes gesprochen habe.
Der Bundesnachrichtendienst, Deutschlands Geheimdienst, und die Bundesregierung haben indes ihrerseits unlängst ein 100-Millionen-Euro-Programm zur Ausweitung der Internet-Überwachung angekündigt.