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Jörg Kachelmann über den Frost: "Dem Wetter ist scheißegal, dass morgen Frühling ist"


Jörg Kachelmann über den Frost
"Dem Wetter ist scheißegal, dass morgen Frühling ist"

Ein Interview von Daniel Schreckenberg

28.02.2018Lesedauer: 4 Min.
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Jörg Kachelmann kann mit dem Bergriff "Russenpeitsche" nichts anfangen. Für den Wetterexperten sind die frostigen Temperaturen kontinentale Kaltluft.Vergrößern des Bildes
Jörg Kachelmann kann mit dem Bergriff "Russenpeitsche" nichts anfangen. Für den Wetterexperten sind die frostigen Temperaturen kontinentale Kaltluft. (Quelle: Oliver Berg/dpa)

"Die Russenpeitsche hat Deutschland fest im Griff" oder "Ein Kälterekord jagt den nächsten": Warum solche zuletzt öfter gehörten Sätze völliger Quatsch sind, erklärt Wetter-Experte Jörg Kachelmann.

Herr Kachelmann, es herrschen zweistellige Minusgrade, die Medien titeln von der „Russenpeitsche“. Ist der Begriff richtig gewählt?

Kachelmann: Ganz bestimmt nicht. Wenn die Luft aus Spanien kommt, nennt man es auch nicht die Spanien-Peitsche. Jetzt kommt die Luft auch eher aus Finnland, es ist aber nie von der Finnenpeitsche die Rede. Früher war ich angeblich derjenige, der den Wetterbericht zur Show gemacht hat, heute bin ich anscheinend der konservative Wettermann. Es ist einfach nur ein Hoch über Skandinavien, von dort wird die Luft über Russland zu uns hin in Bewegung gesetzt. Das dann Russenpeitsche zu nennen, ist falsch. Wahrscheinlich fehlt mir aber einfach das Humorzentrum in diesem Bereich.

Da hilft es dann wahrscheinlich auch nicht, wenn selbst der Deutsche Wetterdienst von der „Russenpeitsche“ spricht?

Es ist nicht der Deutsche Wetterdienst, der das sagt, sondern ein Mitarbeiter. Ich gehe nicht davon aus und hoffe, dass das beim geschätzten DWD nicht Usus wird. Wenn genügend Zeitungen diesen Schwachsinn machen, geht es halt irgendwann leider über das Medienelend hinaus. Selbst in meinen jungen wilden Zeiten im ARD-Morgenmagazin hätte ich den Begriff nicht verwendet. Aber offenbar sehen das andere Leute anders, und offenbar klickt es sich gut. Aber die Russenpeitsche ist gar nicht mein größtes Problem – sondern das, was sonst so zum Thema Wetter geschrieben wird. 80 Prozent der Artikel sind schlichtweg falsch.

Wie würden Sie die aktuelle Wetterlage in Deutschland bezeichnen?

Als kalte Luft, die durch ein Hoch über Skandinavien nach Westen geschickt wird. Es ist kontinentale Kaltluft, so wie sie 1960, 1970, 1980,1990 und auch noch im Jahr 2000 hieß.

Warum ist es momentan so kalt in Deutschland?

Irgendwann wird der Westwind, der vom nordamerikanischen Kontinent kommt, vor Europa abgeschnürt. Wenn das geschieht, kann sich ein Hoch über Skandinavien bilden. Stellen Sie sich das Hoch wie eine Schallplatte vor, die sich dreht. Dann verstehen sie auch, warum es jetzt automatisch über Island und Grönland warm sein muss.

Ja, denn das Umschaufeln bedeutet, dass die Luft dort aus dem Süden kommt. Für Grönland wäre das also die „Kanaren-Peitsche“ oder die „Azoren-Peitsche“ für Island - auch wenn ich vermute, dass die Medien dort den Schwachsinn nicht mitmachen. Das gehört einfach immer zusammen. Deshalb ist diese Aufregung jetzt über die Wärme auf Grönland vollkommen schwachsinnig. Abgesehen davon war es heute um 10 Uhr in der Eismitte Grönlands minus 47 Grad kalt. Ich werte die ganze Thematik auch als Bildungsnotstand, dass wir diesen Zusammenhang zwischen einem Hoch und dem Wind, der im Uhrzeigersinn rund herum geht, immer erklären müssen. Meine Vorstellung ist immer noch, dass sowas in der Schule mal durchgenommen wird.

Auf der Zugspitze wurde in dieser Nacht ein Minusrekord für Ende Februar gemessen. Sind solche Temperaturen denn normal?

Für einen Winter ist es vollkommen normal, für den Februar auch noch. Wenn „Rekord“ geschrieben wird, sind das oft Tagesrekorde, die es sowieso oft gibt. Es ist schlicht sehr selten, dass es so spät im Monat noch so kalt wird. Bei Tagesrekorden muss ja schließlich genau an diesem Tag in einem der vorherigen 100 Jahren ebenfalls den Höhepunkt einer Kältewelle gewesen sein. Deshalb haben sie auch an jedem Tag irgendwo in Deutschland einen Temperatur-Rekord. Unter Klick-Bedürfnissen ist es aber immer super - denn dann kann man schreiben, dass dieser Tag etwas Besonderes ist.

Was müsste eigentlich für Luft herrschen? Schließlich ist am Donnerstag Frühlingsanfang.

Es müsste schon etwas wärmer sein. Aber zum Thema Frühlingsanfang: Das ist etwas, was ich am Donnerstag wieder traurig begackern muss. Es ist kein meteorologischer Frühlingsanfang, wie es immer heißt. Die Klimastatistiker teilen das Jahr in vier Jahreszeiten ein. Der Winter ist Dezember, Januar, Februar. Und dann kommen die drei Monate für die Frühlingsstatistik. Das hat nichts mit Meteorologie zu tun, sondern nur mit Statistik. Dem Wetter ist es scheißegal, ob der 28. Februar ist oder der 1. März. Es hat keinen Kalender, auf das es schauen und sagen kann: ‚Heute ist noch Februar, da kann ich kalt sein‘. Deshalb muss ich Donnerstag wieder ganz viel weinen, wenn ich überall lesen muss, dass es am meteorologischen Frühlingsanfang noch so kalt ist, weil es nur ein statistischer Frühlingsanfang ist.

Kaum sind die Temperaturen draußen kalt, springen die ersten Klimawandel-Kritiker aus der Ecke und fragen: Wo ist denn euer Klimawandel. Was sagen Sie denen?

Es wird im Durchschnitt immer wärmer, aber deshalb gibt es trotzdem noch die gleichen natürlichen Schwankungen wie früher. Es gibt immer noch ein Auf- und Ab - nur ist der Durchschnitt auf einem höheren Niveau. Es gibt aber auch diejenigen, die jetzt jedes Wetter zu einem Zeichen des Klimawandels machen. Früher hieß es nur bei jedem warmen Wetter: Das ist der Klimawandel. Inzwischen ist alles Klimawandel.

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Auf Twitter habe ich mich mit einem Bundestagsabgeordneten der Grünen beharkt. Er schrieb sinngemäß, dass das ist jetzt der bevorstehende Weltuntergang durch Klimawandel sei, weil es jetzt ist es auf Island und Grönland genauso kalt oder wärmer sei als bei uns. Es ist Blödsinn, jeder Wetterlage, in welche Richtung immer, dieses Klimawandel-Zettelchen anzuhängen. Es ist unwissenschaftlich und falsch wie es unwissenschaftlich und falsch ist, den Klimawandel zu leugnen.

Wie geht es jetzt weiter mit dem Wetter?

Die Satellitenbilder über Frankreich zeigen bereits, dass der Wind zwar noch aus Osten, der Höhenwind aber bereits aus Südwesten kommt. Das ist die Erwärmung, die uns dann Richtung Freitag, spätestens zum Wochenende erwischt. Mit den üblichen Anstrengungen, wenn es so kalt war und langsam warm wird. Es gibt teils Schnee, teils Regen. Anstrengend wird das vor allem für Autofahrer. Der Boden ist momentan bis 20 Zentimeter tief gefroren. Das bedeutet, dass die Straßen immer noch gefroren sind, selbst wenn die Luft wieder warm ist. Nach einer längeren Frostperiode dauert das ziemlich lange. Kommt dann Regen, wird er auf der Fahrbahn gefrieren. Darauf werden wir dann ab Freitag wieder gebetsmühlenartig hinweisen müssen. Und die Medien können titeln: „Kanaren-Peitsche mit Killerblitz-Eis-Rekord“ im Anmarsch.

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