Panorama "Costa": Zahl der Vermissten hat sich verdoppelt
Gut drei Tage nach der Havarie des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" vor Italien haben die italienischen Behörden die Zahl der vermissten Personen verdoppelt: Von 29 statt bisher 14 Menschen fehle bisher jede Spur, teilte die italienische Küstenwache mit. Derweil sind Mitschnitte von Telefonaten aufgetaucht, die den Kapitän des Schiffes, Francesco Schettino, weiter schwer belasten.
Medienberichte vom frühen Morgen, wonach im Wrack des Schiffes eine weitere Leiche geortet wurde, dementierten die italienischen Rettungskräfte. Die Zahl der Toten liege weiterhin bei sechs, sagte ein Sprecher der Küstenwache am Dienstag. Auch die Feuerwehr wies den Bericht der italienischen Zeitung "La Stampa" zurück, wonach die Leiche in dem Wrack entdeckt, aber noch nicht geborgen worden sein soll.
Von den 29 Vermissten zählen laut Küstenwache 25 zu den rund 4000 Passagieren; dazu kommen vier Besatzungsmitglieder. Unter den zwölf deutschen Vermissten sind fünf Passagiere aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie eine Frau aus Bayern. Diese Zahl stammt von der deutschen Polizei. Die italienische Küstenwache geht von zehn vermissten Deutschen aus.
Die lokalen Behörden gehen davon aus, dass das Wetter bis Mittwoch gut bleibt. Die Rettungsarbeiten könnten auf jeden Fall bis dahin fortgesetzt werden. Der italienische Umweltminister Corrado Clini sagte am Abend, bislang gebe es keine Anzeichen dafür, dass Treibstoff ins Meer geflossen sei. Jedoch sieht er ein sehr hohes Risiko für eine Umweltkatastrophe, deshalb müssten die Tanks des Schiffes schnell leergepumpt werden.
Die Kritik am Kapitän Francesco Schettino nimmt weiter zu. Er habe seine Route eigenmächtig geändert, erklärte inzwischen der deutsche Geschäftsführer des italienischen Unternehmens Costa Kreuzfahrten, Heiko Jensen, in Hamburg. Falsche Seekarten seien nicht Schuld an dem Unglück gewesen. Jensen erklärte: "Der Kapitän war zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Brücke und hat das Schiff manuell gesteuert."
Streit über Felsen
Der toskanische Staatsanwalt Francesco Verusio bestätigte, dass der von dem Unglücksschiff gerammte Felsen eindeutig auf Karten vermerkt sei, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa. Der Kommandant der "Costa Concordia", Francesco Schettino, hatte behauptet, die Felsen seien nicht eingezeichnet. Er war festgenommen worden und soll am Dienstag vernommen werden.
Schettino hatte sein Schiff mit mehr als 4200 Menschen an Bord dicht an die kleine Insel Giglio gelenkt. Das Schiff war gegen einen Felsen gelaufen, leckgeschlagen und dann auf die Seite gekippt. Der Kapitän soll den Kreuzfahrtriesen noch während der Evakuierung verlassen haben - vor den meisten Passagieren.
"Kapitän, was machen Sie?"
Im Zusammenhang mit der Havarie der "Costa Concordia" sind jetzt Mitschnitte von Telefonaten öffentlich geworden, die der Kapitän mit einem Offizier führte, der im Hafen der kleinen toskanischen Insel Giglio Dienst tat. In den von der italienischen Nachrichtenagentur Ansa veröffentlichten Zitaten wird der schon kurz nach dem Unglück von Zeugen geäußerte Verdacht erhärtet, wonach der Kapitän früh von Bord gegangen war. Der Hafenmitarbeiter wies Schettino darin an, sich zurück auf das Schiff zu begeben.
Demnach erreichte der Offizier Schettino um 1.46 Uhr auf dessen Handy, als noch hunderte Menschen an Bord des sich langsam zur Seite neigenden Schiffes waren. Darin forderte der Mitarbeiter des Hafens: "Jetzt begeben Sie sich zum Bug, Sie klettern die Rettungsleiter hoch und leiten die Evakuierung!" Der Offizier wurde im Verlauf des Telefonats immer ungehaltener. "Sie müssen uns sagen, wie viele Leute da noch sind, Kinder, Frauen, Passagiere, die genauen Zahlen in jeder Kategorie!", forderte er Schettino auf.
"Was machen Sie? Geben Sie die Rettung auf?", fragte dann der Offizier. "Nein, nein, ich bin da, ich koordiniere die Rettung", antwortete Schettino, der von den Zeugen allerdings schon vor Mitternacht am Ufer gesehen wurde. Der Offizier sagte, es gebe "bereits Leichen". "Wie viele?", fragte Schettino zurück. Der Offizier darauf: "Das müssen doch Sie mir sagen! Was machen Sie? - Jetzt kehren Sie nach da oben zurück und sagen Sie uns, was wir machen können!"
"Es herrschte nur Chaos"
Schon um 1.42 Uhr hatte der Kapitän in einem anderen Telefonat mit der Hafenmeisterei gesagt: "Wir können nicht mehr an Bord des Schiffes gehen, weil es zur Heckseite kippt." Der Offizier fragte völlig überrascht: "Kommandant, haben Sie das Schiff verlassen?" Der Kapitän darauf: "Nein, nein, natürlich nicht!"
Costa-Geschäftsführer Jensen sagte, die Einschätzung des Kapitäns bei dem Unglück habe nicht "den von Costa vorgegebenen Standards" in einem solchen Notfall entsprochen. Die Crew dagegen habe sehr umsichtig gehandelt. Viele Passagiere allerdings sprachen von einem großen Durcheinander und klagten über unzureichende Sicherheitsausrüstung. Das bestreitet Costa. "Die Schiffsführung hat total versagt", sagte Passagier Herbert Rohwedder aus Schleswig-Holstein. "Es herrschte nur Chaos."
Kurz nachdem die Feuerwehr den sechsten Toten entdeckt hatte, musste die Suche am Montag für einige Stunden unterbrochen werden. Offensichtlich hatten die Wellen den havarierten Riesen in Bewegung versetzt. Die Taucher hätten das Wrack vorübergehend verlassen, nachdem es sich um neun Zentimeter bewegt habe, erklärte der Sprecher der Rettungsmannschaften, Luca Cari. Auch für die Nacht wurde die Suche aus Sicherheitsgründen wieder eingestellt.
Viel Kritik am Kapitän
Ein "menschlicher Fehler" ist bei der Havarie des Kreuzfahrtschiffes nach Auffassung des Chefs von Costa Kreuzfahrten, Pierluigi Foschi, nicht zu bestreiten. Zwar werde die Kreuzfahrtgesellschaft dem Kapitän nach der Havarie juristische Unterstützung geben, sagte Foschi in Genua, wie die Nachrichtenagentur Ansa berichtete. "Das Unternehmen hat jedoch auch die Pflicht, seine 24.000 Beschäftigten zu schützen", fügte er an. Zuvor waren die Eigner des Kreuzfahrtschiffes auf Distanz zu ihrem Kapitän gegangen.
"Es scheint, dass der Kommandant Beurteilungsfehler gemacht hat, die schwerste Folgen gehabt haben", hieß es in einer Erklärung der Kreuzfahrtgesellschaft am Sonntagabend. "Die Route des Schiffs führte offenbar zu nahe an der Küste vorbei (...)" Der Kapitän sei 2002 als Sicherheitsoffizier zu Costa gekommen und 2006 zum Kapitän ernannt worden. "Wie alle Costa-Schiffsführer absolvierte er regelmäßige Trainings."
Der Kapitän soll Medienberichten zufolge mehrfach von der Küstenwache aufgefordert worden sein, wieder an Bord zu gehen, um die Evakuierung des Schiffs zu koordinieren. Dies habe er jedoch nicht getan. Auch einen SOS-Ruf soll es zunächst nicht gegeben haben. Hunderte von Zeugenaussagen - Passagiere, Crewmitglieder und Retter - seien zum Hergang bereits aufgenommen worden, sagte Staatsanwalt Verusio. Mehr Details zum Hergang des Unglücks erhofft man sich von der Auswertung der Blackbox des Schiffs, die ähnlich wie in Flugzeugen die Kommunikation auf der Brücke und Steuerbefehle aufzeichnet.
Entschädigung zugesichert
Costa-Kreuzfahrten sicherte den Opfern der Schiffshavarie Entschädigung zu. "Wir nehmen mit jedem einzelnen Gast Kontakt auf", sagte Jensen. Die Bergung des Wracks wird nach Einschätzung von Hans Hopman, Professor für Schiffsbau an der Technischen Universität Delft, möglicherweise Monate dauern.