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Großbritannien: Macht die Delta-Variante den Impferfolg zunichte?


Infektionszahlen steigen
Macht die Delta-Variante den britischen Impferfolg zunichte?

  • David Schafbuch
Von David Schafbuch

Aktualisiert am 09.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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Außenbereich von Restaurants und Cafés in London: In Großbritannien hat die Delta-Variante des Coronavirus die Oberhand gewonnen.Vergrößern des Bildes
Außenbereiche von Restaurants und Cafés in London: In Großbritannien hat die Delta-Variante des Coronavirus die Oberhand gewonnen. (Quelle: Tayfun Salci/imago-images-bilder)

Großbritannien impft erfolgreicher als fast alle anderen Länder in Europa. Trotzdem steigen dort die Infektionszahlen wieder und gefährden die nächsten Öffnungsschritte. Was ist da los?

Beim Impfen denkt Boris Johnson mittlerweile in den ganz großen Dimensionen. "Die Welt bis Ende des nächsten Jahres zu impfen, wäre die größte Heldentat der medizinischen Geschichte", sagte der britische Premierminister im Vorfeld des G7-Gipfels in seiner Heimat am kommenden Wochenende. Man müsse nun dafür sorgen, dass der Impfstoff weltweit besser verteilt werde und dass mehr Dosen über die Covax-Initiative in ärmere Länder gelangen. Wohl wissend, dass sein Land – anders als etwa die EU – bisher kaum Impfdosen ins Ausland exportiert hat.

Wer nur die Impfquoten in Großbritannien betrachtet, könnte Johnsons Blick über die eigenen Grenzen hinaus nachvollziehen. Verglichen mit anderen Staaten verläuft seine Kampagne erfolgreich: Fast 60 Prozent aller Briten haben inzwischen ihre Erstimpfung erhalten, rund 40 Prozent sind schon vollständig geimpft. Abgesehen von den Kleinstaaten Malta, San Marino oder Gibraltar ist kein Land in Europa schneller.

Inzidenz steigt wieder

Der Blick auf die Infektionszahlen bereitet vielen Briten dagegen Sorgen. Seit gut drei Wochen steigen die täglich gemeldeten Corona-Fälle wieder. Mehr als 6.000 Neuinfektionen wurden etwa am Dienstag vermeldet. Zuletzt lag die Zahl Ende März so hoch. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei knapp über 50, Ende Mai lag der Wert noch bei 15,6. Schuld daran ist wohl die Delta-Variante des Virus, die zunächst in Indien auftrat und mittlerweile die vorherrschende Variante auf der Insel ist.

Die britische Regierung warnt vor der neuen Entwicklung: Man gehe von einer 40 Prozent höheren Ansteckungsrate aus, sagte Gesundheitsminister Matt Hancock der BBC. Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer will aufgrund der dünnen Datenlage in Deutschland noch keine Aussage über die Infektionsgefahr treffen. Er ist dennoch besorgt über die Entwicklung: "Die steigenden Zahlen sprechen dafür, dass es außer Kontrolle geraten könnte", sagte Stürmer t-online.

Intensivstationen noch leer

Auf den Intensivstationen und auch bei den Todesfällen hat sich die Delta-Variante hingegen noch nicht bemerkbar gemacht. Landesweit bleiben beide Werte bisher auf einem niedrigen Niveau. Zuletzt gab es in Großbritannien sogar einen Tag ohne neuen Covid-Todesfall. Auch im Delta-Hotspot Bolton im Nordwesten Englands verzeichnen die Krankenhäuser bislang keine signifikanten Anstiege, sagte Chris Hopson, Leiter des britischen Gesundheitsdienstes NHS, der BBC.

Zwei Dinge sind laut Hopson allerdings auffällig: Viele der Infizierten in den Krankenhäusern seien jünger und fast immer nicht vollständig geimpft. Auch die englische Gesundheitsbehörde PHE fand zuletzt in einer Studie heraus, dass erst die zweite Impfung eine größere Schutzwirkung gegen die Mutation bieten kann. Demnach schütze eine Dosis mit den Mitteln von Biontech oder Astrazeneca zu 33 Prozent vor einem symptomatischen Krankheitsverlauf, nach zwei Impfungen steige bei Biontech der Schutz auf 88 Prozent, bei Astrazeneca auf 60 Prozent.

Wird Astrazeneca zum Problem?

Martin Stürmer sieht trotz der hohen Impfquoten darin einen Grund, warum die Variante in Großbritannien dennoch auf dem Vormarsch ist. Zwei von drei Erstgeimpften seien eben nicht ausreichend geschützt. Das Mittel von Astrazeneca biete gegen die Mutation auch nach der zweiten Impfung nur eine "abgeschwächte Immunität", ähnlich wie bereits bei der Beta-Variante, die zunächst in Südafrika aufgetaucht war. Hinzu komme, dass in Großbritannien der Impfstoff von Astrazeneca deutlich häufiger gespritzt werde als etwa in Deutschland: "Deshalb kann eine Delta-Infektion auch bei mehr Zweitgeimpften durchbrechen."

Die Mutante könnte in der britischen Regierung zu einem Umdenken führen. Ursprünglich hatte Boris Johnson geplant, vom 21. Juni an alle Corona-Maßnahmen für das Land aufzuheben. Inzwischen werden allerdings Stimmen laut, die große Öffnung zu verschieben. "Ganz zur Normalität zurückzukehren, ist sicher nicht im allgemeinen Interesse", sagte der Immunologe Ravindra Gupta von der Universität Cambridge am Montag der BBC. Man müsse stattdessen die verbliebenen Maßnahmen für einige Wochen verlängern. Auch Gesundheitsminister Hancock sei "absolut offen" dafür, die finalen Lockerungen zu verschieben.

Lockerungen stehen auf der Kippe

"Ich würde es im Moment nicht mehr riskieren, in irgendeiner Form zu lockern", sagt Martin Stürmer zu den Öffnungsplänen der britischen Regierung. Durch mehr Freiheiten mache man es dem Virus noch leichter, sich auszubreiten. Steigende Infektionszahlen könnten dann nicht mehr das größte Problem sein: "Wenn es dumm läuft, entstehen Mutationen, die den Impfschutz komplett durchbrechen können."

Großbritannien befinde sich im Moment in einer ähnlichen Situation wie Deutschland zu Beginn des Jahres: Damals habe man die noch schwache Alpha-Variante unterschätzt und weitere Lockerungen verkündet, wodurch die dritte Infektionswelle ausgelöst wurde. "Wenn die Briten jetzt alle Regeln aufgeben, steigen die Zahlen deutlich", glaubt Stürmer. Festgelegt auf einen vorsichtigeren Kurs hat sich die britische Regierung allerdings noch nicht. Die nächsten Schritte will Johnson am 14. Juni verkünden.

Was kann Deutschland aus der Entwicklung in Großbritannien lernen? Bisher hat die Mutation hier noch nicht die Kontrolle übernommen. Laut Robert Koch-Institut wurde die Delta-Variante bislang nur in zwei Prozent der Fälle nachgewiesen. Gernot Marx vermutet trotzdem, dass die Variante auch in Deutschland bald die Oberhand gewinnt, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) der "Rheinischen Post".

Martin Stürmer sieht das anders: "Wir haben es noch in der Hand, ob sich die Variante in Deutschland durchsetzt." Um die Kontrolle zu behalten, gelte das Gleiche wie für Großbritannien: Man müsse zu starke Lockerungen vermeiden.

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