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Abtreibungen in den USA | Eklat am Supreme Court: Wer ist der Maulwurf?


Eklat am Supreme Court
Wer ist der Maulwurf?

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 04.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Offenbar will der Supreme Court das wegweisende Urteil "Roe V. Wade" kippen, das 1973 das Recht auf Abtreibung gewährte.Vergrößern des Bildes
Offenbar will der Supreme Court das wegweisende Urteil "Roe V. Wade" kippen, das 1973 das Recht auf Abtreibung gewährte. (Quelle: Steven Ramaherison/TheNews2/imago-images-bilder)

Der amerikanische Supreme Court will offenbar das Recht auf Abtreibung kippen. Das ohnehin gespaltene Land droht ins Chaos zu stürzen. Doch wer stach brisante Dokumente der Richter an die Presse durch?

Ein gefährliches Beben erschüttert die US-Hauptstadt seit vergangener Nacht – und es ist zu spüren im ganzen Land. Zum einen geht es dabei um das mögliche Kippen der seit Jahrzehnten bestehenden Abtreibungsregelungen in den USA.

Aber es geht um noch sehr viel mehr. Um die Frage: Welche Richtung schlägt die amerikanische Gesellschaft grundsätzlich ein? Rutscht sie ab in einen reaktionären Zustand, in dem insbesondere Frauen, Afroamerikaner oder Homosexuelle diskriminiert werden? Oder setzen sich die Gegner eines solchen Konservatismus durch? Und es geht um die vielleicht noch entscheidendere Frage: Können die Amerikaner ihren Institutionen noch vertrauen?

Ausnahmezustand in Amerika

Nachdem das US-Magazin "Politico" ein internes, 98-seitiges Dokument zur anstehenden Abtreibungsentscheidung aus dem Obersten Gerichtshof veröffentlicht hat, befindet sich Amerika jedenfalls im Ausnahmezustand – juristisch, politisch und gesellschaftlich. Dem geleakten Entwurf des Supreme Court zufolge befürwortet eine konservative Mehrheit von Richtern die Sicht, dass die US-Bundesstaaten selbst über ihre Abtreibungsregeln entscheiden können sollen. Zahlreiche republikanisch regierte Bundesstaaten würden dann in der Lage sein, Schwangerschaftsabbrüche erheblich zu erschweren, wenn nicht gar ganz zu verbieten.

Wie weitreichend die juristische, politische und gesellschaftliche Wirkung des "Politico"-Leaks ist, machte ein prompt veröffentlichtes Statement des US-Präsidenten Joe Biden deutlich. Wenn das Gericht das berühmte Urteil "Roe v. Wade" kippen würde, so Biden, dann müsse man auf allen Ebenen gesetzgeberisch tätig werden. Ziel: Das Recht von Frauen zu schützen, selbst entscheiden zu können, ob sie abtreiben wollen oder nicht. Bislang gibt es in Amerika nämlich kein umfassendes Bundesgesetz, das Abtreibungen regelt. Alles basiert bislang nur auf den offenbar nun revidierbaren Entscheidungen des Supreme Courts.

Biden verwies in seiner Erklärung auch auf die Verantwortung der amerikanischen Wähler. Sie müssten im November bei den Zwischenwahlen unbedingt Vertreter wählen, die sich für das Recht auf Abtreibungen einsetzen würden. Es brauche unbedingt mehr Befürworter von "Pro-Choice" im Repräsentantenhaus und im Senat.

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Das erschütterte Vertrauen

Von ebensolchen Wahlaufrufen fühlen sich die erbitterten politischen Gegner derweil bestätigt. Zahlreiche Republikaner beschäftigen sich weniger mit dem Inhalt des Leaks, sondern mit dem Durchstechen der Informationen. Ihr Verdacht: Liberale, den Demokraten zugeneigte Mitarbeiter am Obersten Gericht hätten den Entwurf an die Presse gegeben, damit die Demokraten ihre derzeit demotivierten Wählerinnen und Wähler im November leichter an die Urnen bringen können.

Zahlreich machen sogar Vergleiche zum 6. Januar 2021 die Runde, dem sogenannten "Sturm aufs Kapitol". Der politische motivierte Leak sei ein Angriff auf eine der wichtigsten Institutionen im Land, heißt es aus dem Lager der GOP und vor allem der Trump-Unterstützer. Auch der Anführer der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell, schloss sich rhetorisch an. Der Vorgang sei "eine Attacke auf die Unabhängigkeit des Supreme Courts", ließ er verbreiten.

Es gibt noch viele andere denkbare Szenarien. Einige vermuten die Konservativen hinter dem Leck. Die These: Eben, um es den Demokraten politische Agitation in die Schuhe schieben. Dann müssten sich die Republikaner nämlich inhaltlich gar nicht mit dem auseinandersetzen, wofür sie eigentlich seit Jahrzehnten kämpfen. Tatsächlich sind die Anhänger der GOP sehr viel gespaltener in der Abtreibungsfrage, weshalb politisch damit gar nicht viel zu gewinnen ist, zumindest nicht in der Mitte. Sich hingegen gegen den verhassten elitären "Deep State" zu erheben, damit bringt man die Anhänger wiederum hinter sich.

Erosion der Glaubwürdigkeit

Tatsächlich könnte das Oberste Gericht nun noch weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Auch deshalb äußerte sich mit John Roberts einer der Supreme Court Richter und prangerte das Durchsickern an. Dies sei nicht weniger als "Verrat". Er kündigte sofortige Ermittlungen an angesichts des "einzigartigen und ungeheuerlichen Vertrauensbruchs. Das Ganze sei ein "Affront gegen das Gericht und die hier arbeitenden öffentlichen Bediensteten" und der Versuch, "Integrität" des Obersten Gerichtshofs zu "untergraben". Dieser Versuch aber werde keinen Erfolg haben. "Die Arbeit des Gerichts wird in keiner Weise beeinträchtigt", so Roberts.

Ungeachtet des aktuellen Skandals wirkt das Statement von Roberts zugleich wie der hilflose Versuch, eine ohnehin extrem politisierte Institution als der Neutralität verpflichtet darzustellen. Dass es dafür vielleicht längst zu spät ist, dafür muss man sich nur die Debatten in den Medien und den sozialen Netzwerken ansehen.

Warten auf den heißen Herbst

In Washington sind für den Abend neue Demonstrationen vor dem Supreme Court angekündigt. Dass es dabei für viele um sehr viel mehr geht als nur um das Recht auf Abtreibungen, machte der US-Präsident vor Reportern deutlich. Sollte die richterliche Entscheidung des Entwurfs Bestand haben, dann wäre dies "eine radikale Entscheidung", die "eine grundlegende Veränderung in der amerikanischen Rechtsprechung" bedeuten würde.

Das Ganze sei dann ein erheblicher Eingriff in das Privatleben der Amerikaner seitens der Bundesstaaten. Am Ende gehe es darum, ob sie noch frei entscheiden könnten, ob sie Kinder bekommen oder nicht, wen sie heiraten oder nicht. Was bedeutet das, wenn man in Florida entscheiden könne, ein Gesetz zu verabschieden, das besagt, dass gleichgeschlechtliche Ehen nicht mehr zulässig sind?

Chuck Schumer, Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat, brachte es in einer Rede vor der Kammer auf diesen Punkt: "Es ist klar, dass sie versuchen werden, die Uhr in eine Zeit zurückzudrehen, in der Frauen, People of Color und LGBTQ-Personen, Bürger zweiter Klasse sind."

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Egal, wie es nun weitergeht: Die amerikanische Gesellschaft gerät weiter ins Rutschen. Das Vertrauen in die Gesetzgebung und Rechtsprechung des Landes hat vorerst einen neuen Tiefpunkt erreicht. In den kommenden Monaten vor den Zwischenwahlen und der im Juni anstehenden Supreme-Court-Entscheidung wird sich zeigen, welche Zukunft die Vereinigten Staaten vor sich haben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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