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Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx: "Er greift Woelki frontal an"


Missbrauchskandal in der Kirche
Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx: "Er greift Woelki frontal an"

dpa, Von C. Driessen, J. Neudecker und B. Schultejans

Aktualisiert am 04.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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"Nicht amtsmüde": Kardinal Reinhard Marx erklärt, warum er trotzdem seinen Rücktritt anbietet. (Quelle: t-online)
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Es ist ein kirchenpolitisches Erdbeben: Kardinal Reinhard Marx bietet dem Papst seinen Rücktritt an. Was steckt hinter diesem radikalen Schritt? Experten sehen einen Frontalangriff auf Erzbischof Rainer Maria Woelki.

Es ist ein historischer Tag für die katholische Kirche in Deutschland: Einer der prominentesten deutschen Bischöfe, ein Kardinal, ein Vertrauter von Papst Franziskus, bietet seinen Rücktritt an. Und dazu sagt Reinhard Marx, die Kirche sei an einem "toten Punkt" angekommen.

Die katholische Kirche ist in jedem Fall an diesem Freitag an einem Punkt angekommen, an dem sie noch nie war. "Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten", schreibt der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx an den Papst in einem Brief, der die Kirchenwelt am Freitag erschüttert.

Die Untersuchungen und Gutachten der zurückliegenden zehn Jahre zeigten für ihn durchgängig, dass es "viel persönliches Versagen und administrative Fehler" gegeben habe, aber "eben auch institutionelles oder systemisches Versagen". Und auch dafür müsse jemand die Verantwortung tragen, betont Marx bei einer kurzen Stellungnahme im Innenhof des bischöflichen Palais in München, die Sie in Auszügen oben oder hier sehen können.

Will Marx einen peinlichen Schlüsselmoment korrigieren?

Nachdem im Jahr 2010 massenhafte Fälle von sexuellem Missbrauch von Priestern an Kindern und Jugendlichen bekannt geworden waren, habe er in einer Predigt betont: "Wir haben versagt", erinnert sich Marx bei jenem womöglich historischen Statement. "Und zu Hause dachte ich: Wer ist wir?" Er wolle, so betont er, ein unmissverständliches Zeichen setzen, dass er sich als Teil dieses institutionellen "Wir" verstehe.

Vielleicht will Marx auch eine Szene bei einer Pressekonferenz korrigieren, bei der einmal gefragt worden war, ob denn wirklich keiner der deutschen Bischöfe durch seinen Rücktritt persönliche Verantwortung für den Missbrauchsskandal übernehmen wolle. Er hatte das mit einem Nein beantworten müssen. Es war ein Schlüsselmoment für die katholische Kirche in Deutschland – und ein sehr unangenehmer.

Kirchenrechtler: "Er greift direkt Kardinal Woelki frontal an"

Was wussten die Bischöfe? Diese Frage hat sich zu einer zentralen entwickelt im Missbrauchsskandal der katholischen Kirche. Und möglicherweise hatte Marx bei seinem drastischen Schritt auch die Zustände im Erzbistum Köln vor Augen, wo Erzbischof Rainer Maria Woelki von einem unabhängigen Gutachter zwar von Pflichtverletzungen freigesprochen wurde, aber nach Meinung vieler Gläubiger dennoch zurücktreten sollte, um einen Neuanfang zu ermöglichen.

"Ich möchte auf die Mitbrüder da nicht einwirken", sagt Marx dazu am Freitag. Er habe eine ganz persönliche Entscheidung getroffen und wolle niemandem Vorschriften machen. Doch der Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht den Schritt von Marx als direkte Attacke auf den Kölner Kardinal, der in der Bischofskonferenz stets als sein konservativer Gegenspieler galt: "Er greift direkt Kardinal Woelki frontal an, wenn er von denen spricht, die sich hinter juristischen Gutachten verstecken und nicht bereit sind, die systemischen Ursachen der sexualisierten Gewalt in der Kirche mit mutigen Reformen anzugehen."

Die Botschaft von Marx gehe aber auch direkt an Papst Franziskus, sagte Schüller der Deutschen Presse-Agentur: "Wenn du, Franziskus, Reformen willst, dann bleibt im Blick auf die sexualisierte Gewalt in der Kirche kein Stein auf dem anderen. Sei so mutig wie ich und stoße endlich Reformen an." So interpretiert Schüller die Botschaft von Marx. Alle deutschen Bischöfe müssten sich nun an seinem souveränen Schritt messen lassen.

Das könnte Marx' Entscheidung beeinflusst haben

"Marx ist nicht irgendjemand", sagt auch der geistliche Begleiter des Synoldalen Weges, Pater Bernd Hagenkord, über den langjährigen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Sein Rücktrittsersuchen dürfte um die Welt gehen.

Bei Marx' Entscheidung mag allerdings mitgespielt haben: Für diesen Sommer wird ein Gutachten über Fälle von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising erwartet, das vor allem herausarbeiten soll, wie sexueller Missbrauch von Priestern im Bistum möglich wurde – und ob hochrangige Geistliche die Täter schützten. Das Erzbistum München hat das Gutachten bei der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegeben – ebenso wie das Erzbistum Köln, das eine Veröffentlichung des Berichts in letzter Sekunde verhinderte und dafür schwer in die Kritik geriet.

Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: "Da geht der Falsche"

Aus dem Vatikan selbst war am Freitag zunächst kein offizieller Kommentar zu vernehmen. Laut Marx wollte Franziskus über sein Ersuchen nachdenken, und so lange soll der Kardinal weiter seine Arbeit machen. Die Veröffentlichung von Marx' Schreiben habe Franziskus jedoch abgesegnet.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, der zusammen mit Marx den Reformprozess Synodaler Weg wesentlich mitinitiiert hat, wirkte am Freitag geradezu bedrückt. "Da geht der Falsche", sagte Sternberg der Deutschen Presse-Agentur. Marx sei die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals mit großer Ernsthaftigkeit angegangen und habe sogar sein persönliches Vermögen in eine Stiftung für Missbrauchsopfer eingebracht. Sternberg hofft nun, dass von dem Amtsverzicht am Ende nicht noch die Reformgegner profitieren würden. Denn die sind oft deutlich weniger von Selbstzweifeln geplagt.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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