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Proteste in Russland: "Wir warten schon zu lange auf Veränderung"


Heftige Proteste in Russland
"Wir warten schon zu lange auf Veränderung"

dpa, Claudia Thaler und Thomas Körbel

12.06.2017Lesedauer: 3 Min.
"Wir warten schon zu lange auf Veränderung"Vergrößern des BildesAuch in St. Petersburg kam es zu Demonstrationen von Putin-Gegnern: Hier wird der oppositionelle Aktivist Ilya Yashin von Polizisten abgeführt. (Quelle: Evgeny Feldman/ap-bilder)
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Kurz vor dem Beginn des Confed-Cups kommen Russlands Präsident Wladimir Putin Bilder von Protesten im eigenen Land sehr ungelegen. Doch dann gibt es ausgerechnet am "Tag Russlands" landesweit Demonstranten. Hunderte werden festgenommen.

Das alberne Sowjet-Theater mit Soldaten in Uniformen schließt vorzeitig. Die mittelalterlichen Axtwerfer müssen für einige Zeit ihre Kämpfe einstellen. Denn direkt neben ihnen, auf einer der Hauptstraßen Moskaus, wird eine andere, zeitgenössische Schlacht ausgefochten. Jugendliche Kremlkritiker lehnen sich gegen die Polizei auf.

Immer den Schlagstock griffbereit

Die Einheiten kommen immer näher, den Schlagstock griffbereit. Eine Kette aus schwer bewaffneten Polizisten schließt die Demonstranten von allen Seiten ein. Kein Demonstrant kommt auf der Hauptstraße Richtung Kreml durch. Wer raus will, wird rausgetragen - von den Polizisten an Armen und Beinen. Andere werden brutal am Genick gepackt und in Polizeibusse gedrängt. Insgesamt sind es nach Schätzungen von Beobachtern in Moskau rund 600 Festnahmen.

Eigentlich hätte am Montagnachmittag an der Twerskaja-Straße ein Volksfest zum russischen Nationalfeiertag stattfinden sollen. Doch Oppositionspolitiker Alexej Nawalny machte dem einen Strich durch die Rechnung, ohne überhaupt anwesend zu sein: Er wurde bereits vor der Kundgebung festgesetzt.

"Die Korruption macht unser Land kaputt"

Für den Moskauer Michail gibt es keine Alternative als zu demonstrieren. "Wir warten schon zu lange auf eine Veränderung. Vom Kreml kommt nichts", sagt der Mann, als er seine Tochter Maria auf die Schultern setzt.

Die beiden sind ein eingespieltes Team. Bereits im März waren sie in der Hauptstadt unterwegs, als Nawalny zu Protesten aufgerufen hat. "Die Korruption macht unser Land kaputt. Wir haben keine Angst, festgenommen zu werden. Aber davor, dass sich in diesem Land nichts ändert", sagt die Zwölfjährige.

Video löst Protestwelle aus

Begonnen hatte alles mit einem millionenfach geklickten Video, in dem Nawalny Regierungschef Dmitri Medwedew Korruption vorwirft. Am 26. März eskalieren die nicht genehmigten Proteste, mehr als 1000 Menschen werden in Moskau festgenommen.

Bei der jetzigen Demo sollte es eigentlich anders werden: Die Behörden genehmigen den Protest, jedoch nicht in Kremlnähe. Zunächst nimmt Nawalnys Organisationsteam den Vorschlag an, an einem anderen Ort im Stadtzentrum zu demonstrieren. Doch nur Stunden vor dem Beginn gibt es eine Kehrtwende, angeblich wird das Team bei den Vorbereitungen behindert. Bevor Nawalny sein Haus verlässt, wird er festgenommen.

Proteste in rund 200 Städten

Hat Nawalny damit die Behörden bewusst provoziert? Oder ist er dem Kreml in eine Falle getappt? Eigentlich wollten die Behörden solche Bilder wenige Tage vor dem FIFA-Confederations-Cup in Russland vermeiden, sind Beobachter überzeugt. Brutale Szenen wie im März sollten sich nicht wiederholen. In rund 200 Städten in der Provinz gibt es ebenfalls Proteste und Festnahmen.

Warum der Kremlkritiker sich so kurzfristig umentschied und damit auch seine Anhänger der Gefahr festgenommen zu werden aussetzte, ist nicht eindeutig. "Wir lassen uns nicht das Recht nehmen, auf die Straße zu gehen - auf welche auch immer", sagt der 16-jährige Denis.

Die Demo wirkt unkoordiniert

Es ist aber kein Massenprotest wie im Frühjahr; etwas unkoordiniert wirkt er. Die Demonstranten vermischen sich mit dem Straßenfest. Wer ist Protestierender, wer will nur den Feiertag begehen?

Der 41-jährige Nawalny will im kommenden Jahr bei der Präsidentenwahl antreten. Unklar ist, ob er wegen einer rechtskräftigen Bewährungsstrafe überhaupt antreten darf. Experten sagen, die Rechtslage verbiete es. Der studierte Jurist Nawalny sieht das anders und will seine Kandidatur durchboxen.

Leistet der Staat ungewollt Schützenhilfe?

Das beste für die Polittechnologen des Kremls wäre es nach Einschätzung des regierungskritischen Magazins "New Times", Nawalny zu ignorieren. Stattdessen leiste die Staatsmacht dem Putin-Kritiker mit einer gezielten Kampagne Schützenhilfe. "Diese Maschinerie verschafft ihm sein wichtigstes Kapital: Aufmerksamkeit."

Mehrfach wurde Nawalny seit März mit grüner Farbe beworfen. Eine Attacke hätte ihn nach eigener Darstellung fast das Augenlicht gekostet. Im Mai lieferten sich Nawalny und der schwerreiche, kremlnahe Oligarch Alischer Usmanow einen juristischen Schlagabtausch. Nawalny hatte ihm vorgeworfen, in das Netz aus Korruption von Regierungschef Medwedew verstrickt zu sein. Nawalny verlor den Prozess, doch die Aufmerksamkeit hatte er.

Aktionen von Nawalny sind Selbstläufer

Nawalnys Aktionen sind längst zu Selbstläufern geworden, die bis zur Präsidentenwahl im März 2018 die Stimmung weiter anheizen dürften. Meinungsforschern zufolge ist die Proteststimmung im Mai gestiegen. Gut ein Drittel der Russen halten regelmäßig stattfindende Massenproteste für wahrscheinlich, wie aus einer Erhebung des staatlichen Instituts WZIOM hervorgeht.

So folgte auf den 26. März nun der 12. Juni - ebenfalls mit zahlreichen Festnahmen. Für die einen war es ein nationaler Feiertag, für die anderen eine Gelegenheit, ihren Frust zu demonstrieren. Nur eins war es nicht, was Nawalny eigentlich für sich reklamiert hatte: "Eine friedliche Aktion unter russischen Flaggen am Tag Russlands."

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