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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Parteipläne des Tesla-Chefs "Musks Idee könnte große Auswirkungen haben"

Elon Musk will das Zweiparteiensystem der USA sprengen. Aber hilft er damit der Demokratie? Dustin Wahl von der Organisation Fix Our House ist skeptisch, prophezeit jedoch eine mögliche Revolution.
Mit wenigen Tweets hat Elon Musk die politische Szene der USA aufgeschreckt: Laut denkt er über die Gründung einer eigenen, einer dritten Partei nach, die "America Party" heißen soll. Ist das nur das nächste Hirngespinst des impulsiven Milliardärs oder der Anfang vom Ende des umstrittenen Zweiparteiensystems?
Dustin Wahl ist Geschäftsführer von Fix Our House, einer Organisation, die sich seit 2022 für strukturelle Wahlrechtsreformen in den USA einsetzt, insbesondere für Verhältniswahlrecht. Im Gespräch mit t-online erklärt er, warum Musk keinesfalls ignoriert werden sollte, was seine potenzielle Partei für die Republikaner bedeuten könnte – und warum die eigentliche Krise der US-Demokratie viel tiefer liegt.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
t-online: Herr Wahl, was war Ihr erster Gedanke, als Sie gehört haben, dass Elon Musk eine dritte Partei gründen will, die "America Party"?
Dustin Wahl: Das hat definitiv meine Aufmerksamkeit geweckt. Zuerst habe ich aber meine Augenbrauen hochgezogen. Bei Musk ist es immer schwer zu sagen, wie ernst er etwas meint. Er twittert oft und denkt dann erst nach. Aber ihn zu unterschätzen, ist gefährlich. Vor allem die Republikaner täten gut daran, ihn ernst zu nehmen. Und ich glaube, einige tun das auch.
Es gibt längst viele andere Parteien in den USA, die aber kaum jemand kennt. Sie spielen so gut wie keine Rolle. Warum sollte das dieses Mal anders sein?
Das ist richtig. Unser Wahlsystem ist auf zwei Parteien ausgelegt. Es gibt massive Hürden für neue Parteien, über die wir sicher noch sprechen werden. Aber Elon Musk ist ein echter Sonderfall: Aufgrund seines immensen Reichtums und seines unberechenbaren Charakters könnte er manche dieser Hürden einfach umgehen. Wenn er wirklich Geld in die Hand nimmt und mit vollem Einsatz dabei ist, könnte seine Idee große politische Auswirkungen haben. Ich halte es aber auch für wahrscheinlich, dass er das Vorhaben am Ende doch nicht weiterverfolgt.
Ist Musks "America Party" eher der öffentlichkeitswirksame Alleingang eines Milliardärs als eine ernst zu nehmende politische Bewegung?
Es ist definitiv ein Stunt, aber möglicherweise könnte sich daraus auch eine relevante politische Bewegung entwickeln. Bei Musk ist das nicht abzusehen. Seit der Trump-Ära fühlt sich alles eher wie Theater an. Musks Idee ist bislang kaum mehr als ein Tweet und dürfte sich als Strohfeuer entpuppen. Aber sollte auch nur ein Funke Ernsthaftigkeit dahinterstecken, könnte sie schwerwiegende Folgen haben.
Wer würde negativer von der "America Party" betroffen sein – Demokraten oder Republikaner?
Solange wir das Programm nicht kennen, bleibt das zu einem gewissen Grad Spekulation. Aber wenn Musk wirklich loslegt, würde das den Republikanern ziemlich sicher mehr schaden. Wir sprechen bei solchen Drittparteien vom sogenannten Spoiler-Effekt. Solche Projekte fungieren gewissermaßen als Spielverderber. In einem Zweiparteiensystem zieht eine neue Partei Stimmen von der ideologisch nächstgelegenen Partei ab und hilft so indirekt der Gegenseite. Da Musks bekannte politische Ideen den Republikanern deutlich näher stehen, dürften die Demokraten von dem Streit innerhalb des konservativen Spektrums profitieren.
Ihre Organisation Fix Our House setzt sich seit vielen Jahren für strukturelle Wahlreformen in den USA ein, vor allem für ein Verhältniswahlrecht. Entspricht Musks Parteigründung ihren Zielen oder lenkt das eher ab?
Dieser Fokus auf Musk lenkt definitiv ab. Aber – und das ist wichtig – theoretisch könnte es Überschneidungen geben. Wir kämpfen für eine Wahlrechtsreform, vor allem für ein Verhältniswahlrecht. Dazu arbeiten wir direkt mit Abgeordneten in Washington zusammen, klären auf, machen Lobbyarbeit. Ich erwarte keine Revolution, die morgen beginnt, aber wir arbeiten an der Grundlage. Musk könnte mit seinem Vorhaben eine Krise innerhalb der Republikaner und damit auch innerhalb des Systems heraufbeschwören. Und es ist gut, darauf vorbereitet zu sein.
Gewissermaßen steckt das politische System der USA ja bereits in einer Krise.
Ja, unser Mitgründer Lee Drutman spricht vom "Two-Party Doom Loop", also dem Teufelskreis der Zweiparteienlogik. Unser System zwingt uns in zwei Lager, die sich permanent bekämpfen. Unser System ist krank und es macht uns als Gesellschaft krank. Die Hyperpolarisierung ist das Resultat davon. Wenn wir ein Verhältniswahlrecht hätten, dann könnten wir diese Blockade aufbrechen. 70 Prozent der Amerikaner sagen, sie wollen mehr als die zwei Parteien. Auch die Anzahl jener, die sich als unabhängig von Republikanern und Demokraten definieren, war nie höher.
Sind Trump und auch Musk lediglich die Symptome dieses Systems, das sie als kaputt beschreiben?
Absolut. Trump ist nicht die Ursache. Er ist das Symptom. Unser System begünstigt Populismus, verhindert Kompromisse. Die politische Tribalität, also die Feindseligkeit des Lagerdenkens, hat systemische Ursachen.
Dabei gelten die USA doch als Wiege der modernen Demokratie. Sie feiern im nächsten Jahr den 250. Geburtstag.
Ja, aber ironischerweise raten wir anderen Ländern ja von unserem Wahlsystem ab. In gespaltenen Gesellschaften ist Mehrheitswahl das Schlechteste, was man eigentlich machen kann. Und genau das praktizieren wir hier, obwohl wir es besser wissen müssten.
Sie kämpfen seit Jahren für diese Reformen. Aber obwohl so viele Menschen gerne die realistische Wahl zwischen mehr als zwei Parteien hätten, scheint sich nichts zu ändern. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Weil dieses Anliegen Menschen aus allen politischen Lagern vereint: Demokraten, Republikaner, Libertäre, Grüne. Es geht nicht um Ideologie, sondern um Fairness. Ich persönlich hätte beispielsweise keinerlei Interesse an einer Partei, wie Musk sie gründen würde. Aber sollte er es ernst meinen, könnte sein Vorstoß zumindest die Strukturen aufbrechen – und das würde uns helfen.
Können Sie beschreiben, warum die Chancen für Musk nicht so schlecht stehen und warum sein Geld dafür entscheidend sein könnte?
Seine finanziellen Ressourcen stellen einen gewaltigen Faktor dar. Er hat praktisch unbegrenzt Geld. Normalerweise ist die Finanzierung eine der größten Hürden, die er damit aber umgehen kann. Nehmen Sie das Beispiel Wahlzulassung: Man benötigt dafür Tausende Unterschriften in prinzipiell allen Bundesstaaten. Musk kann einfach eine Armee von Unterschriftensammlern bezahlen. Er hat im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf bereits große, bezahlte Wahlkampfteams in Wisconsin und Pennsylvania eingesetzt. Mit irrsinnig hohen Ausgaben, aber er hat es getan.
Welche Hürden kann er noch aus dem Weg räumen?
Der zweite Faktor ist eher psychologischer Natur. Kein normaler politischer Akteur würde freiwillig ein neues Projekt starten, das am Ende die eigene Partei schwächt. Musk kann das einfach ignorieren. Vielleicht geht es ihm nicht mal darum, Sitze zu gewinnen oder wirklich Politik zu machen. Präsident kann er wegen seiner südafrikanischen Herkunft ohnehin nicht werden. Vielleicht will er nur Aufmerksamkeit. Aber genau das macht ihn so gefährlich für Trump.
Muss Trump befürchten, dass Musk vollkommen irrational handelt?
Ja, wir nennen das "Chicken Game". Das ist so, als würden zwei Autos frontal aufeinander zufahren.
Und Musk wäre derjenige, der einfach nicht ausweicht?
Genau. Wenn einer der Spieler irrational handelt oder destruktiv, kann er am Ende gewinnen. Das ist natürlich ein drastisches Bild, aber es trifft die Dynamik. Wenn Musk ohne Rücksicht einfach mit Vollgas in das Zweiparteiensystem rast, dann kann dies enormen Schaden anrichten. Wie gesagt, in diesem Fall vor allem für die Republikaner.
Zur Person
Dustin Wahl ist der Geschäftsführer von Fix Our House. Die 2022 gegründete gemeinnützige US-Organisation setzt sich für Mehrpersonenwahlkreise und Verhältniswahlrecht im amerikanischen Kongress ein. Wahl stammt aus South Dakota und lebt derzeit in Washington, D.C. Im Jahr 2024 arbeitete er als Kommunikationschef für den parteilosen Senatskandidaten Dan Osborn in Nebraska.
Musk tut so, als würde er mit seiner Disruption das Zweiparteiensystem aufbrechen wollen. Aber selbst, wenn er sein "America Party"-Projekt durchzieht und damit Erfolg hat, würde er das System doch gar nicht strukturell verändern.
Richtig. Es bliebe ein Zweiparteiensystem. Das heißt, auch die Probleme würden bestehen bleiben. Musk will keine Reform, sondern seinen Willen auf destruktive Weise erzwingen. Wir und andere Initiativen hingegen setzen auf den realistischen, langsamen Weg zu echten Reformen. In Städten wie Portland, im Bundesstaat Oregon, gibt es etwa seit vergangenem Jahr das Verhältniswahlrecht auf lokaler Ebene. Wir arbeiten daran, das auf Bundesebene im Repräsentantenhaus einzuführen.
Darf ich fragen, wie erfolgreich Sie damit bislang sind?
Sicher. Wir sind nicht naiv. Aber kürzlich haben die sogenannten Blue Dog Democrats im Repräsentantenhaus ein Gesetz eingebracht, das eine Kommission zur Prüfung von Wahlreformen einsetzt. Das ist ein kleiner, aber bedeutender Schritt. Uns geht es darum, dass ein Verhältniswahlrecht konkret bereitsteht, wenn die nächste Krise kommt. Man kann das mit der Finanzkrise von 2008 vergleichen. Niemand hat sich davor wirklich für Verbraucherschutz bezüglich Finanzen interessiert. Aber die Idee des "Consumer Financial Protection Bureau" lag bereits vor. Dann wurde sie plötzlich Realität.
Welche Art von Krise wäre nötig, um eine solche echte Wahlreform durchzusetzen?
Es könnte zu einer schlimmen Verfassungs- oder Demokratiekrise kommen oder sogar zu politischer Gewalt. All das ist heute leider leicht vorstellbar. Oder die Alltagsprobleme der Menschen werden immer schlimmer. Wie gesagt, das eigentliche Problem ist nicht Trump oder Musk oder sonst jemand. Es ist unser System, in dem für das amerikanische Volk kaum noch etwas erreicht werden kann, weil fast alles, was notwendig wäre, im Kongress blockiert wird.
Kann diese Revolution nicht schon kommen, bevor es zu spät ist, also von den gewählten Abgeordneten selbst?
Glauben Sie mir, ich kenne viele Politiker, die nach Washington gekommen sind, um wirklich etwas zu verändern. Die sind unglaublich frustriert. Denn alles, was sie in Wahrheit unternehmen können, ist Spendengelder einzusammeln, um wiedergewählt zu werden.
Um dann wieder nichts umsetzen zu können ...
... so ist es. Aber in anderen Ländern hat es schon geklappt. In Großbritannien etwa befürwortet inzwischen sogar eine Mehrheit der konservativen Tories das Verhältniswahlrecht. Der Grund: Weil sie zuletzt massiv verloren haben und die Labour-Partei plötzlich rund zwei Drittel der Sitze im Parlament bekommen hat, mit nur einem Drittel der Stimmen. Man kann sich vorstellen, dass auch die Republikaner irgendwann erkennen, dass dieses System niemandem mehr dient. Oder es geht eben einfach immer weiter bergab. Polarisierung, Blockade, Ineffizienz. Auch das ist vorstellbar.
Welche Rolle spielen dabei junge Menschen? Könnten sie eine solche Reformbewegung anstoßen?
Definitiv. Junge Menschen sind offener für grundlegenden Wandel. Unser Wahlsystem schließt sie allerdings systematisch aus. In vielen Wahlkreisen werden einfach immer wieder die gleichen Leute gewählt, weil es wegen des "The Winner takes it all"-Prinzips oftmals keinen echten Wettbewerb gibt.
Können Sie das kurz erläutern?
Unser System produziert keine Zweiparteiendemokratie, sondern zwei Einparteiensysteme. In 80 Prozent der Wahlkreise steht der Sieger praktisch vorher fest. Der US-Kongress ist damit einer der ältesten der Welt – und inzwischen auch der älteste in unserer Geschichte. Studien zeigen: In Ländern mit Verhältniswahlrecht sind die Parlamente im Schnitt jünger. Wenn junge Menschen erkennen, wie sehr dieses System sie aber auch ganz konkret benachteiligt, sei es durch Sozialkürzungen, Umweltkatastrophen oder politische Blockaden, dann könnten sie zum entscheidenden Faktor werden.
Könnte Musk unter Strich mit seiner "America Party" trotz seines destruktiven Impulses also zumindest die Debatte über Wahlreformen anschieben?
Vielleicht. Manche Demokraten sagen auch, dass sogar Trump – so sehr sie ihn verabscheuen – eine Art reinigendes Feuer war. So wie ein Waldbrand, der zwar schrecklich ist, aber neues Wachstum ermöglicht. Ich finde das politisch gefährlich. Aber ich verstehe die Logik dahinter. Wir hoffen nur, dass es nicht erst zu Zerstörungen kommen muss. Es gibt genug vernünftige Politiker und Politikerinnen in beiden Parteien, die wirklich etwas bewegen wollen, wenn man ihnen die Werkzeuge dafür gibt.
Wenn Sie Elon Musk etwas auf den Weg geben könnten: Was müsste er wirklich tun, um das politische System der USA zu verbessern?
Statt über eine neue Partei zu sprechen, sollte er über das Verhältniswahlrecht sprechen. Das würde das System tatsächlich öffnen, für viele neue Parteien, nicht nur für seine eigene.
- Interview mit Dustin Wahl