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"Reichsbürger" in Sachsen darf wegen "Meinungsfreiheit" Waffen behalten


Gericht verweist auf Meinungsfreiheit
Mutmaßlicher Reichsbürger in Sachsen darf Waffen behalten

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

Aktualisiert am 18.09.2018Lesedauer: 4 Min.
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Die Behörden arbeiten seit Ende 2016 daran, Reichsbürgern die Waffenbesitzkarten zu entziehen.Vergrößern des Bildes
Die Behörden arbeiten seit Ende 2016 daran, Reichsbürgern die Waffenbesitzkarten zu entziehen (Symbolfoto). (Quelle: imago-images-bilder)

Ein mutmaßlicher Reichsbürger darf seine acht Schusswaffen behalten, hat jetzt ein Gericht entschieden. Andernfalls sei er in seiner Meinungsfreiheit verletzt.

Das Verwaltungsgericht Dresden hat verboten, einem mutmaßlichen Reichsbürger seine acht Schusswaffen abzunehmen. Der Verfassungsschutz ist überzeugt, dass der Mann Reichsbürger ist. Doch das allein reicht nicht, um ihm die Waffenbesitzkarte abzunehmen, entschied jetzt das Gericht,

Es "[dürfte] von dem hohen Gut der Meinungsfreiheit (...) gedeckt sein, die Gründung der Bundesrepublik Deutschland in Zweifel zu ziehen", heißt es in dem Beschluss. Solche Meinungen mittels des Waffenrechts zu bekämpfen, sei "eines freiheitlichen Staats nicht angemessen".

Reichsbürger/Selbstverwalter
Wenn von Reichsbürgern die Rede ist, sind oft auch Selbstverwalter gemeint. Beide Gruppen haben gemeinsam, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen und wahlweise für eine Firma ("BRD GmbH") oder für ein Besatzungskonstrukt halten, das nicht souverän ist oder nicht existiert. Reichsbürger knüpfen an den Fortbestand eines Deutschen Reiches. Selbstverwalter wollen zum Teil unter Verweis auf Menschenrechte aus der Bundesrepublik Deutschland austreten und ihren Grund als souveränes „Staatsgebiet“ definieren. Überzeugte Anhänger erklären Gesetze und Institutionen der Bundesrepublik für ungültig.

Das Dresdener Gericht argumentiert (Az.: 4 L 1369/17, PDF), dass eine unterstellte "gewisse Nähe zu ähnlichen Argumenten aus dem Kreis der sogenannten 'Reichsbürger'" alleine noch keine abschließende Prognose zur waffenrechtlichen Zuverlässigkeit stütze. Im Juni hatte das Verwaltungsgericht Gießen noch entschieden, Angehörige der Szene seien „grundsätzlich als waffenrechtlich unzuverlässig“ anzusehen.

Das Dresdner Gericht schreibt jetzt: "Dem steht entgegen, dass mit dem Begriff der 'Reichsbürger' gegenwärtig keine klar organisierten oder hinreichend strukturierten Personengruppen umschrieben werden." Es wirft also die Frage auf: Wann ist ein Reichsbürger ein Reichsbürger?

1.200 Reichsbürger haben Waffe

Der Verfassungsschutz hatte im Bericht für 2016 noch von 10.000 Mitgliedern der Szene gesprochen, zum Stichtag 31. März 2018 ging er von 18.000 aus. Rund 1.200 Reichsbürger und Selbstverwalter besaßen zu diesem Zeitpunkt legal Schusswaffen. Der Anteil der Waffenbesitzer ist dort also höher als in der Bevölkerung insgesamt.

Zu 750 Personen hatte der Verfassungsschutz Ende 2016 den örtlichen Behörden Erkenntnisse weitergeleitet. Mindestens 450 sei seit November 2016 der Waffenschein entzogen worden.

Kurz zuvor hatte es einen Wendepunkt im Umgang der Behörden mit Reichsbürgern gegeben, die zuvor vielfach als meist harmlose Querköpfe abgetan worden waren. Im Oktober 2016 hatte der Reichsbürger Wolfgang P. im bayerischen Georgensmünd einen Beamten des SEK erschossen, das dem Mann sein Waffenarsenal wegnehmen wollte.

Zwei Monate zuvor hatte sich in Reuden (Sachsen-Anhalt) der Reichsbürger Adrian U. eine Schießerei mit Polizisten geliefert, die einen Gerichtsvollzieher bei der Zwangsräumung unterstützten.

Kreis widerrief zwei Waffenbesitzkarten

Bei dem Mann, der nun am Verwaltungsgericht in Dresden sein Recht auf Waffen verteidigt hat, hatte der Kreis Sächsische Schweiz-Osterzergebirge Ende November 2017 zwei Waffenbesitzkarten widerrufen. Ihre Begründung: Der Mann, ein Sportschütze, unterstütze Bestrebungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien.

Bereits am 3. Mai 2017 hatte der Verfassungsschutz den Kreis angeschrieben: Der Mann berufe sich auf ein Gesetz des historischen Deutschen Reichs, er lehne deshalb das Rechtssystem der Bundesrepublik ab. Nach der Erkenntnislage werde davon ausgegangen, dass der Mann Reichsbürger sei.

"Staatsangehörigkeitsurkunde" beantragt

Der angeführte Beleg dafür: Er hatte schon 2014 eine Staatsangehörigkeitsurkunde beantragt. Ein solches Dokument dient nicht als Identitätsausweis und wird nur in sehr wenigen speziellen Fällen benötigt, aus der Reichsbürgerszene aber häufiger beantragt. Wenn – in der Regel – ein schutzwürdiges Interesse fehlt, müssen Behörden das Dokument nicht ausstellen, entschied das Verwaltungsgericht Potsdam.

Der Mann stand 2016 mit dem Papier verärgert in der Kreisverwaltung, weil daraus die Abstammung nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 nicht ersichtlich sei. Er sei getäuscht worden. Der Verwaltung zufolge verließ er die Behörde mit den Worten, er habe es im Guten versucht und werde jetzt härtere Schritte einleiten.

Als die Behörde ihm dann im Juni 2017 zum geplanten Widerruf seiner Waffenbesitzkarten anhörte, wies der Mann zurück, ein Reichsbürger zu sein. Nur einen Tag vorher hatte er seine Schwester begleitet, die unter Verweis auf ein Gesetz von 1913 ihren Personalausweis förmlich zurückgegeben wollte.

Sachsen will Leugnen der Existenz unter Strafe stellen

Für das Gericht lässt sich aus der Begleitung der Schwester keine Aussage über die eigene waffenrechtliche Unzuverlässigkeit treffen. Auch dass er sich selbst auf das Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 berufe, ändere daran nichts: "In einem Rechtsstaat kann jedermann seine (Rechts-)Ansichten frei äußern, mögen diese auch rechtsirrig und falsch sein", so die Kammer.

Der Vorsitzende Richter der Verhandlung hatte 2015 in einem Beitrag für die "Junge Freiheit" das Klima in der Politik "gegen Rechts" beklagt. Die Verfassung müsse um den Passus "Grundrechte dürfen nur noch unter Beachtung der jeweils geltenden öffentlichen Moral ausgeübt werden" ergänzt werden, schrieb er ironisch.

Grundrechte sind Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat. Der Richter aber schrieb, heute verhalte es sich umgekehrt: Sie seien Abwehrrechte des Staates gegenüber seinen Bürgern, "genauer gesagt gegenüber denjenigen, die von ihrer Freiheit falschen Gebrauch machen".

Hunderttausende mit Waffen
Das Nationale Waffenregister (NWR) gibt Auskunft, nach welchem Paragrafen des Waffengesetzes wie viele Menschen Waffenbesitzkarten haben. Die Gesamtzahl legaler Waffenbesitzer lässt sich daraus nicht ermitteln, weil das NWR nicht Kombinationen aufschlüsselt, wie viele Waffenbesitzer etwa Jäger und Sportschütze sind.
Jäger: 417.005
Sportschützen: 345.576
Brauchtumsschützen: 1.645
Waffen-/Munitionssammler: 7.098
Waffen- und Munitionssachverständige: 1.343
Gefährdete Personen: 1.951
Erben: 96.935
Personal Wachdienste: 1.154
Vereine: 15 447

In Sachsen gibt es Bestrebungen, die Leugnung der Existenz der Bundesrepublik unter Strafe zu stellen. Ein Sprecher des Justizministeriums bestätigte gegenüber t-online.de, dass die Prüfung zu einer Bundesratsinitiative läuft. Ziel ist, den Paragrafen 90a des Strafgesetzbuches zur Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole zu erweitern: Es soll ausdrücklich unter Strafe gestellt werden, wenn abgestritten wird, dass die Bundesrepublik als souveräner Staat existiert. Der Verfassungsschutz des Landes ging im Frühjahr von 1.327 Reichsbürgern aus.

An der Gesetzesverschärfung gab es von den Oppositionsparteien und von Kolaitionspartner SPD Kritik. Valetin Lippmann, Innenpolitiker und Landtagsabgeordneter. der Grünen sagte: "Sie können an das fliegende Spaghettimonster glauben. Sie können glauben, dass die Erde eine Scheibe ist oder dass die Bundesrepublik eine GmbH ist. Wenn man das jetzt unter Strafe stellen will, begibt man sich in den Bereich des Gesinnungsstrafrechts."

Der Beschluss des Gerichts wurde bekannt durch einen Facebook-Beitrag des Leipziger Rechtsanwalts Roland Ulbrich, Mitgründer der "Patriotischen Plattform" und der "Freiheitlich Patriotischen Alternative", Gruppen am rechten Rand der AfD.

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