"Narzisstische Selbstverherrlichung des Systems"
Wieder einmal wird Rom einen Besucher- und Medien-Hype erleben. Polen, Italiener und alle anderen Papstbegeisterten werden jubeln und glĂŒcklich sein. Warum? An einem Tag werden zwei PĂ€pste heiliggesprochen, die gegensĂ€tzlicher kaum sein könnten.
So werden die Fans von beiden den Petersplatz fĂŒllen und gemeinsam jubeln. Wie selten prallen die inneren WidersprĂŒche dieses Festtags so massiv aufeinander. Zwei PĂ€pste, die fĂŒr verschiedene Richtungen in der katholischen Kirche stehen, werden heiliggesprochen, und man kann sich ĂŒberlegen, ob man GegensĂ€tze versöhnen will oder ob Johannes XXIII. nur als Alibi fĂŒr Johannes Paul II. benutzt werden soll.
Johannes XXIII., der im Juni 1963 starb, waren kaum fĂŒnf Regierungsjahre gegönnt. Er berief ein Konzil ein und erzielte dadurch eine Tiefenwirkung, die bis heute anhĂ€lt. Er verordnete der Kirche frische Luft und einen "Sprung nach vorn".
Der Zweite, Karol WojtyĆa, regierte ĂŒber 26 Jahre, trieb die Selig- und Heiligsprechungen mit ĂŒber 1800 Personen auf eine ungeahnte Spitze und hinterlieĂ bei seinem Tod 2005 eine zutiefst gespaltene Kirche, denn mit autoritĂ€ren Methoden versuchte er, viele Impulse des Konzils wieder abzuwĂŒrgen.
Johannes Paul II. förderte fragwĂŒrdige Organisationen
Gewiss, man sollte ihm seine Verdienste nicht kleinreden. Viele sprechen ihm eine entscheidende Rolle am Zerfall des Kommunismus zu und er brachte die katholische Kirche weltweit in die Medien. Aber er förderte auch fragwĂŒrdige Organisationen wie das Opus Dei und die LegionĂ€re Christi, dessen GrĂŒnder Marcial Maciel zölibatĂ€rer Priester, Ordensmann, zugleich Bigamist, Vater mehrerer Kinder war und vermutlich blutjunge Seminaristen missbrauchte.
Unter dem WojtyĆa-Papst wurden Tausende von MissbrauchsfĂ€llen vertuscht. Weltweit drĂŒckte er vielen BistĂŒmern erzkonservative Bischöfe auf, behinderte und zensierte Hunderte von Theologen, MĂ€nner wie Frauen, und versuchte, der Befreiungstheologie den Garaus zu machen.
"Eine Decke der Angst"
Eine Decke der Angst legte sich ĂŒber die Weltkirche. Bis hin zum Kondomverbot verteidigte er eine ĂŒberholte Ehemoral. Sein Amt versah er mit professioneller VirtuositĂ€t als Medien-, Reise- und Werbestar fĂŒr die Kirche. Er hat die Idee der Weltjugendtage zum regelmĂ€Ăigen internationalen Megatreffen entwickelt und seinen Triumph auf diesen Veranstaltungen sichtlich genossen.
Als zwiespĂ€ltig empfanden viele, dass dieser unĂŒbersehbare Papst die schwere Krankheit seiner letzten Monate zwar in bewundernswerter Weise ertragen, aber doch auch zur Schau gestellt hat. Jesus, so seine fragwĂŒrdige BegrĂŒndung, sei auch nicht vom Kreuz gestiegen. Hinter diesem Argument steckt wohl die gut erhĂ€rtete Tatsache, dass er sich geradezu leiblich als der "andere Christus" auf Erden fĂŒhlte. Das ĂŒberschreitet selbst konservativste theologische Ăberzeugungen.
"Heiligsprechung wirkt wie ein schlechtes Alibi"
Warum spricht Papst Franziskus die so gegensÀtzlichen PÀpste gemeinsam heilig? Auf den ersten Blick wirkt diese Kombination wie ein schlechtes Alibi. Man tut so, als seien die innerkirchlichen GegensÀtze gar nicht so wichtig. Das wÀre jedoch eine naive und erfolglose Strategie.
Papst Franziskus versucht wohl, die auseinander strebenden FlĂŒgel der Kirche miteinander zu versöhnen. "Versöhnt euch", will er vielleicht sagen, "ihr alle setzt euch fĂŒr das Wohl derselben Kirche ein. Seid Freunde!" Aber auch in der Kirche geht das nicht auf Kosten einer aufrichtigen Ehrlichkeit. Mehrere GrĂŒnde lassen Widerspruch aufkommen:
1. Die Heiligsprechung von Johannes Paul II. kommt verdÀchtig schnell; schon bei seiner Seligsprechung (2011) wurde man den Verdacht der zweckbestimmten Manipulation nicht los. Man erinnert sich noch der "Santo-subito-Rufe" bei seiner Beerdigung, die offensichtlich wohl organisiert und gesteuert waren. Dagegen wird die Seligsprechung des Befreiungstheologen und MÀrtyrers Oscar Romero (1980 wÀhrend des Gottesdienstes erschossen) bis heute verzögert. Soll das Papstamt jetzt zum Grund einer Heiligsprechung werden?
2. Benedikt XVI., dem engsten Wegbegleiter seines VorgÀngerpapstes und Initiator des Verfahrens, ist massive Befangenheit vorzuwerfen, denn er legitimiert damit seine eigene kirchenpolitische Linie.
3. Die zahllosen hochengagierten MĂ€nner und Frauen (auch Nonnen), die dieser Papst, ohne sie je zu hören, abgemahnt, abgestraft oder zutiefst verletzt hat, werden ein zweites Mal gedemĂŒtigt. Niemand hat sie rehabilitiert oder um Vergebung gebeten. Das ist inakzeptabel und unmoralisch.
4. Solche pĂ€pstlichen Hoheitsakte, Kanonisierung genannt, enthalten keine glaubwĂŒrdige Botschaft mehr. Akten werden nicht offengelegt, Motive nicht offen diskutiert. Die narzisstische Selbstverherrlichung des Systems hat einen enormen Stellenwert. Im ersten Jahrtausend war es das Gottesvolk selbst, das seine groĂen Vorbilder fand und verehrte. Ab sofort sollte Papst Franziskus zu jedem Fall die GlĂ€ubigen hören.
Umso mehr Zustimmung verdient die Ehrung von Johannes XXIII., einem bescheidenen und aufrechten KirchenfĂŒhrer, der durch die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) zur Erneuerung der Kirche das Bestmögliche getan hat und in der ganzen Kirche verehrt wird. Da juble ich gerne mit. Paradox ist nur, dass er diese Ehrung, nach FĂŒrstenart und mit ĂŒberzogener Prachtentfaltung vollzogen, nicht nötig hat. Er strahlt aus sich selbst.
Dieser Gastbeitrag stammt von Hermann HĂ€ring.
Prof. Dr. Hermann HĂ€ring, katholisch, war von 1980-2005 Theologieprofessor in Nijmegen. Seit 2005 lebt er wieder in TĂŒbingen. Er ist wissenschaftlicher Berater am Projekt Weltethos und als Mitarbeiter bei deutschsprachigen kirchlichen Reformgruppen engagiert.