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Anschlag in Hanau: "Der Informationsfluss hat nicht gut geklappt."


Mutmaßlicher Hanau-Attentäter
Experte: "Dann wären seine Waffen sofort einkassiert worden"

InterviewVon Patrick Diekmann

Aktualisiert am 21.02.2020Lesedauer: 5 Min.
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Der mutmaßliche Täter Tobias R.: Seine absurden Thesen schickte er auch an den Generalbundesanwalt.Vergrößern des Bildes
Der mutmaßliche Täter Tobias R.: Seine absurden Thesen schickte er auch an den Generalbundesanwalt. (Quelle: ap-bilder)

Der Attentäter von Hanau trat Monate vor den Morden mit der Bundesanwaltschaft in Kontakt. Hätten die Behörden eingreifen müssen? t-online.de sprach mit dem Waffenrechtsexperten Dietmar Heubrock.

Der rassistische Terrorakt von Hanau wirft schwerwiegende Fragen auf. Tobias R., der am Mittwoch offenbar zehn Menschen tötete und sich anschließend selbst das Leben nahm, verbreitete rechtsradikales Gedankengut und fühlte sich von dunklen Mächten verfolgt. Dennoch besaß er als Sportschütze legal Schusswaffen und war Mitglied im Schützenverein. Dessen Reaktion einen Tag nach der Tat sehen Sie oben im Video.

Wie am Donnerstag zuerst t-online.de erfuhr, schrieb Tobias R. schon im November 2019 an die Bundesanwaltschaft, um eine angebliche Überwachung und Beeinflussung durch dunkle Mächte anzuzeigen. Das Schreiben ist in weiten Teilen identisch mit dem späteren Bekennerschreiben R.s zu den Taten in Hanau. Die Behörde leitete jedoch kein Ermittlungsverfahren ein.

Hätte die Bundesanwaltschaft sich darum bemühen müssen, dass Tobias R. seine Waffenberechtigungskarte verliert oder würde allgemein eine Verschärfung des Waffenrechts in Deutschland solche Taten verhindern? Dazu spricht t-online.de mit Prof. Dr. Dietmar Heubrock. Der führende Rechtspsychologe und Waffenrechtsexperte befasst sich mit der Prävention von Attentaten.

t-online.de: Herr Heubrock, Tobias R., der mutmaßliche Täter von Hanau, verfügte über ein extrem rassistisches Gedankengut und war gleichzeitig legaler Waffenbesitzer. Hätten schärfere Waffenkontrollen die Tat verhindern können?

Dietmar Heubrock: Ein strengeres Waffenrecht würde wenig ändern. Der Anteil der Legalwaffenbesitzer an gefährlichen Straftaten lag die letzten Jahre bei ungefähr drei Prozent. Die meisten Schusswaffendelikte werden mit illegal im Besitz befindlichen Waffen ausgeführt. Aber auch unter Legalwaffenbesitzern gibt es, wie in Hanau, immer wieder Einzelfälle.

Hanau ist ein Einzelfall, der sich nur schwer verhindern lässt?

Das sehe ich so. Ich habe mit vielen Fällen zu tun, wo der Waffen-Kontrollmechanismus in Deutschland greift. Die waffenrechtlichen Begutachtungen funktionieren in der Regel gut.

Der mutmaßliche Täter war Sportschütze. Wie oft wird man als solcher von den Behörden kontrolliert?

Sportschützen müssen regelmäßig nachweisen, dass sie überhaupt als Sportschützen aktiv sind. Sie müssen auch an Wettkämpfen teilnehmen, die von den jeweiligen Vereinen eingetragen werden. Tun sie das nicht, verlieren sie die Berechtigung, ihre Waffen zu führen.

Doch auch ein aktiver Sportschütze kann psychisch erkranken.

Genau. Psychische Erkrankungen können wir natürlich nie ausschließen.

Brauchen wir dann nicht regelmäßige psychiatrische Gutachten, auch für langjährige Waffenbesitzer?

Da könnte man ernsthaft drüber nachdenken, aber wir haben kaum Gutachter in Deutschland. Eine waffenrechtliche Begutachtung sieht mehr als ein lockeres Gespräch vor, die Gutachter müssen psychologisch geschult sein. Im bundesweiten Register der Gutachter stehen derzeit vielleicht 23 Namen, vielleicht ist die Hälfte von ihnen nicht mal mehr aktiv. Deshalb müssen Waffenbesitzer durch das ganze Land fahren, auf der Suche nach einem Gutachter.

Ganz generell gefragt: Wie werde ich überprüft, wenn ich legal eine Waffe in Besitz nehmen möchte?

Vor dem 25. Lebensjahr muss ein Gutachten über die persönliche Reife vorliegen, wenn man einen Waffenschein als Sportschütze und eine Waffenbesitzkarte (WBK) haben möchte. Bei Älteren gibt es eine Regelüberprüfung. Dabei wird das staatsanwaltliche Ermittlungsregister und das Bundeszentralregister herangezogen und auch bei der örtlichen Polizei und beim Verfassungsschutz nachgefragt. Es gibt also eine Kontrolle, aber ohne psychologische Untersuchung.

Demnach werden jüngere Menschen stärker kontrolliert?

Menschen, die das 25. Lebensjahr nicht überschritten haben, müssen einen psychologischen Eignungstest bestehen. Sonst wird ihnen die Berechtigung, eine Waffe zu führen, nicht erteilt.

Warum entscheidet das Alter über die Befähigung, eine Waffe zu führen?

Diese Regelung wurde nach dem Amoklauf von Robert Steinhäuser in Erfurt im Jahr 2002 eingeführt. Steinhäuser, damals 19 Jahre alt, ist es gelungen, für seine Tat zum Teil legal und zum Teil illegal an Schusswaffen zu kommen.

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Die Gesetzgebung wurde verschärft, aber nur für jüngere Menschen?

Man hat gedacht, dass von Jugendlichen und Heranwachsenden eine besondere Gefahr ausgeht. Deswegen kam dann im Jahr 2002 quasi eine "Lex Steinhäuser", ein Gesetz, das mit ganz heißer Nadel gestrickt wurde. Innerhalb eines Jahres kam das Gesetzgebungsverfahren durch Bundestag und durch Bundesrat und das war für deutsche Verhältnisse extrem schnell. Die handwerklichen Fehler hat man erst später gemerkt.

Warum wählte der Gesetzgeber gerade diese Altersgrenze?

Die Altersgrenze von 25 Jahren kann man neurobiologisch begründen, weil bis zu dem Alter das Frontalhirn, das für kognitive Funktionen wie Planung und Reife verantwortlich ist, ausgereift ist. Und wir kennen diese Altersgrenze auch aus dem Strafrecht: Bis zum 25. Lebensjahr können Angeklagte unter Umständen noch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden.

Nun war Tobias R. 43 Jahre alt. Müssen die Behörden bei Älteren einschreiten, wenn sie beispielsweise psychisch erkranken?

Das passiert auch normalerweise. Wenn die Bundesanwaltschaft oder die Polizei davon Kenntnis bekommt, setzen sie sich automatisch mit der Waffenbehörde in Verbindung und dann wird der Waffenschein entzogen oder eine psychiatrische Begutachtung veranlasst.

t-online.de liegt ein Schreiben vor, welches der mutmaßliche Täter bereits im November 2019 an die Bundesanwaltschaft geschickt hat. Hätte die Behörde demnach einschreiten müssen?

Dann hat der Informationsfluss zwischen den Behörden nicht gut geklappt. Aber mit Hilfe des Nationalen Waffenregister, das in Deutschland im Jahr 2013 in Betrieb genommen wurde, sollte eben solche Dinge nachgeprüft werden.

Funktioniert das nur auf dem Papier oder tatsächlich auch in der Praxis?

Möglicherweise sind die Wege zwischen den Behörden noch zu schleppend. Sie müssten eigentlich funktionieren, aber in der Praxis scheint es da zu hapern. Ich mache selbst waffenrechtliche Begutachtungen und eigentlich reagieren die Behörden bei möglichen Gefahrenlagen, wie Suizidandrohungen, alkohol- oder Drogenmissbrauch, sehr schnell.

Demnach waren Sie persönlich für Gutachten bei Menschen, deren psychische Gesundheit es nicht mehr zuließ, eine Waffe zu führen.

Selbstverständlich.

Wie lange dauert es, bis einem Verdächtigen die Waffen abgenommen werden?

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Das geht schnell. In dem Moment, wo eine Anknüpfungstat vorliegt, werden die Waffen sichergestellt. Beispiel: ein Mann droht einer Frau mit Suizid, wenn sie sich scheiden lässt. Wenn die Frau das den Behörden meldet, steht sofort ein Sondereinsatzkommando (SEK) vor der Tür und sammelt die Waffen ein. Wenn er sie wiederhaben möchte, muss er ein psychologisches Gutachten vorlegen.


Können einem Verdächtigen auch die Waffen abgenommen werden, wenn er durch rechtsextreme Äußerungen im Internet auffällig wird?

In dem Moment, wo das der Polizei oder der Ordnungsbehörde gemeldet wird, wäre das bereits im Sinn des Waffenrechts eine Anknüpfungstatsache, ein Hinweis auf eine Überprüfung. Dann muss die Behörde bereits tätig werden.

Und das würde auch für die Bundesanwaltschaft gelten?

Natürlich.

Wie könnte eine mögliche fehlende Reaktion der Behörde zu erklären sein?

Nur durch ermittlungstaktische Gründe könnte man eine Verzögerung einbauen. So könnte die Bundesanwaltschaft geglaubt haben, dass es sich nicht um einen Einzeltäter, sondern um ein Netzwerk handelt. Das könnte ein übergeordnetes Interesse gewesen sein, nicht gleich das SEK in seine Wohnung zu schicken.

Nun stellt sich aber offenbar heraus, dass der mutmaßliche Täter eben in keinem Netzwerk war. Demnach hätte die Behörde reagieren müssen?

Wir müssten dann schauen, welche Informationswege in dem Fall nicht funktioniert hätte. Das wäre aber ein klassischer Fall, bei dem die Polizei die Ordnungsbehörde sofort informiert hätte und umgekehrt auch.

Was wäre dann passiert?

Dann wären seine Waffen sofort einkassiert und eingelagert worden.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Heubrock.

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