Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Stromsteuer und Mütterrente Eine Kapitulation vor dem Rowdy

Schwarz-Rot bleibt dabei: Die Stromsteuer wird erst mal nicht für alle gesenkt. Für die Mütterrente ist zugleich plötzlich mehr Geld da als geplant. Das ist schmerzhaft falsch.
Es kann auch Journalisten mitunter gut stehen, mal etwas gutmütiger auf das Geschehen im politischen Berlin zu blicken. Perspektivwechsel sollen ja lehrreich sein. Also ein Versuch bei der Stromsteuer: Schwarz-Rot ist immer noch ein Baby, keine 70 Tage alt. Da funktioniert das mit der Kommunikation nicht immer optimal. Außerdem stimmt es doch, das Geld ist knapp, und andere Sachen im Haushalt sind auch wichtig.
Halb so wild also, dass die Stromsteuer auch nach den Verhandlungen von Union und SPD im Koalitionsausschuss am Mittwochabend nicht für alle abgeschafft werden soll? Leider nein, leider gar nicht, auch beim besten Willen nicht.
Die großen Elf von Union und SPD hätten am Mittwochabend die Chance gehabt, einen offensichtlichen Fehler zu korrigieren. Sie haben sie nicht genutzt. Stattdessen stehen nach fünf Stunden im zweieinhalbseitigen Ergebnispapier nicht mehr Entlastungen, sondern mehr Sozialausgaben. Und das ausgerechnet, weil die Union sie will, genauer gesagt: Markus Söder. Das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass es richtig wehtut.
Sie haben es versprochen – und es ist sinnvoll
Es gibt zwei Kriterien, um Politik abseits persönlicher Interessen zu bewerten. Halten Politiker das, was sie versprechen? Und: Ist das, was Politiker machen, geeignet, die wichtigen Probleme in der Wirklichkeit zu lösen; oft (nicht immer) also: verspricht ihr Handeln das größtmögliche Glück für die größte Zahl von Menschen?
Das erste Kriterium ist einfacher zu beurteilen, dafür muss man Politikern nur zuhören und lesen, was sie in Programme schreiben. Das zweite ist wichtiger, aber für gewöhnlich komplizierter zu beurteilen. Denn welches Problem gerade wichtig und welche Lösung gut ist, das ist in der Politik ja meist umstritten.
Meist, aber nicht immer. Bei der Stromsteuer ist beides sehr simpel. Schwarz-Rot hat die Senkung auf das europäische Mindestmaß für alle mehrfach versprochen, und zwar als Sofortmaßnahme. Wenn sie jetzt nicht kommt, brechen Union und SPD ihr Versprechen.
Die Stromsteuer für alle zu senken ist in der Sache auch richtig, aus vielen Gründen. Deshalb sind ja auch theoretisch alle dafür, Union und SPD, Arbeitgeber und Gewerkschaften und Sozialverbände. Jeder verbraucht Strom, also profitiert auch jeder. Das hilft den Betrieben, gerade den kleinen, finanzschwachen, die nun weiter ausgenommen sind. Und es hilft den Menschen, die nach Corona und in der Wirtschaftskrise Entlastungen gut gebrauchen können.
Es hilft sogar der Umwelt und dem Klima, das wird man nach dem bisher heißesten Tag des Jahres dann doch mal sagen dürfen: Wenn Strom günstiger wird, wird klimaschonendes Heizen günstiger, werden Elektroautos lohnenswerter, wird fossile Energie im Vergleich weniger attraktiv. Und das alles ganz ohne Verbote!
Für die Mütterrente ist Geld da
Was nun am Mittwochabend im Koalitionsausschuss passiert ist, wird aus der Union und der SPD sehr ähnlich kolportiert: Die SPD mit Finanzminister Lars Klingbeil bestand darauf, dass kein Geld da sei, auch so schnell nicht, wenn man bei den Sozialausgaben mehr zu sparen versucht. Es war der Posten, auf den die Union vorher abgezielt hatte.
Kein Geld, keine Lösung. Okay.
Was am Mittwochabend dann aber abseits der Stromsteuer passierte, will mit diesem Argument gar nicht zusammenpassen. Die Mütterrente nämlich, die mehr Müttern gezahlt werden soll, kommt jetzt schon ein Jahr früher, 2027 statt 2028. Dafür ist irgendwie doch Geld da, und zwar ungefähr genau so viel, wie für die Stromsteuersenkung für alle nötig wäre: Fünf Milliarden Euro im Jahr, während die Stromsteuer 5,4 Milliarden kosten würde.
Warum das nun plötzlich? Auch da kolportieren Union und SPD überraschenderweise das Gleiche: Weil Markus Söder das so will. Es ist ein Herzensprojekt der CSU.
Eine Kapitulation vor dem Rowdy
Nun kann man das Geld allen Müttern gönnen, und trotzdem der Meinung sein, dass eine Entlastung für alle Menschen statt für einige in diesen Zeiten sehr viel sinnvoller wäre. Das Glück der vielen eben.
Und: Die Mütterrente ist und bleibt eine Sozialausgabe, da kann sie noch so oft als Versprechen im Koalitionsvertrag stehen. Das Ergebnis des Koalitionsausschusses bleibt: Ausgerechnet die Union, die sonst beim Sozialen nicht genug sparen kann, gibt jetzt lieber mehr für Soziales aus, als alle bei einer Steuer zu entlasten.
Oder, noch kürzer: Markus Söder ist ihnen wichtiger als Otto Normalverbraucher. Seine Wut fürchtet Schwarz-Rot mehr als die aller anderen Menschen im Land. Dafür mag es Gründe geben, wenn man das spielerisch-destruktive Potenzial des CSU-Chefs kennt. Eine Kapitulation vor dem Rowdy aus dem Süden bleibt es trotzdem.
- Eigene Recherchen und Überlegungen