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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Grüne in der Krise: Ohne Baerbock und Habeck fehlt Profil und Präsenz


Ohne Baerbock und Habeck
Sag' mir, wo die Grünen sind

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

25.06.2025 - 21:34 UhrLesedauer: 4 Min.
Habeck und BaerbockVergrößern des Bildes
Traumpaar aus vergangenen Tagen: Annalena Baerbock und Robert Habeck (Archivbild). (Quelle: Kay Nietfeld/dpa/dpa-bilder)
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Gerade noch waren die Grünen euphorisch und erfolgreich mit ihrem Traumpaar Baerbock/Habeck. Aber in der stacheligen Steppe der Opposition tun sie sich jetzt schwer. Was ist da passiert?

Es ist nicht ganz falsch, was nachdenkliche Zeitgenossen des Barock als Maxime fürs Leben empfohlen haben: Genieße es in vollen Zügen, nutze jeden einzelnen Tag, den du hast, aber sei dir des Endes jederzeit bewusst. Denn es kommt.

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Vanitas, sagt der Fachmann dazu. Das Bewusstsein um die Vergänglichkeit allen irdischen Seins. Alles hat ein Ende. Auch der politische Höhenflug einer Partei. Gerade noch waren die Grünen nicht nur bestimmender Teil einer Regierung, sondern auch Agenda-Setter der politischen Prioritäten, jenseits von Parteigrenzen. Aber kaum ist diese Regierungszeit vorzeitig zu Ende, drohen sie in der Unkenntlichkeit zu versinken. Gerade noch führte sie ein Traumpaar aus Annalena Baerbock und Robert Habeck an. Der eine stets mit gedankenzerfurchter Stirn, die andere so stilsicher im Auftritt, dass die exakt postierten Fotografen aus idealem Winkel auf allen Rollfeldern dieser Welt Bilder davon machten, wie geschmackvoll die Außenministerin ihre Garderobe wieder auf die Farbe des ausgerollten Teppichs zu ihren Füßen abgestimmt hatte. Mehr Sexiness ging nicht als bei diesem Duo Habock, das jeden Parteitag mit seiner Moderation beglückte und verzückte, besser als Thomas Gottschalk und Michelle Hunziker zu ihren besten Zeiten bei "Wetten, dass ..?". Zeitgeist und Gefühl waren auf ihrer Seite.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war.

Aber über "Wetten, dass ..?" ist die Zeit auch hinweggegangen. Übrigens: Wetten, dass Sie das nicht schaffen? Schließen Sie für einen Moment die Augen und stellen Sie sich die beiden neuen Parteivorsitzenden vor. Ist da was? Taucht da eine Frau auf, die smart ist und wortgewandt, aber immer die latente Attitüde einer Klassenstreberin hat? Und ein junger Mann, der irgendwie sympathisch ist, aber in der Erinnerung schon nach wenigen Augenblicken rückstandsfrei verzischt? Und kommen Sie auch auf deren Namen?

Die Fairness gebietet: Franziska Brantner und Felix Banaszak haben es nicht leicht. Denn die Zeitläufte arbeiten derzeit gegen die Grünen. Sie sind in letzter Zeit aus mehreren Gründen ins politische Hintertreffen geraten. Zum einen hat die Regierungszeit an ihrem Lack geschliffen. Vor allem Habeck hat nicht nur mit dem von vielen als Zwangsbeglückung begriffenen Heizungsgesetz Wohlwollen verspielt. Er kann bei drei Jahren Rezession auch keine gute Bilanz als Wirtschaftsminister vorlegen.

Ihr Thema ist von der Agenda verdrängt

Viel wichtiger aber ist, dass die politische Agenda ganz neu aufgesetzt ist. Lange profitierten die Grünen vom neuen Klimabewusstsein, insbesondere der "Fridays for Future"-Bewegung. Aber von der ist derzeit wenig übrig. Themen wie Rezession, Ukrainekrieg, Migration und innere Sicherheit verdrängen das Klimathema – das zentrale Profilfeld der Grünen – von der politischen Agenda vieler Wähler.

Greta Thunberg hat schon umgesattelt. Sie findet ihre Selbstbestätigung inzwischen auf Rettungsschiffen mit Kurs auf Gaza, das Palästinensertuch um den Hals geworfen. Außerdem sind die Grünen auf diesem Feld zwischen die Fronten geraten: Inzwischen kritisieren sowohl Klimaaktivisten wie die "Letzte Generation" und "Extinction Rebellion" als auch bürgerliche Kräfte die Partei. Die Aktivisten werfen ihnen Untätigkeit und Kompromissbereitschaft vor. Bürgerliche Kräfte werfen ihnen vor, Klimaschutz über soziale Gerechtigkeit oder wirtschaftliche Vernunft zu stellen. Dieses Dilemma führt dazu, dass die Grünen zwischen ihren Wählergruppen aufgerieben werden.

Und dann kam auch noch Pech dazu

In den Umfragen stehen sie weiterhin ungefähr dort, wo sie das Wahlergebnis bei der Bundestagswahl hingetragen hatte. Keine Kernwählerklientel ist so treu wie jene der Grünen, das kommt ihnen zugute. Aber die 11,6 Prozent waren auch schon enttäuschend, wenn man bedenkt, dass diese Partei vormals nicht ohne Grund Richtung Kanzleramt geschielt hatte. Und trotz der tatsächlich hohen Bindung ihrer Klientel wird das weiter bergab gehen, wenn die Präsenz so schwach bleibt wie bisher. Erst hatten sie kein Glück mit den Themen, die das aktuelle Zeitgeschehen setzt. Und dann kam auch noch Pech beim Personal dazu. Das ist die aktuelle Lage der Grünen.

Ich muss in dem Zusammenhang zugeben, dass ich mich getäuscht habe. Ich hatte immer gedacht, dass die Grünen ebenso Opposition können wie Regierung. Dass sie "dual use"-fähig sind. Das bewahrheitet sich aber nicht. Sowohl die AfD auf der einen Seite wie auch die Linke auf der anderen setzen sich markanter von der Regierung ab. Die Grünen hingegen sind rundregiert. Wenn sie versuchen, wie in ihren frühen Protestzeiten eckig und kantig zu sein, wirkt das, als würde ich mit meinen 59 Jahren versuchen, beim Iggy-Pop-Konzert mit den Jungen vorne vor der Bühne Pogo zu tanzen. Die Grünen können keinen politischen Pogo mehr. Heidi Reichinnek und Alice Weidel, eine jede auf ihre Weise, können das deutlich besser. Und bieten, auch eine jede auf ihre Weise, links wie rechts, eine klarere Alternative zur Regierung als die Grünen.

Wo ist der Thrill von früher?

"The Thrill is Gone" hat der unvergessene B. B. King seine geliebte Lucille, wie er die bauchige schwarze Gibson vor seinem eigenen Bauch nannte, klagen lassen: "The thrill is gone, baby / The thrill is gone away from me / Although, I'll still live on / But so lonely I'll be" ("Der Reiz ist weg, Baby / Der Reiz ist für mich verschwunden / Obwohl ich noch weiterleben werde / Aber ich werde so einsam sein"). Der Song ist im Original aus den späten Fünfzigern. Er beschreibt die Grünen im Jahr 2026 ganz gut. Ihr Reiz ist derzeit einfach weg, auch wenn sie weiterleben.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen
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