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Neue Gesetze in Ungarn: Viktor Orbán wird mächtiger und höhlt Demokratie aus


Corona-Notstand in Ungarn
Keine Krise rechtfertigt die Demontage der Demokratie

MeinungVon Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP

30.03.2020Lesedauer: 3 Min.
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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die zweimalige FDP-Bundesjustizministerin kritisiert in ihrem Gastbeitrag für t-online.de den ungarischen Staatschef Viktor Orbán.Vergrößern des Bildes
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die zweimalige FDP-Bundesjustizministerin kritisiert in ihrem Gastbeitrag für t-online.de den ungarischen Staatschef Viktor Orbán. (Quelle: imago-images-bilder)

Viktor Orban baut mit neuen Gesetzen in Ungarn seine Macht aus. Trotz der Ausbreitung des Coronavirus: Dazu hätte es nicht kommen dürfen.

Das ungarische Parlament hat heute ein sogenanntes "Ermächtigungsgesetz" beschlossen: Damit kann Ministerpräsident Viktor Orbán künftig mit Verordnungen regieren, ohne dass er für seine Gesetze die Zustimmung des Parlaments braucht. Das Gesetz hat keine Befristung, als Grund dafür gab die ungarische Regierung die massive Ausbreitung des Coronavirus an.

Die ehemalige Bundesjustizministerin und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Naumann-Stiftung, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP, kritisiert in ihrem Gastbeitrag Viktor Orbán scharf: Mit dem heutigen Tag habe sich Ungarn weiter von rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt.

Keine Krise rechtfertigt die totale Demontage der Demokratie. Im Schatten der Corona-Krise will der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán seine Macht noch weiter ausbauen – und dabei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte aushöhlen. Auch im Ausnahmezustand haben Bürger Anspruch auf Grundrechtsschutz. Diese Rechte dürfen niemals willkürlich eingeschränkt werden.

Am 20. März 2020 legte die Regierung in Budapest der Ungarischen Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf zum Schutz vor dem Coronavirus vor. Der Entwurf sieht eine parlamentarische Genehmigung zur Verlängerung des von der Regierung am 11. März erklärten Ausnahmezustands vor.

Änderung des Strafgesetzbuchs

Das heute verabschiedete Ermächtigungsgesetz ermöglicht es dem Ministerpräsidenten Viktor Orbán, per Dekret und ohne parlamentarische Zustimmung zu regieren. Es hat keine Verfallsklausel oder irgendeine andere Bestimmung, die gewährleisten würde, dass das Parlament seine Aufsichtsrolle ausüben kann.

Der Versuch, den Gesetzentwurf im Eilverfahren durch das Parlament zu bringen ist, am vergangenen Montag gescheitert, weil dafür die nötige Vierfünftelmehrheit fehlte. Die Regierung hat den Antrag daher heute erneut eingebracht, weil er nun mit einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet werden konnte – also genau die Anzahl von Abgeordneten, über die Orbán im Parlament verfügt.

Das Ermächtigungsgesetz wird auch das Strafgesetzbuch ändern: Jeder, der "falsche" oder "verzerrte" Tatsachen veröffentlicht, die den "erfolgreichen Schutz" der Öffentlichkeit beeinträchtigen – oder die die Öffentlichkeit alarmieren oder in Aufregung versetzen –, kann mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.

Viele absichtlich unklare Formulierungen

Der Antrag war bewusst vage gehalten. Aus ihm wird nicht klar, wer darüber entscheidet, was "falsche Informationen" sind, was genau eine "Störung" der Quarantäne ausmacht oder warum ein Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit erforderlich ist. Aus juristischer Sicht gab und gibt es keinen Grund für dieses Ermächtigungsgesetz.

Das Gesetz stellt eine ernste Bedrohung für die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn dar, was sich auch auf den Betrieb von Unternehmen auswirken kann. Die Regierung setzt derzeit Koordinierungsgruppen der Armee ein, um den Betrieb von 140 Unternehmen im öffentlichen und privaten Sektor zu überwachen, die wichtige Dienstleistungen (beispielsweise Energie und Einzelhandel) erbringen.

Gegen Meinungsvielfalt heißt totalitärer Staat

Die letzten zehn Jahre waren ein ausreichender Beweis dafür, dass die ungarische Regierung jede Gelegenheit nutzt und missbraucht, um Institutionen zu schwächen, die der Kontrolle ihrer Macht dienen. Das tut sie nunmehr wieder unter dem Vorwand, die Gefahren zu bekämpfen, die vom Coronavirus ausgehen – so, als ob dies mit verfassungsdemokratischen Mitteln nicht möglich wäre. Die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs kann die Kampagne gegen die Opposition und die Angriffe auf die Pressefreiheit in Ungarn noch weiter verschärfen.

In Ungarn werden Pressefreiheit und Medienpluralismus seit 2010 systematisch eingeschränkt; regierungsnahe Medien dominieren die Medienlandschaft. Der Gesetzentwurf ist ein weiterer Höhepunkt dieser Entwicklung. Insbesondere unabhängige Journalisten, die bereits vor der Krise von der Regierung und ihren loyalen Medien beschuldigt wurden, Desinformationen zu verbreiten, sind alarmiert.

Wer Meinungsvielfalt nicht will, will den totalitären Staat

Aus diesem Grund hat eine Gruppe Juristen, darunter auch ehemalige Verfassungsrichter, eine Online-Petition gegen das Gesetz initiiert, die inzwischen über 90.000 Unterzeichner gefunden hat. Demokratie kann ohne freie und unabhängige Medien nicht funktionieren. In Krisenzeiten ist es wichtiger denn je, dass Journalisten ihre Arbeit machen können, um Desinformation zu bekämpfen und Meinungspluralismus zu gewährleisten. Kritische Stimmen sind bereichernd. Wer Meinungsvielfalt nicht will, will den totalitären Staat.

Der Gefahrenzustand, der als besondere Rechtsordnung eingeführt wurde, ist keine außerkonstitutionelle Angelegenheit und darf nicht zu einer werden. Die verfassungsrechtliche Kontrolle über die Entscheidung zur Ausweitung des Gefahrenzustands und über die Maßnahmen, die während dieses Gefahrenzustandes getroffen werden, muss stets gewährleistet sein.

Auch muss das Verhältnis des Ermächtigungsgesetzes zum Grundgesetz klar definiert werden und eine Verfallsklausel haben. Da sind einfache aber grundlegende demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien – doch davon hat sich Ungarn einen weiteren Schritt entfernt.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger für t-online.de
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