Fall Lindemann Ein schwacher Trost
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Einstellung des Verfahrens gegen Rammstein-Sänger Lindemann war erwartbar. Der Fall legt erneut die Fehler beim Umgang mit Sexualstraftaten in Deutschland offen.
Die schnelle Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Till Lindemann ist ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz. Sie zeigt Betroffenen von sexualisierter Gewalt, dass es sich für sie nicht lohnt, für ihre Rechte und die Bestrafung der mutmaßlichen Täter zu kämpfen.
Die meisten Verfahren wegen Sexualdelikten werden ohne Verurteilung eingestellt, wenn die Taten überhaupt angezeigt werden. Denn für die betroffenen Frauen sind die Hürden oft zu hoch. Bekannt ist das seit Langem, geändert hat sich bisher wenig. Für Betroffene gibt es nur diesen einen Weg.
Wider dem eigenen Instinkt
Wird eine Frau Opfer von sexualisierter Gewalt, muss sie ihrem ersten Instinkt – heiß zu duschen, sich zu verkriechen, das Erlebte zu vergessen – widerstehen. Sie muss sofort realisieren und richtig einordnen, was gerade mit ihr geschehen ist. Dann muss sie zur ärztlichen Spurensicherung gehen und zur Polizei. Wer schon einmal bei der Polizei Anzeige erstattet hat, weiß, wie sich das anfühlt.
Man sitzt einer völlig fremden Person gegenüber – einem Polizisten, wenn man Glück hat, zumindest einer Polizistin. Sie erklärt einem, welche Konsequenzen Falschaussagen hätten. Und kommt es zum Gerichtsprozess, muss man den Täter wiedersehen. Während der gesamten Verhandlung wird man den Tathergang mehrmals wiederholen und intimste Details offenbaren müssen. Für betroffene Frauen ist das ein Horror.
Unter sexualisierter Gewalt wird jegliche Form von Gewalt verstanden, die sich in sexuellen Übergriffen ausdrückt. Der Begriff "sexualisierte" Gewalt macht deutlich, dass die sexuellen Handlungen als Mittel zum Zweck, also zur Ausübung von Macht und Gewalt, vorgenommen werden. Dazu zählen sowohl körperliche als auch verbale Übergriffe, obszöne Gesten oder Nachrichten. Nicht alle diese Formen sind jedoch auch strafbar.
Schutz der Anonymität
Zahlreiche Frauen haben sich vermutlich genau deshalb in den vergangenen Monaten nicht etwa an die Polizei gewandt, sondern sind an die Medien herangetreten. Sie beschuldigen Lindemann der sexualisierten Gewalt und schilderten unabhängig voneinander ähnliche Erfahrungen.
Viele der Frauen blieben in der Berichterstattung anonym, wohl auch aus Angst vor Hass und Hetze gegen sie. Und aus Angst vor Stigmatisierung durch die Gesellschaft.
- Zusammenfassung: Der Fall um Till Lindemann
Kein Schutz für Betroffene
Natürlich ist der Einwand der Staatsanwaltschaft berechtigt, dass das Ermittlungsverfahren dadurch erschwert wurde, dass sich die Betroffenen nicht an die Polizei oder an die Staatsanwaltschaft gewandt haben. Doch ist das ein Wunder? Wenn den Opfern all das zugemutet wird? Wenn sie sehen, wie selten es tatsächlich einen richterlichen Schuldspruch gibt? Der Fall Lindemann sollte der deutschen Justiz eine Lehre sein.
Die aber hat den Fall, in dem mehrere Monate oder sogar Jahre ermittelt werden könnte, zu den Akten gelegt. Unklar ist, ob es weitere Ermittlungsansätze gegeben hätte. Doch der Vorgang zeigt abermals: Die aktuelle Rechtslage schützt mutmaßliche Täter, anstatt Betroffene von sexualisierter Gewalt. Frauen zeigt er abermals, dass ihre Stimmen vor der deutschen Justiz nicht zählen – auch dann nicht, wenn mehrere von ihnen übereinstimmend von ihren Missbrauchserfahrungen durch ein und denselben Mann berichten.
Den Betroffenen bleibt nur ein schwacher Trost: Lindemann, der auf der Bühne gern mit einem Riesenpenis posiert und in seinen Texten nicht mit frauenfeindlichen Gewaltfantasien spart, konnte mangels Anklage zumindest nicht ausdrücklich für unschuldig erklärt werden. Mögliche zukünftige Opfer dürfte das jedoch nicht schützen.
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- Eigene Beobachtungen und Recherchen
- hilfetelefon.de: "Sexualisierte Gewalt"
- spiegel.de: "Sex, Macht und Alkohol. Was die Frauen aus der "Row Zero" berichten"