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Till Lindemann: "Der Fall sollte der Justiz eine Lehre sein"


Fall Lindemann
Ein schwacher Trost

  • Marianne Max
MeinungVon Marianne Max

Aktualisiert am 30.08.2023Lesedauer: 2 Min.
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Till Lindemann, Frontsänger der Band Rammstein (Archivbild): Zahlreiche Frauen werfen ihm sexualisierte Gewalt vor.Vergrößern des Bildes
Till Lindemann, Frontsänger der Band Rammstein (Archivbild): Zahlreiche Frauen werfen ihm sexualisierte Gewalt vor. (Quelle: Gonzales Photo/Sebastian Dammark/imago images)

Die Einstellung des Verfahrens gegen Rammstein-Sänger Lindemann war erwartbar. Der Fall legt erneut die Fehler beim Umgang mit Sexualstraftaten in Deutschland offen.

Die schnelle Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Till Lindemann ist ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz. Sie zeigt Betroffenen von sexualisierter Gewalt, dass es sich für sie nicht lohnt, für ihre Rechte und die Bestrafung der mutmaßlichen Täter zu kämpfen.

Die meisten Verfahren wegen Sexualdelikten werden ohne Verurteilung eingestellt, wenn die Taten überhaupt angezeigt werden. Denn für die betroffenen Frauen sind die Hürden oft zu hoch. Bekannt ist das seit Langem, geändert hat sich bisher wenig. Für Betroffene gibt es nur diesen einen Weg.

Wider dem eigenen Instinkt

Wird eine Frau Opfer von sexualisierter Gewalt, muss sie ihrem ersten Instinkt – heiß zu duschen, sich zu verkriechen, das Erlebte zu vergessen – widerstehen. Sie muss sofort realisieren und richtig einordnen, was gerade mit ihr geschehen ist. Dann muss sie zur ärztlichen Spurensicherung gehen und zur Polizei. Wer schon einmal bei der Polizei Anzeige erstattet hat, weiß, wie sich das anfühlt.

Man sitzt einer völlig fremden Person gegenüber – einem Polizisten, wenn man Glück hat, zumindest einer Polizistin. Sie erklärt einem, welche Konsequenzen Falschaussagen hätten. Und kommt es zum Gerichtsprozess, muss man den Täter wiedersehen. Während der gesamten Verhandlung wird man den Tathergang mehrmals wiederholen und intimste Details offenbaren müssen. Für betroffene Frauen ist das ein Horror.

Unter sexualisierter Gewalt wird jegliche Form von Gewalt verstanden, die sich in sexuellen Übergriffen ausdrückt. Der Begriff "sexualisierte" Gewalt macht deutlich, dass die sexuellen Handlungen als Mittel zum Zweck, also zur Ausübung von Macht und Gewalt, vorgenommen werden. Dazu zählen sowohl körperliche als auch verbale Übergriffe, obszöne Gesten oder Nachrichten. Nicht alle diese Formen sind jedoch auch strafbar.

Schutz der Anonymität

Zahlreiche Frauen haben sich vermutlich genau deshalb in den vergangenen Monaten nicht etwa an die Polizei gewandt, sondern sind an die Medien herangetreten. Sie beschuldigen Lindemann der sexualisierten Gewalt und schilderten unabhängig voneinander ähnliche Erfahrungen.

Viele der Frauen blieben in der Berichterstattung anonym, wohl auch aus Angst vor Hass und Hetze gegen sie. Und aus Angst vor Stigmatisierung durch die Gesellschaft.

Kein Schutz für Betroffene

Natürlich ist der Einwand der Staatsanwaltschaft berechtigt, dass das Ermittlungsverfahren dadurch erschwert wurde, dass sich die Betroffenen nicht an die Polizei oder an die Staatsanwaltschaft gewandt haben. Doch ist das ein Wunder? Wenn den Opfern all das zugemutet wird? Wenn sie sehen, wie selten es tatsächlich einen richterlichen Schuldspruch gibt? Der Fall Lindemann sollte der deutschen Justiz eine Lehre sein.

Die aber hat den Fall, in dem mehrere Monate oder sogar Jahre ermittelt werden könnte, zu den Akten gelegt. Unklar ist, ob es weitere Ermittlungsansätze gegeben hätte. Doch der Vorgang zeigt abermals: Die aktuelle Rechtslage schützt mutmaßliche Täter, anstatt Betroffene von sexualisierter Gewalt. Frauen zeigt er abermals, dass ihre Stimmen vor der deutschen Justiz nicht zählen – auch dann nicht, wenn mehrere von ihnen übereinstimmend von ihren Missbrauchserfahrungen durch ein und denselben Mann berichten.

Den Betroffenen bleibt nur ein schwacher Trost: Lindemann, der auf der Bühne gern mit einem Riesenpenis posiert und in seinen Texten nicht mit frauenfeindlichen Gewaltfantasien spart, konnte mangels Anklage zumindest nicht ausdrücklich für unschuldig erklärt werden. Mögliche zukünftige Opfer dürfte das jedoch nicht schützen.

Teilen Sie Ihre Meinung mit

Wie stehen Sie zur Einstellung des Verfahrens gegen Till Lindemann? Schreiben Sie eine E-Mail an Lesermeinung@stroeer.de. Bitte nutzen Sie den Betreff "Lindemann" und begründen Sie.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen
  • hilfetelefon.de: "Sexualisierte Gewalt"
  • spiegel.de: "Sex, Macht und Alkohol. Was die Frauen aus der "Row Zero" berichten"
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