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Goebbels-Villa bei Berlin: Russische Lüge macht Selenskyj zum Käufer


Lüge mit Goebbels-Villa
Notarin in Rente klärt Berliner Thriller um Selenskyj


31.12.2023Lesedauer: 7 Min.
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Die frühere Goebbels-Villa: Das Gebäude bei Wandlitz ist Teil eines Areals, das dem Land Berlin gehört, ein Verkauf an Privat wie in russischen Medien behauptet gilt als ausgeschlossen.Vergrößern des Bildes
Die frühere Goebbels-Villa: Das Gebäude bei Wandlitz ist Teil eines Areals, das dem Land Berlin gehört. Ein Verkauf an Privatpersonen, wie in russischen Medien behauptet, gilt als ausgeschlossen. (Quelle: IMAGO/Jürgen Ritter)

Nächstes Level russischer Desinformation: Mit einem gefälschten Kaufvertrag wird die Lüge verbreitet, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe die Villa von Hitlers Propagandaminister Goebbels bei Berlin gekauft.

Die bewegte Geschichte der Villa des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels abgelegen im Wald vor den Toren Berlins ist um ein weiteres Kapitel reicher: Offenbar von Russland gesteuert wird die Lüge verbreitet, dass das "Goebbels Liebesnest" einen prominenten Käufer gefunden habe: den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über eine Firma seiner Frau. t-online-Recherchen zeigen, dass mit einigem Aufwand eine falsche Geschichte produziert wurde, die Teil einer Kampagne ist: Selenskyj werden in verschiedenen Teilen der Welt frei erfundene Käufe von Luxusanwesen angedichtet.

Bisher dienten diese Erfindungen dazu, Hilfen für die Ukraine infrage zu stellen, weil der Präsident so reich sei und dass das vielleicht mit internationalen Geldern möglich wurde – doch dafür gibt es keinerlei Belege. Beim erfundenen Kauf in Deutschland gibt es noch eine weitere Dimension: Zu behaupten, das Haus des NS-Propagandaministers sei jetzt im Besitz Selenskyjs, passt voll und ganz in russische Propaganda: Seit Beginn von Russlands Angriffskrieg verbreitet Moskau ständig, die ukrainische Führung seien Nazis, von denen man das Land befreie.

Die Quelle: Den Anfang macht dabei die Behauptung einer jungen Frau in einem Video auf YouTube, hochgeladen an Heiligabend. Sie sitzt mit einem weißen T-Shirt mit Antifa-Aufdruck vor der Kamera, im Video ist das Antifa-Symbol eingeblendet und sie spricht davon, von der "Antifaschistischen Aktion" zu sein. Deshalb sei sie auch so empört darüber, dass Berlin es zulasse, dass der geschichtsträchtige Ort zu einem möglichen neuen Nazi-Anlaufpunkt werde. Das Video dient als Quelle für Berichte in aller Welt.

Frau gibt sich als frühere Mitarbeiterin aus

In der Aufnahme ist ein Kaufvertrag zu sehen: Verkäufer soll das Land Berlin über seine landeseigene Gesellschaft Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) sein. Die junge Frau, die sich "Sabine Mels" nennt, will früher bei der BIM gearbeitet haben und den Vertrag von früheren Kollegen bekommen haben. Die Pressestelle der BIM war am Wochenende nicht zu erreichen. Der Account, auf dem das Video veröffentlicht wurde, besteht seit dem August 2022. Es gibt dort aber nur drei Videos. Alle wurden am 24. Dezember hochgeladen, alle vermeintlich zum Thema Antifaschismus.

Auch auf X, ehemals Twitter, ist das Phantom "Sabine Mels" angemeldet: "Mitglied der Antifaschistischen Aktion. Neonazi-Gegnerin" steht dort. Ihre fast 6.000 Follower sind zum großen Teil aus dem arabischen Raum und aus Indien, auch die Nachrichten sind dort überwiegend auf Arabisch erschienen. Fragen von t-online hat Mels nicht beantwortet. In ihrem Video spricht sie den Nationalsozialisten langgezogen "Göhbels" aus und spricht mit einem nicht zuzuordnenden Akzent, während das vermeintlich brisante Dokument eingeblendet wird.

Der Kaufvertrag: Zu sehen ist ein an vielen Stellen geschwärzter Vertrag, der nach t-online-Recherchen gefälscht ist. Gut und mehrfach zu lesen ist dort der Kaufpreis von 8,2 Millionen Euro. Zu erkennen ist, dass eine Person mit geschwärztem Namen und geschwärzter Personalausweisnummer für die "Film Heritage Inc" als Käufer aufgetreten sei. Diese Firma ist im Unternehmensregister von Belize tatsächlich mit der Nummer 000001989 seit dem 2. Februar 2016 registriert.

Selenskyj, früher mit Comedy ein TV-Star, hat sie mit Partnern aus der Filmbranche gegründet, berichtet das internationale Recherchenetzwerk OCCRP. Die Firma findet sich auch in Transparenzunterlagen von Selenskyj zu seiner Präsidentschaftskandidatur, gehört seit 2019 seiner Frau und war Teil einer Überprüfung von Selenskyjs Geschäften durch die Antikorruptionsbehörde – ohne Beanstandung. Der Verkauf soll bei einem Notartermin am 11. Oktober 2023 perfekt gemacht worden sein. Spätestens hier lässt sich die Geschichte als Lüge überführen.

Die Notarin: Auf dem Kaufvertrag ist zu sehen, wer den Verkauf beurkundet haben soll: "Dr. Friederike Schulenburg, Rechtsanwältin – Notarin". t-online hat Schulenburg am Wochenende erreicht – eine resolute Dame Anfang 80. In den 90er-Jahren wurde sie weltweit bekannt, weil sie als Anwältin des früheren DDR-Unterhändlers Wolfgang Vogel nach neun Jahren Verfahrensdauer am Bundesgerichtshof einen Freispruch für ihn erzielte – keine Erpressung Ausreisewilliger. Schulenburg und ihr Mann hatten sich in der DDR selbst in der Fluchthilfe engagiert, er war zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt worden.

"Stümperhaft zusammengeschustert"

Ihr Alter ist der beste Beweis, dass der Kaufvertrag gefälscht ist: Nach der Bundesnotarordnung ist mit 70 Jahren Schluss mit dem Amt. Schulenburg ist zwar in der Kanzlei noch tätig, "aber ich kann seit mehr als zehn Jahren nicht mehr als Notar arbeiten und habe auch ganz gewiss im Oktober keinen Verkauf beurkundet." Für t-online hat sie sich auch den "Vertrag" angeschaut und nennt ihn "vergleichsweise stümperhaft zusammengestückelt." "Kaufvertrag" steht darüber, "diese Überschrift gibt es nicht", sagt sie.

Sie nennt weitere Beispiele, dass es sich bei dem Papier um eine Fälschung handelt: Eine Schwärzung rechts oben ergebe überhaupt keinen Sinn, Siegel und Unterschrift fehlten ebenso wie ein Hinweis "beglaubigte Abschrift". Die formale Aufteilung entspreche ebenfalls nicht den Standards, "das kann auch kein Muster von mir sein".

Die Verbreitung: Das YouTube-Video der angeblichen "Sabine Mels" erhielt bis zum Samstagabend erst mehr als 10.000 Aufrufe, ihren Tweet hatte kaum jemand gesehen. Die Falschnachricht schlug dennoch weltweit hohe Wellen. Einer der ersten Artikel kam aus den USA von einer Seite "theinteldrop", die bereits mit der erfundenen Geschichte aufgefallen war, Russland habe ein "Nato-Kommando-Center in Lviv" erfolgreich bombardiert. Ein solches Zentrum gibt es in der Ukraine nicht.

Der Text aus den USA diente dann als Quelle für Russlands größte Boulevardzeitung Komsomoslkaja Prawda, die den frei erfundenen Verkauf der Goebbels-Villa groß vermeldete. Am Samstag griffen auch offizielle russische Stellen die Fehlinformation auf, etwa die Botschaft in Südafrika.

In den deutschen Sprachraum gelangte die Lüge vor allem durch Alina Lipp, eine aus Deutschland ausgewanderte Putin-Propagandistin mit großer Reichweite auf Telegram, die schon vielfach mit Falschmeldungen aufgefallen war. Sie schickte ihren 180.000 Abonnenten den Link zu einem Text auf der Seite des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden, eine Vereinigung mit früheren Angehörigen des DDR-Apparats und marxistisch-leninistischer Ausrichtung. Liane Kilinc, laut Impressum verantwortliche Person, kommt sogar aus Wandlitz und müsste die Liegenschaft sehr gut kennen.

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Das Grundstück: Im angeblichen Kaufvertrag wird der "im Wohnungsgrundbuch mit der laufenden Nummer (geschwärzt)" eingetragene Grundbesitz verzeichnet, Adresse Platz der Freundschaft 1A, 1.508 Quadratmeter. "Wohnungsgrundbuch und dann eine laufende Nummer, das passt nicht zusammen", erklärt Juristin Schulenburg. Wohnungsgrundbuch scheidet aus. Laufende Nummern ergeben sehr wohl Sinn, wenn es um einen Teil eines größeren Areals geht – wie in Wandlitz. Die Villa am Bogensee ist Teil eines größeren Komplexes.

Gelände war Kaderschmiede für sozialistischen Nachwuchs

Das feudale Landhaus ließ sich Goebbels auf einem Gelände errichten, das ihm die Stadt Berlin geschenkt hatte. Dort hatte er Affären mit Filmstars oder schrieb an seiner Sportpalastrede von 1943 mit dem Satz "Wollt Ihr den totalen Krieg?". In seinem Tagebuch aus dieser Zeit finden sich Einträge wie "Herrliches Herbstwetter! Der Wald duftet so herrlich. Diese Judenpest muss ausradiert werden."

Nach dem Krieg und einer kurzen Übergangszeit wurde das Haus zum Wohnsitz des Direktors der FDJ-Jugendhochschule. Walter Ulbricht hatte dort Protzbauten mit einer Schlosskopie im Stile eines sozialistischen Neobarocks errichten lassen. Das Areal wurde Kaderschmiede für den marxistisch-leninistischen Nachwuchs. Nach der Wende wurde es als Hotel genutzt, allerdings steht der Bau mittlerweile seit Jahren leer. Das Land Berlin sucht eine Nutzung. Interessenten und ein Konzept gab es – bis t-online enthüllte, dass der Reichsbürger Peter Fitzek mit seinem "Königreich Deutschland" dahintersteckte.

Die Reaktionen vor Ort: Isabell Czok-Alm, Fraktionsvorsitzende der Linken in Wandlitz, erreichten am Wochenende die ersten Fragen, ob es wirklich wahr sei, dass der ukrainische Präsident das Haus gekauft habe. "Ich konnte es mir wirklich nicht vorstellen", sagte sie t-online. Bei der Geschichte des Geländes sei es "unvorstellbar, dass da ein Teil der Gebäude herausgelöst und einfach privat verkauft wird".

So sieht es auch Oliver Borchert. Er ist Mitglied der "Freien Bürgergemeinschaft Wandlitz" und Bürgermeister des Ortes: "Wir haben dort die Trittsteine zweier Diktaturen auf deutschem Boden. Ein Einzelverkauf ist völlig illusorisch." Die Gemeinde könnte zwar kaum verhindern, falls Berlin einen solchen Verkauf beschließen würde. In dem Falle wäre Borchert aber über einen Verkauf informiert worden.

Abriss für Berlin eine Option

Erst im September habe es eine Besprechung mit Vertretern beteiligter Behörden und der BIM gegeben, so der Bürgermeister. Von einem Verkauf oder einem Interessenten war keine Rede. Es geht eher darum, ob die Villa überhaupt noch genutzt wird: "Die BIM hat eine Vorlage für Berlins Finanzsenator angekündigt: Renaturierung oder doch noch ein Nutzungskonzept finden." Renaturierung wäre für Berlin eine willkommene mögliche Ausgleichsmaßnahme für Bauarbeiten an anderer Stelle, es würde aber den Abriss des denkmalgeschützten geschichtsträchtigen Gebäudes bedeuten. Für Wandlitz und den Landkreis keine Option. "Wir hoffen, dass noch einmal Hand genommen wird, um doch noch ein tragfähiges Konzept zu entwickeln", sagt Borchert.

Die Parallelen: Weil die Gemeinde Wandlitz in der Ukraine die Partnerstadt Makariv kräftig unterstützt, trifft anti-ukrainische Propaganda dort manche Menschen besonders. "Und darum handelt es sich hier ja eindeutig, und damit sind wir ja nicht die einzigen", so der Bürgermeister. "Solche Geschichten wurden ja auch an anderen Orten erfunden." Als Selenskyj kürzlich in den USA um Unterstützung warb, tauchte ein gefälschter Einbürgerungsantrag mit Fotos eines Anwesens auf, das er für 20 Millionen Dollar gekauft haben soll. Auch in diesem Falle handelte es sich um eine Fälschung. Das Anwesen gehört weiterhin einem US-Ehepaar.

Einige Wochen zuvor wurde durch ein nigerianisches Medium eine angebliche Enthüllung aus Ägypten bekannt: Ein vermeintlicher Journalist behauptete in einem Video mit einem Kaufvertrag, Selenskyjs Schwiegermutter habe in schönster Lage am Roten Meer für 5 Millionen Dollar eine Villa gekauft. Die Projektentwicklungsgesellschaft hinter der Ferienanlage widersprach in Ägyptens größter Zeitung. Auch in diesem Fall war an der Geschichte nichts dran.

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