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Angebliche Bürgerwehren | Wo sich Neonazis mit Hooligans und Rockern verbünden


Angebliche Bürgerwehren
Wo sich Neonazis mit Hooligans und Rockern verbünden

Von Dietmar Seher

11.10.2019Lesedauer: 3 Min.
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T-Shirt mit dem Schriftzug der "Steeler Jungs" in Essen: Immer wieder machen vermeintliche Bürgerwehren auf sich aufmerksam. Hinter ihnen stehen Neonazis.Vergrößern des Bildes
T-Shirt mit dem Schriftzug der "Steeler Jungs" in Essen: Immer wieder machen vermeintliche Bürgerwehren auf sich aufmerksam. Hinter ihnen stehen Neonazis. (Quelle: imago-images-bilder)

Neonazi-Gruppen machen mit Hooligans und Rockern gemeinsame Sache und bilden rechtsextreme Bürgerwehren. Das geht aus einem Bericht des Innenministeriums in NRW hervor.

Die Zahl angeblicher Bürgerwehren mit Kontakten in den Rechtsextremismus ist angestiegen. In größeren Städten geben die Gruppen vor, für Sicherheit und Ordnung sorgen zu wollen. Tatsächlich stehen hinter der Entwicklung allerdings Neonazis, die Verbündete suchen – und sich dabei unter anderem mit Hooligans und Rockern vernetzen. Das geht aus einem Bericht von NRW-Innenminister Herbert Reul an den Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags hervor.

Mobilisierung zu Demos

"Seit 2015 sind in verschiedenen Städten und Gemeinden Bürgerwehr-ähnliche Gruppierungen entstanden, die sich aus einer Mischung von Rechtsextremisten, Angehörigen der Hooligan- und Rockerszene sowie so genannten Wutbürgern zusammensetzen", heißt es in dem Bericht. Die Mischszene schaffe es immer wieder, eine dreistellige Zahl an Personen für Versammlungen zu mobilisieren – beispielsweise Anfang September in Mönchengladbach. So ließe sie in der Öffentlichkeit das Bild einer größeren Bewegung entstehen.

Durch sogenannte "Spaziergänge" beabsichtigten die Gruppen, in den Städten Präsenz zu zeigen. Dabei reklamieren sie für sich, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Mit den Aktionen werde ein vermeintlicher Gebietsanspruch der jeweiligen Gruppierung in ihrem Viertel und ihrer Stadt demonstriert. Dafür würden die Teilnehmer oft in einheitlichem Erscheinungsbild auftreten, unter anderem durch gleichartige, schwarze Kleidung.

NPD scheiterte mit Konzept

Das Konzept angeblicher Stadtstreifen und Bürgerwehren ist in der rechtsextremen Szene seit Langem verbreitet. Derlei Veranstaltungen von Neonazi-Parteien waren allerdings über die Szene hinaus kaum wirkmächtig geworden. So hatte beispielsweise die NPD versucht, durch vermeintliche Bürgerwehrpatrouillen öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. Das Konzept angeblicher "Schutzzonen" stieß allerdings auf wenig Resonanz.

Die Mischszene aus Rechtsextremisten, Hooligans und Rockern verfügt offenbar über größeres Potenzial. Zu einem großen gemeinsamen Auftritt der vermeintlichen Bürgerwehren in Nordrhein-Westfalen kam es am 8. September bei einer Demonstration gegen Salafismus in Mönchengladbach. Sicherheitskräfte zeigten dabei 15 Teilnehmer an, meist wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz oder Volksverhetzung.

Besorgnis über Gewaltpotenzial

Der nordrhein-westfälischen Landesregierung machen die politische Ziele der Gruppen Sorge. Die Rechtsextremen nutzen die Mischszenen demnach, um "ihre demokratie- und fremdenfeindlichen Positionen außerhalb der eigenen Szene zu verbreiten", mahnt Reuls Bericht. Andererseits zeigten Hooligans, Rocker und sogenannte Wutbürger, dass sie eine Abgrenzung vom Rechtsextremismus "als irrelevant oder gar als falsch ansehen".

Die Hinweise aus Düsseldorf müssen als bundesweites Warnsignal gewertet werden. Bürgerwehren sind in mehreren Bundesländern in der jüngeren Vergangenheit als Brutstätte rechtsextremer Gewalt bekannt geworden. So läuft derzeit in Dresden der Prozess gegen die Terrorgruppe "Revolution Chemnitz", die 2018 kurz vor ihrem Auffliegen als angebliche Bürgerwehr gestartet war.

Anschläge, Attentate, Volksverhetzung

Die acht Angeklagten sollen beabsichtigt haben, in Berlin Anschläge am Einheitstag durchzuführen. Ähnlich war es bei der "Gruppe Freital", die für mehrere Attentate auf Flüchtlingsunterkünfte verantwortlich ist. Seit Ende 2017 werden auch die sogenannten "Soldiers of Odin" als rechtsextremistische Gruppe beobachtet – auch sie geben sich als unpolitische "Nachbarschaftshilfe" aus.

Ausgangspunkt der meisten angeblichen Bürgerwehren war das Jahr 2015, als Rechtsextremisten schnell das Potenzial der Flüchtlingskrise erkannten, mit harmlosen Gruppennamen und lokalem Bezug aufzutreten. Im Januar 2016 zählte das Bundesinnenministerium, in einer Antwort auf eine Bundestagsanfrage der Grünen, Gruppierungen in acht deutschen Städten. 2018 meldete Thüringens Landesregierung vier Gruppen, u.a. im Kreis Saalfeld-Rudolstadt. Eine abschließende Aufzählung gibt es allerdings nicht.

Die Gruppen in NRW

Im bevölkerungsreichsten Bundesland sind laut dem NRW-Bericht fünf Bürgerwehren mit rechtsextremen Kontakten dazugekommen. Sie heißen in Essen "Steeler Jungs", "Huttroper Jungs" oder "Borbecker Jungs" – je nach Stadtteil – "Bruderschaft Deutschland" in Düsseldorf, im nördlichen Ruhrgebiet "Besorgte Bürger Herne". 30 Prozent der Herner Kerntruppe hätten rechtsextreme Bezüge. Mehrere Personen besuchten demnach das neonazistische "Schild und Schwert"-Festival. Kontakte gibt es laut Bericht zur Neonazi-Partei "Die Rechte" und zur rechtsextremistischen "Identitären Bewegung".


"Mönchengladbach steht auf" ist nach Informationen der Landesregierung auch als Schutztruppe für eine AfD-Veranstaltung im Einsatz gewesen – es ist allerdings unklar, inwiefern das mit der Partei abgesprochen war. Die "Internationale Kölsche Mitte" in Köln hat 2017 und 2018 kleinere Versammlungen mit bis zu 150 Personen durchgeführt, 2019 allerdings keine mehr.

Verwendete Quellen
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