Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zolldeal von Turnberry Sprengt Trump jetzt die EU in die Luft?

Es gibt Erfolge, die sind kaschierte Niederlagen. Eine solche von historischer Dimension ist der Zolldeal von Ursula von der Leyen mit Donald Trump. Sie könnte die Europäische Union auf mittlere Sicht in Stücke reißen.
Es gibt eine Szene in einem James-Bond-Film, an die ich immer denken muss, wenn ich das Foto anschaue: Ursula von der Leyen, die EU-Kommissionspräsidentin, in der Kaminstube eines Golfresorts in Schottland, US-Präsident Donald Trump, der ihr – die Hand über die Armlehnen ihrer beider Sessel hinweg – die Hand schüttelt. Dabei reicht ihr irgendwie devotes Lachen von einem Ohr zum anderen, während Trump seinen immerwährenden Blick im Gesicht trägt, der mehr an die Bulldogge aus "Tom und Jerry" erinnert.
In besagter Szene aus einem der zahllosen Streifen mit James Bond sieht sich der britische Geheimagent von einer katzenartigen, bösen Frau in Schwarz gestellt und erwartet seinen Fangschuss. Irgendwie schafft er es (letzte Zigarette oder so) eines seiner Spielzeuge aus der Zauberabteilung von Q aus dem Sakko zu nesteln, ich meine, es sei ein Füllfederhalter, und schießt mit dem Ding auf die schwarze Katzenfrau. Die blickt an sich nieder, nichts passiert, sie lacht höhnisch und triumphal, will Bond ins Jenseits befördern, als es sie mit Verzögerung in tausend Stücke reißt. Bond blickt auf das schießwütige Utensil und murmelt etwas von "noch nicht ganz ausgereift".

Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".
Das Lachen von Turnberry könnte von der Leyen auch noch in Stücke reißen. Oder besser: der Deal, den sie mit diesem Lachen und Daumen hoch hinterher quittiert. Zwischen zwei Golfpartien auf eigenem Grün hat der US-Präsident den vereinigten Europäern einen Pauschalzoll von 15 Prozent aufgedrückt, nebst der Verpflichtung, für 750 Milliarden Dollar fossile Energie in den USA zu kaufen sowie fast noch mal so viel in den USA zu investieren. Das Ergebnis wurde im ersten Moment bis hin zum deutschen Bundeskanzler erleichtert beklatscht, weil es sich besser ausnahm als das, was schon in Rede stand. Trotzdem, problematischer Kerl hin oder her, hatte der ungarische Regierungschef Viktor Orbán die Realität auf seiner Seite, als er befand, Trump habe von der Leyen mal eben zum Frühstück vernascht.
Es sagt keiner laut, aber die Sache ist ein Desaster. Dieser Handschlag hat das Potenzial, die EU in Stücke zu reißen wie die Katzenfrau bei James Bond. Denn weder hat die EU-Kommissionspräsidentin die Prokura, Gas- und Ölkäufe über die Köpfe von Staaten und Firmen hinweg zuzusagen, noch ist beruhigend, wenn alles, was aus Deutschland und der EU kommt, demnächst 15 Prozent teurer ist. Manches, wie Stahl, hat obendrein noch mehr an Zoll auf dem Buckel.
Verzerrte Darstellung der Realität
Diese Parallele jetzt bitte nicht bis in letzte Konsequenz ziehen, aber dieses Foto von der Leyens erinnert, was die Verzerrung der Wirklichkeit und der Machtverhältnisse anlangt, an das Sektglas-Foto des Blauhelm-Kommandeurs in der Nähe von Srebrenica. Am Abend des 12. Juli 1995 toasten sich der niederländische Bataillonskommandeur Oberstleutnant Thomas (Thom) Karremans und der serbisch‑bosnische Generalfeldmarschall und Schlächter Ratko Mladić beim gemeinsamen Trinkspruch zu – während draußen eines der schlimmsten Massaker Europas seit dem Zweiten Weltkrieg stattfand.
Bisher war es so, dass der russische Präsident die EU mit Krieg und organisierter illegaler Migration auseinanderzutreiben versuchte. Jetzt sind es mit ihm und Trump zwei Herrscher, die der EU faktisch den Krieg erklärt haben: der eine militärisch, der andere in Form eines Handelskrieges.
Und die Zentrifugalkräfte wirken schon, die Trump im transatlantischen Teil des Westens auslöst: Umgehend kamen die ersten Analysen und Hinweise, dass Brexit-Großbritannien mit seinem Strafaufschlag von zehn Prozent günstiger weggekommen sei.
Hat es Großbritannien besser gemacht?
Ist man also doch besser dran, wenn man der EU den Rücken kehrt? Dieser Schluss ist schon deshalb falsch, weil er irgendeine Logik, irgendein Muster hinter Trumps Zoll-Lotterie vermutet. Die Schweiz ist bekanntlich leider auch nicht Teil der EU und hat von Trump 39 Prozent vor den Latz geknallt bekommen – weil wohl, wie man lesen konnte, eine entscheidende Verhandlerin der Eidgenossen sich am Telefon nicht unterwürfig genug gezeigt hatte. "Sie will nicht hören", urteilte Trump über Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter.
Es ist schlicht so: Mit Trump in seiner zweiten Amtszeit ist das vorläufige Ende des weltweiten Freihandels und der Globalisierung eingetreten. An dessen Stelle tritt ein Marktdarwinismus, in dem jeder schaut, wo er bleibt. Mit allen Mitteln. Das wird die Welt, die Handelswelt, aber auch die politische Welt atomisieren. Trump wähnt die USA als "great enough", als großartig genug, inmitten dieses zerschlagenen Porzellans dann eine immer noch sehr große Scherbe zu sein. Denn MAGA ist relativ.
Europa hat jetzt die Wahl, sich diesem Zerscherbeln zu ergeben, auch in immer kleinere Stücke zu zerfallen, oder sich umso bewusster zu machen, dass nur mehr Zusammenhalt diesem einstigen Freund und heutigem "Frenemy" erfolgreich etwas entgegensetzen kann. Die von Trump zerzauste Schweiz sollte überlegen, ob ihr Rosinenpicken in bilateralen Abkommen wirklich hinreichend ist, um gemeinsam in und mit Europa dem Dealer im Weißen Haus Eindruck zu machen.
Ergebnis eines Armdrückens – für alle sichtbar
Das devote Lachen von Frau von der Leyen jedenfalls war leider das Ergebnis eines realen Armdrückens, bei dem sich die ganze Schwäche der EU erwiesen hat. Bislang ist immer nur davon geredet worden, den eigenen Bizeps zu stärken. In Wahrheit waren es vor allem klingende Worte: Vorsätze und wenig Fitnesstraining. Denn in einem hat Trump schon recht: Die Europäer haben es sich in der Obhut der USA gemütlich gemacht wie eine pubertierende Sofakartoffel vor dem Fernseher. Kann sein, dass es schon zu spät ist.
Apropos Fernseher: Ich habe alle mir verfügbaren Googles und Künstlichen Intelligenzen bemüht, um mir zu sagen, aus welchem Bond-Film die eingangs beschriebene Szene stammt. KI druckst erst rum und sagt dann: Gibt es nicht. Nun, liebe humane Schwarmintelligenz, bist du gefragt. Gibt es diese Szene, und wenn ja: in welchem Bond? Oder habe ich mir die zusammenhalluziniert, wie so oft die KI? Ich freue mich auf Ihre Zuschriften.
- Eigene Überlegungen