Neue Ära der Wirtschaftskriege Geoökonomie: Wie Trump Zölle als Machtmittel nutzt

Die Wirtschaft macht's. Donald Trump betreibt Außenpolitik über Zollsätze. Fachleute sehen einen Trend und sprechen von der Rückkehr der Geoökonomie.
Die Buchempfehlung kam überraschend. Jonathan Black, Vize-Sicherheitsberater der britischen Regierung, riet seinem Team zuletzt zur Lektüre des Werks: „Handbook of Economic Warfare" – Handbuch der Wirtschaftskriegsführung. Noch ungewöhnlicher als der Titel war das Erscheinungsjahr des Buchs: 1938. Geschichte wiederholt sich nicht. Aber das liberale Zeitalter der internationalen Kooperation und der globalen Verflechtung scheint an einem Wendepunkt zu sein. Es geht jetzt erst mal darum, die eigenen Interessen umzusetzen.
- Trumps Deal: Das bedeutet das EU-Zollabkommen für Deutschland
- Achse des Umbruchs: So funktioniert der Pakt von Russland, China, Iran und Nordkorea
Das zeigt die Politik von US-Präsident Donald Trump. Mit Zöllen dominiert er derzeit die Bühne der internationalen Politik. Zuletzt drückte er der EU den "größten Deal von allen" auf – sehr zuungunsten Europas. Nun droht er der Schweiz, Indien und Kanada mit Sonderabgaben. Für seinen Nachbarn im Norden betrachtet Trump das auch unverhohlen als politische Vergeltung für die angekündigte Anerkennung eines palästinensischen Staates.
Als "Geoökonomie" bezeichnen das die Fachleute – die Fortsetzung der Politik mit wirtschaftlichen Mitteln. Oder wie die Ökonomen Cathrin Mohr von der Universität Bonn und Christoph Trebesch vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) in ihrem Überblickaufsatz "Geoeconomics" definieren: Es geht um "das Fachgebiet, das die Zusammenhänge zwischen Geopolitik und Ökonomie untersucht". Kurzum: Es geht um Macht, Einfluss, Rivalitäten und Wirtschaft.
Russland: Mangelwirtschaft gegen Sanktionen
Sanktionen seien eines der Mittel aus dem Instrumentenkasten der Geoökonomie, führen Mohr und Trebesch aus. Russlands Staatschef Wladimir Putin bekommt das zu spüren. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine verhängten die EU-Staaten jetzt das 18. Sanktionspaket gegen das Land, etwa gegen die russische Schattenflotte.
Putin kontert mit neuen Handelspartnern und verlagert die Warenströme. Er liefert Öl gegen Tech-Produkte nach China und Indien, Nordkorea schickt im Gegenzug für die Lieferungen Soldaten. Ein neuer Tauschhandel.
Russlands Wirtschaft schwächelt. Wichtigster Wachstumstreiber ist die Rüstungsindustrie. Der Schweizer Militärökonom Marcus M. Keupp von der ETH Zürich macht in seinem neuen Buch "Spurwechsel. Die neue Weltordnung nach Russlands Krieg" zwei Tendenzen aus: Abgeschnitten vom Weltmarkt, pegelt sich Russland technologisch auf einem niedrigeren Niveau ein. Zugleich bietet Putins Krieg in der Ukraine die Voraussetzungen dafür, dass die Bevölkerung die Misswirtschaft erträgt.
Keupp sagte dem ZDF: "Wenn der Krieg besser ist für Russlands innere Verhältnisse und die Stabilisierung der putinistischen Autokratie, dann ist das eine dystopische Stabilisierung. Krieg ist Frieden – zumindest innerlich, für Russland." Der Krieg wird zum politischen Geschäftsmodell.
China: Rohstoffe als Machtmittel
Spätestens seit Corona wissen es alle: Lieferketten sind fragil. Und sie bieten im Zeitalter der Geoökonomie Trumps einen wichtigen Hebel, um Einfluss auszuüben. Die US-Regierung etwa beschränkte die Lieferung wichtiger Chip-Bauteile für Chinas KI-Industrie, um die technologische Entwicklung des Rivalen zu kontern.
Im Gegenzug dominiert China den Handel mit wichtigen strategischen Rohstoffen – von A wie Antimon über L wie Lithium bis Z wie Zirkonium, alles Schlüsselelemente für die Industrie von der Energiewende bis zur Chip-Technologie.
Als Trump Rekordzölle gegen Chinas Wirtschaft verhängte, hatte Peking mehr in der Hand als die EU und konnte die Ausfuhr wichtiger Rohstoffe beschränken. Auch das begünstigte einen Deal.
Im neuen geoökonomischen Zeitalter greift eine neue Logik. Der Einfluss auf die Lieferketten des Rivalen (etwa über Rohstoffkontrolle) ist entscheidender als das Drohen mit Gegenzöllen.
USA: Trumps Vorliebe für Zölle
Donald Trump macht Außenpolitik über Zollsätze. Zuletzt traf es die EU. Den Wunsch nach militärischem Beistand lässt sich Trump über Zollaufschläge bezahlen. Rund hundert Milliarden Euro soll die US-Regierung in diesem Jahr bereits an Sonderabgaben verdient haben. Geld, das Trump zur Finanzierung seiner "Big Beautiful Bill", eines Steuerrabatts für Besserverdienende, benötigt.
So sichert sich Trump nicht nur nach innen ab. Noch schlagen die Zölle nicht auf die Inflation durch. Auch außenpolitisch festigen die USA ihre Stellung. So nutzt Trump die Zölle nach Belieben, schwächt wirtschaftliche Konkurrenten wie die EU oder trifft politische Gegner. Brasiliens Abgabenlast ist auch deshalb so hoch, weil Trump seinen politischen Weggefährten Jair Bolsonaro in dem Land unrechtmäßig verfolgt sieht.
Die Forscher Mohr und Trebesch sehen dahinter ein Konzept. Sie zitieren den Ökonomen Charles Kindleberger und dessen Konzept der "hegemonialen Stabilität". Mohr und Trebesch schreiben über den Hegemon, sprich: die beherrschende Kraft in einem System: "Er nutzt seine Macht, um globale Renditen zu erzielen, die kleinere Länder schwächen."
Trumps Zölle erreichen vor allem eines: Sie stärken die Rolle der USA.
Bilanz: Risiken für die Weltwirtschaft
Spätestens seit dem Fall der Mauer 1989 dominierte die Idee des Freihandels, der offenen Märkte und der Globalisierung. Die liberale Idee: Handel und internationale Arbeitsteilung sind für beide Seiten nützlich und stärken auch die Beziehungen zwischen Ländern. Statistisch betrachtet senken enge ökonomische Beziehungen das Risiko von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Ländern. Die Entflechtung steigert also auch die Konfliktgefahr.
Umso mehr sortiert sich die Welt in diesen Tagen neu. Von "Fragmentierung" sprechen Fachleute wie Mohr und Trebesch. Die Wirtschaftsjournalistin Gillian Tett hat deshalb eine Warnung parat: "Das Problem der Geoökonomie ist, dass sie ansteckend ist: Wenn ein Land sie übernimmt, geraten andere unter Druck, zu reagieren", schreibt sie in der "Financial Times". Die Gefahr der ökonomischen Blockbildung: Der Welthandel flacht ab.
Immerhin: Es gibt eine vage Hoffnung. Tett: "Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass es intellektuelle Pendelbewegungen gibt – was darauf hindeutet, dass die Trumpsche Denkweise möglicherweise nicht von Dauer ist."
- fw-kiel.de: Geoeconomics (Englisch)
- ft.com: The new age of geoeconomics (Englisch, Bezahlschranke)
- Markus M. Keupp: „Spurwechsel. Die neue Weltordnung nach Russlands Krieg" (Buch, Berlin, 2025).