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Ex-US-Präsident Joe Biden an Krebs erkrankt: Hatte Trump recht?


Krankheit vertuscht?
Betreutes Wohnen im Weißen Haus

  • Uwe Vorkötter
MeinungEine Kolumne von Uwe Vorkötter

Aktualisiert am 27.05.2025 - 15:20 UhrLesedauer: 5 Min.
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Ex-US-Präsident Joe Biden: Ihm wurde kürzlich Prostatakrebs diagnostiziert. War das wirklich keinem Arzt früher aufgefallen? (Quelle: Grant Baldwin/getty-images-bilder)
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Wer hat uns den ganzen Trump-Schlamassel eingebrockt? Joe Biden war's. Und seine Anhänger in Politik und Medien. Das ist Ihnen zu einfach? Dann lesen Sie mal weiter.

Vor gut einer Woche teilten Joe und Jill Biden mit, dass der ehemalige US-Präsident an Prostatakrebs erkrankt sei. "Krebs betrifft uns alle", schrieb Biden auf X. "Wie so viele von euch haben Jill und ich gelernt, dass wir in unseren verletzlichsten Momenten am stärksten sind." Die Bidens bedankten sich für die Liebe und die Unterstützung, die sie erfahren.

Das ist der Joe Biden, den wir kennen. Ein Mann mit Einfühlungsvermögen und großem Herzen. Einer, der schwere Schicksalsschläge in seinem Leben zu verkraften hatte, wie den Tod seines Sohnes Beau vor zehn Jahren. Und jetzt Krebs, aggressive Variante, fortgeschrittenes Stadium, Metastasen in den Knochen. Ich möchte ihn umarmen, ihm Mut und Kraft und Gottvertrauen wünschen: Hope you feel better soon, Joe!

Dann stutze ich. Die Diagnose traf Biden aus heiterem Himmel? Obwohl sich dieser Krebs nicht Wochen oder Monate, sondern Jahre Zeit nimmt, bevor er sich im Körper ausbreitet. Sein letzter PSA-Test, eine Blutuntersuchung zur Früherkennung, stammt aus dem Jahr 2013. Damals war er Vizepräsident bei Obama. Er wurde Präsidentschaftskandidat, dann Präsident, er kandidierte noch einmal. Und niemals hat sein Arzt den Routinetest angeordnet? Jeder Mann, der mit diesem Männerkrebs Erfahrungen hat, denkt sich: Das kann doch nicht wahr sein. Doch, sagt das Team Biden, das ist wahr.

Uwe Vorkötter
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche.

Was, wenn Trump richtig lag?

"Melania und ich sind betrübt", so lautete die erste Reaktion von Bidens Vorgänger und Nachfolger Donald Trump, was für seine Verhältnisse ein Übermaß an Mitgefühl zum Ausdruck bringt. Aber schon kurz darauf war er wieder im Kampfmodus: "Ich bin überrascht, dass die Öffentlichkeit nicht schon vor langer Zeit informiert wurde." Dazu ein paar Spekulationen über Bidens Zustand, profundes Halbwissen. Der Arzt, der Biden behandelt, sei wohl derselbe, der ihm volle geistige Leistungsfähigkeit bescheinigt habe. Ob da jemand die Fakten verschweige?

Typisch Trump. Und dann die Medien, auch typisch: Trump schlachte Bidens Krebsdiagnose politisch aus. Seine Reaktion sei pietätlos und heuchlerisch. Trump verbreite Verschwörungstheorien. Faktenchecker behaupten, er kenne sich mit urologischen Details nicht aus. So schreiben im "Spiegel" zwei Wissenschaftsredakteurinnen: "Es ist denkbar, dass der Krebs trotz guter ärztlicher Betreuung übersehen wurde." Ja, es ist denkbar, dass Bidens Krebs übersehen wurde. Aber dann war es keine gute ärztliche Betreuung.

Wenige Tage nach der Krebsdiagnose kam ein Buch über Joe Biden in den Handel: "Original Sin", die Ursünde. "Hybris" lautet der Titel der deutschen Übersetzung. Autoren sind Jake Tapper, Starmoderator beim TV-Sender CNN, und Alex Thompson, Korrespondent im Weißen Haus für das Nachrichtenportal "Axios". Sie zeigen auf, wie Joe Bidens körperlicher und geistiger Verfall jahrelang systematisch vertuscht wurde.

Der Verfall war seit Jahren zu erkennen

Die Weltöffentlichkeit erfuhr am 27. Juni 2024, dass der damals 81-jährige Biden definitiv nicht mehr in der Lage war, weitere vier Jahre zu regieren. Es war der Tag der TV-Debatte gegen Donald Trump, als Biden verbale Aussetzer hatte, unzusammenhängende Sätze sagte, dem Gespräch offenkundig nicht folgen konnte. Das Team Biden ließ verlauten, der Präsident habe einen schlechten Tag gehabt. Alle anderen sahen: Es geht nicht mehr.

Bis dahin hatten Biden selbst, seine Familie und sein engster Kreis jede Aussage über sein Alter und seine nachlassenden Fähigkeiten als Teil der Trump-Kampagne diffamiert: Er ist derselbe wie immer. Alt, aber fit. In Meetings ist er unglaublich wach. Sein schlurfender Gang, seine leise Stimme, sein tatteriger Auftritt – für alles gab es scheinbar plausible Erklärungen. Dr. Kevin O'Connor, sein langjähriger Arzt, bescheinigte Biden, er sei vital und absolut fähig, das Amt des Präsidenten zu führen. Nichts davon stimmte.

Die beiden Journalisten zeichnen das Bild eines Mannes, dessen Verfall bereits Jahre vorher erkennbar war. Schon in Corona-Zeiten las der US-Präsident einfache Antworten auf vorbereitete Fragen vom Teleprompter ab. Oft rang er um Worte, erinnerte sich nicht, worüber er gerade sprach. Er wirkte verwirrt. Manches wurde öffentlich. Er berichtete über ein Gespräch, das er 2021 mit Helmut Kohl geführt habe; Kohl ist 2017 gestorben. Er sprach über "Mitterrand aus Deutschland" und meinte Macron aus Frankreich.

Die liberalen US-Medien stellten die falschen Fragen

Zu einem Debakel wurde seine Anhörung in der Affäre um Geheimdokumente, die in seiner Garage in Delaware lagerten. Der Sonderermittler Robert Hur befragte ihn, aber Biden schweifte ab, erzählte Anekdoten, mehrfach dieselben, er hatte Probleme, einfache Daten zu rekapitulieren. Am Ende der Vernehmung formulierte Hur den berühmt gewordenen Satz, Biden wirke wie ein sympathischer, freundlicher älterer Mann mit schlechtem Gedächtnis.

Der Präsident wollte all das nicht wahrhaben. Bidens Getreue antworteten auf die Frage, ob er den Wahlkampf durchstehen könne, mit einer Gegenfrage: Wer soll es sonst machen? Biden hatte Trump einmal geschlagen, er hatte zwei Jahre später in den Zwischenwahlen gut abgeschnitten. Kamala Harris kann es nicht, lautete das Urteil des "Politbüros", wie inzwischen der kleine Kreis genannt wurde, der überhaupt noch persönlichen Zugang zu ihm hatte. Jill Biden spielte in diesem Kreis eine wichtige Rolle.

Die liberalen Medien von CNN bis "Washington Post" registrierten die Anzeichen für Bidens raschen Alterungsprozess, aber sie stellten die Fragen nicht, die daraus folgten. Sie hatten 2016, als Trump zum ersten Mal kandidierte, nachdrücklich gefordert, der Republikaner müsse sich einem Test auf seine kognitiven Fähigkeiten unterziehen; Trump, damals 71, verkündete hinterher stolz, er habe großartig abgeschnitten. Als Biden 2020 antrat, war er 79. Doc O'Connor befand trotzdem, er brauche keinen Test.

Weil Trump es sagte, konnte es nicht stimmen

Die Medien fragten nicht weiter nach, sie konzentrierten sich bis zuletzt ganz auf Trump. Auf dessen wüsten Wahlkampf, seine irrwitzigen Ankündigungen, sein zügelloses Auftreten. Trump, der Instinktpolitiker, äußerte auch Zweifel an der geistigen Frische seines Konkurrenten. So wie er jetzt Zweifel an Bidens Krankheitsgeschichte äußert. Aber weil Trump es sagte, konnte es nicht stimmen. Die kritische Auseinandersetzung der Medien mit Trump war und ist richtig. Der unkritische Umgang mit Biden war falsch.

Jetzt haben wir den Schlamassel. Die Zölle, Kanada, Grönland, Harvard, der Umgang mit Putin. Hätte Joe Biden der Welt das ersparen können? Er hatte ursprünglich angekündigt, er strebe keine zweite Amtszeit an. Er hätte sagen können, dabei bleibt es. Punkt.

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Und dann? Trump holte im November vergangenen Jahres einen Erdrutschsieg mit 312 zu 226 Wahlmännerstimmen. Trotzdem hat Kamala Harris nur knapp verloren. In Michigan lag sie 1,44 Prozentpunkte zurück, 1,73 in Pennsylvania, 0,87 in Wisconsin. Wenn sie diese drei Staaten, die sogenannte Blue Wall, gewonnen hätte, wäre sie heute Präsidentin.

Bidens Nominierung war falsch

Und was wäre, wenn die Demokraten nicht die wenig populäre Harris nominiert hätten, sondern ein ganz anderer Kandidat sich in typisch amerikanischen Vorwahlen profiliert hätte, deutlich jünger als Biden, deutlich jünger als Trump? Was wäre, wenn … Halten wir uns an das, was wir wissen: Es war falsch, einen 80-Jährigen mit mentaler Schwäche als US-Präsidenten zu nominieren. Und eine Geschichte über dessen Vitalität und Leistungsfähigkeit zu erzählen, die im Widerspruch stand zu allem, was die Wähler mit eigenen Augen sahen.

Mir geht es hier nicht darum, einen alten Mann zu kritisieren, weil er alt ist. Was Joe Biden erlebt, erleben Millionen anderer Menschen auch: dass der Körper nicht mehr mitmacht, dass das Gedächtnis nachlässt, dass das Alter seinen Tribut fordert. Und dann noch der Krebs. Nichts schmälert Bidens politische Leistungen in der Vergangenheit. Seine Biografie verdient Respekt, sein Schicksal löst Anteilnahme aus bei denen, die dazu fähig sind. In diesem Sinne: Hope you feel better soon, Joe!

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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