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Interview zu Ruthenium-106: Wie sicher sind Russlands Atomanlagen?


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"Es ist eindeutig, dass es einen Unfall gegeben haben muss"

t-online, Marc von LΓΌpke

Aktualisiert am 12.12.2017Lesedauer: 5 Min.
Atomanlage in Russland: Seit Wochen erreicht Zentraleuropa radioaktives Ruthenium-106 aus dem Ural.
Atomanlage in Russland: Seit Wochen erreicht Zentraleuropa radioaktives Ruthenium-106 aus dem Ural. (Quelle: Yuri Maltsev/Reuters-bilder)
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Seit Wochen messen Experten radioaktives Material in Deutschland. Eindeutig stammt es aus Russland. Der Physiker Gerald Kirchner erklΓ€rt, wie gefΓ€hrlich osteuropΓ€ische Nuklearanlagen sind. Und warum ihn das Verhalten der russischen BehΓΆrden besorgt.

Ein Interview von Marc von LΓΌpke

t-online.de: Professor Kirchner, seit Wochen treiben Winde radioaktives Ruthenium-106 zu uns nach Mitteleuropa. Inzwischen ist Russland als Quelle ausgemacht. Wie zuverlΓ€ssig ist diese Annahme?

Gerald Kirchner: Anhand relativ aufwendiger Berechnungen kann die Quelle eindeutig festgestellt werden. Im Prinzip lΓ€sst man dabei atmosphΓ€rische LuftstrΓΆmungen rechnerisch rΓΌckwΓ€rts ablaufen. Ob dieser radioaktive Stoff in Deutschland, Skandinavien oder auch auf dem Balkan nachgewiesen wurde: Alle Berechnungen weisen immer wieder auf die sΓΌdliche Ecke des Urals hin.

Was kΓΆnnte dort passiert sein?

Es ist eindeutig, dass es dort einen Unfall gegeben haben muss, der mit einer massiven Hitzeentwicklung einherging. Sonst wΓ€re dieses Ruthenium-106 nicht in solchen Konzentrationen in hΓΆhere Luftschichten gelangt, mit denen es dann ΓΌber tausende Kilometer zu uns nach Zentraleuropa transportiert worden ist. Bei diesem Brand kΓΆnnen wir von einem massiven Feuer mit Zentraltemperaturen von 800 bis 1000 Grad Celsius ausgehen – erst dann wird das Ruthenium-106 dampffΓΆrmig und in den festgestellten Partikelformen freigesetzt.

Strahlenquelle: Verbreitungsweg des radioaktiven Rutheniums-106
Strahlenquelle: Verbreitungsweg des radioaktiven Rutheniums-106

Warum haben die russischen BehΓΆrden die NachbarlΓ€nder nicht vor der Strahlung gewarnt?

Ich mΓΆchte kurz an den katastrophalen Unfall in Tschernobyl 1986 erinnern. Ich war damals selbst an den Messungen in Deutschland und den radiologischen GefahreneinschΓ€tzungen beteiligt. FΓΌr uns Wissenschaftler war es damals mit das Schlimmste, dass wir keinerlei Informationen darΓΌber erhielten, was in der Sowjetunion ΓΌberhaupt los war. Die damalige sowjetische Regierung informierte die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) offiziell erst drei Monate spΓ€ter darΓΌber, dass es einen schweren Reaktorunfall gegeben hatte. Eine Konsequenz war daraufhin, dass praktisch sΓ€mtliche LΓ€nder, die ein Nuklearkraftwerk betreiben, einer Konvention beitraten: Bei einem Zwischenfall in einer Atomanlage mΓΌssen sie der IAEO schnellstmΓΆglich detaillierte Informationen ΓΌber Unfallablauf und Emissionen sowie eine RisikoeinschΓ€tzung liefern.

Was die russischen BehΓΆrden im Falle des nun gemessenen Rutheniums-106 ebenfalls unterlassen haben.

Richtig, Russland hat es wieder nicht getan. Ich finde das Verhalten der russischen BehΓΆrden erschreckend. Erst Ende November – wenn ich richtig informiert bin – hat es aus diesem Staat Informationen gegeben, dass es einen Unfall gegeben hat. Davor ist es ja sogar abgestritten worden. Ich sage es noch einmal: FΓΌr jeden effizienten Katastrophenschutz ist es unabdingbar, dass die BehΓΆrden schnellstmΓΆglich wissen, was passiert ist.

Sind wir in Deutschland heute besser auf eine Katastrophe wie damals in Tschernobyl vorbereitet?

Eindeutig ja. Wir sind fΓΌr den Fall eines Unfalls in einem Kernkraftwerk im Inland oder Ausland nahezu perfekt vorbereitet. Wir haben FrΓΌhwarnsysteme mit Messverfahren aufgebaut, die so empfindlich sind, dass wir sogar mitbekommen, wenn es in dem Bereich um Tschernobyl herum im Sommer einen Waldbrand gibt und dort durch Hitze radioaktive Partikel aufgewirbelt und zu uns Richtung Westen getrieben werden. Das Mess-System umfasst weiterhin rund 1700 Sonden, die ΓΌber ganz Deutschland verteilt sind und, falls erforderlich, alle zehn Minuten einen Wert ΓΌbermitteln. Die BehΓΆrden haben sehr viel Geld, Zeit und Wissen investiert, um diese Werte so zu analysieren, dass innerhalb kΓΌrzester Zeit eine SituationseinschΓ€tzung erfolgen kann. Auch unsere europΓ€ischen NachbarlΓ€nder haben Γ€hnliche Systeme aufgebaut und mit unserem verzahnt.

Sprechen wir noch einmal ΓΌber das nun gemessene Ruthenium-106. In dem ausgemachten Ursprungsgebiet liegt die berΓΌchtigte Wiederaufbereitungsanlage Majak. Ist sie die Quelle?

Was sich sofort ausschließen lÀsst, ist ein Kernkraftwerksunfall wie Tschernobyl 1986. In diesem Fall hÀtten wir nicht nur Ruthenium-106 gemessen, sondern auch andere radioaktive Substanzen. Auch ein Zwischenfall in einer Wiederaufarbeitungsanlage wie Majak wÀre für mich aus den gleichen Gründen wenig plausibel. Mâglicherweise war es ein Unfall in einem separaten Teil dieser Anlage in Majak, in dem gezielt Ruthenium-106 beispielsweise für medizinische Anwendungen in reiner Form produziert worden sein kânnte. Ich sage das aber mit Vorsicht!

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Wiederaufbereitungsanlage Mayak: Bereits 1957 ereignete sich dort ein schwerer nuklearer Unfall.
Wiederaufbereitungsanlage Mayak: Bereits 1957 ereignete sich dort ein schwerer nuklearer Unfall. (Quelle: EPA/CARL ANDERSON/dpa-bilder)

Wie steht es generell um die Sicherheit russischer oder auch ukrainischer Kernreaktoren?

Manche Reaktoren vom auch in Tschernobyl eingesetzten Typ sind im Wesentlichen mit Mitteln der EU und der USA technisch nachgerΓΌstet worden. Viele dieser Kraftwerke sind allerdings mittlerweile sehr alt – 30 Jahre und weit mehr. Alterungseffekte wie die VersprΓΆdung des Materials betreffen den gesamten Reaktorpark in der Ukraine und Russland.

Überspitzt gefragt: Es kann jederzeit wieder knallen?

Kernkraftwerke sowjetischen Typs, die in der DDR in Betrieb waren oder sich im Bau befanden, wurden nach der Wende 1989 aufgrund von SicherheitsΓΌberprΓΌfungen allesamt stillgelegt. Das lag daran, dass die sowjetischen Kernkraftwerksplaner von Beginn an bestimmte westliche Sicherheitsstandards nicht eins zu eins umgesetzt haben. Genau diese Kraftwerkstypen sind bis heute aber noch im Osten in Betrieb – und wir mΓΌssen konstatieren, dass das Risiko fΓΌr schwere UnfΓ€lle dort erheblich hΓΆher war und ist als bei den in Deutschland gebauten Anlagen.

Nun ist die Ukraine seit langer Zeit Schauplatz eines bewaffneten Konflikts.

Gemessen an der Zahl der Reaktorblâcke und der GesamtkapazitÀt befindet sich das weltweit grâßte Kernkraftwerk Saporischschja mit sechs Blâcken in der Ostukraine relativ nah zum gegenwÀrtigen Kriegsschauplatz. Die angespannte finanzielle Situation der Ukraine kommt noch hinzu. Wünschenswerte Nachrüstmaßnahmen durchzuführen ist also schwierig.

Die Einwohner Russlands und der Ukraine wΓ€ren im Fall einer nuklearen Katastrophe die ersten Leidtragenden. Warum schΓΌtzen die Regierungen ihre BΓΌrger nicht besser?

Publik gewordene StΓΆrfalle in Kernkraftwerken kosten Geld. In der Regel werden Stillstandszeiten angeordnet, organisatorische oder technische NachrΓΌstmaßnahmen getroffen. Ich sage es ganz einfach: Wenn Sie ein Kernkraftwerk gebaut haben und es produziert Strom, ist das besser als jede Gelddruckmaschine - vor allem, wenn die Investitionskosten abgeschrieben sind und keine weiteren Kosten fΓΌr Sicherheitsmaßnahmen anfallen. Γ–konomisch gesehen gibt es fΓΌr einen Staat wie Russland, der die sowjetischen Kernkraftwerke ΓΌbernommen hat, also starke Anreize, diese Anlagen mΓΆglichst lange laufen zu lassen.

Werden diese hochbrisanten Materialien in Russland eigentlich sicher verwahrt?

Das kann ich schlecht beantworten. Dazu mΓΌsste man Zugang zu derartigen Anlagen erhalten. Aber: Es hat rund 15 Jahre gedauert, bis die Brennelemente der ausgedienten sowjetischen und russischen Kriegsschiffe zumindest in eine sichere Zwischenlagerung ΓΌberfΓΌhrt worden sind. Und das auch nur mit westlicher Hilfe. Zuvor waren diese radioaktiven Elemente in der NΓ€he von Murmansk einfach in aufgegebenen Schiffen gelagert worden. Diese Stoffe mΓΌssen permanent gekΓΌhlt und ΓΌberwacht werden – es gab aber immer wieder Probleme mit der Stromversorgung. Jedem, der sich mit Reaktorsicherheit auskennt, haben sich die Nackenhaare gestrΓ€ubt.

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Russisches U-Boot im Jahr 2000 nahe Murmansk: Nukleare BrennstΓ€be wurden lange vΓΆllig unzureichend auf alten Schiffen gelagert.
Russisches Atom-U-Boot im Jahr 2000 nahe Murmansk: Nukleare BrennstΓ€be wurden lange vΓΆllig unzureichend auf alten Schiffen gelagert. (Quelle: Str/dpa-bilder)

Neben der zivilen Nutzung wird die Atomtechnologie auch fΓΌr militΓ€rische Zwecke verwendet. KΓΆnnen Sie etwas zum Status der Atomwaffen in den ehemaligen sowjetischen Nachfolgestaaten sagen?

In diesem Bereich handelt es sich immer um SchÀtzungen. WÀhrend der Hochphase des Kalten Krieges besaß die Sowjetunion bis zu 30.000 Sprengkâpfe. Heute gibt es in Russland vermutlich 6.000 bis 7.000. Davon sind etwa tausend Sprengkâpfe einsatzbereit. Für die USA kânnen Sie von Àhnlichen Zahlen ausgehen.

Zurzeit modernisieren sowohl Russland als auch die USA ihren Atomwaffenarsenale.

Ziel ist es unter anderem, die Sprengwirkung der vorhandenen Waffen durch technische Verbesserungen zu erhΓΆhen. Aus meiner Sicht ist diese Modernisierung aber nichts, was die nukleare militΓ€rische Bedrohung in eine andere Dimension befΓΆrdert. Allein die 1.000 sofort einsatzbereiten SprengkΓΆpfe auf jeder Seite kΓΆnnten unseren Planeten weit mehr als einmal zerstΓΆren.

Professor Kirchner, wir danken fΓΌr das GesprΓ€ch!

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  • Marianne Max
Von Marianne Max
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