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Motorgleitschirm beim EM-Spiel: Greenpeace flog mit Elektromotor ein


Experten zum Zwischenfall
Das hätte ganz böse ausgehen können


Aktualisiert am 16.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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Erschreckende Szenen im Stadion: Kurz vor dem Anpfiff des EM-Spiels Deutschland gegen Frankreich verlor ein Aktivist die Kontrolle über seinen Gleitschirm – zwei Verletzte. (Quelle: t-online)

Empörung über den Greenpeace-Flieger, der zum EM-Spiel am Schirm durchs Münchner Stadion trudelt: Doch was war da genau technisch los, und wie schlimm hätte es werden können? Experten erklären es.

Nach der missglückten Protestaktion im Münchner EM-Stadion hagelt es heftige Kritik an Greenpeace, Politiker von Union und FDP wollen der Organisation sogar die Gemeinnützigkeit entziehen lassen. Doch was war da genau los?

Wer ist der Pilot?

Laut Informationen der "Bild" steckte im Piloten-Dress ein 38-Jähriger, der in Rosenheim als Chirurg arbeitet. Der Mann ist demnach bereits an früheren Greenpeace-Aktionen beteiligt gewesen – so am 10. März in Frankfurt am Main. Damals hatten drei Aktivisten die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) angeflogen und auf dem Vordach des Gebäudes ein großes Banner mit der Aufschrift "Stop Funding Climate Killers" ausgebreitet.

Was ist da in der Allianz-Arena runtergekommen?

Es war kein "Gleitschirm", erklärt der Deutsche Gleitschirm- und Drachenflugverband. Piloten mit Motor hinter sich sind im Deutschen Ultraleichtflugverband (DULV) organisiert, die Motorschirme zählen zu den Ultraleicht-Fluggeräten. Möglich war die Aktion auch nur damit, sagt Lucian Haas, Journalist und Betreiber von Lu-Glidz, dem wichtigsten Blog für Gleitschirmflieger und auch interessiert an Motorgleitern: "Mit einem Gleitschirm ohne Motor hätte man so eine Aktion gar nicht machen können, weil wir Thermik brauchen, um aufsteigen zu können." Die gibt es abends um 21 Uhr nicht mehr verlässlich.

Das Konstrukt in München war ungewöhnlich, sagt Haas: "Ein Schirm mit einem Elektromotor." Davon gebe es bisher nur wenige. Möglicherweise war es ein Modell des Schweizer Herstellers Skyjam Aircraft. Greenpeace hat also zumindest nicht mit einem Verbrennungsmotor mit Benzin gegen VW und Verbrennungsmotoren protestiert.

Was hat der Pilot falsch gemacht?

"Es gibt gleich eine Reihe von Regeln, die der Kollege verletzt hat", sagt Haas. So war nicht nur der Luftraum über dem Stadion generell gesperrt. "Er darf mit Motor auch nicht über Menschenansammlungen fliegen, und er muss mindestens 300 Meter hoch über Siedlungsgebiet bleiben. Das hätte ganz böse ausgehen können." Christina Schonert vom Ultraleichtflugverband DULV und dort Prüferin will sich eigentlich gar nicht zu der "bescheuerten" Aktion äußern: Die Aufregung sei schon groß genug. "Deswegen plädiere ich dafür, die Feststellung der einzelnen Delikte der Staatsanwaltschaft zu überlassen – bitte mehr Gelassenheit." Laut Polizei wird wegen eines Verstoßes gegen das Luftverkehrsgesetz, einer gefährlichen Körperverletzung, einer Gefährdung des Luftverkehrs und eines Hausfriedensbruchs ermittelt.

Wie konnte der Pilot dort hinkommen?

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte der Bild-Zeitung, dass es Scharfschützen gab, und der Mann möglicherweise mit seinem Leben bezahlt hätte, wenn Polizei einen Terroranschlag befürchtet hätte. Jetzt soll die Luftüberwachung bei der EM mit Hubschraubern intensiviert werden. Greenpeace erklärte dagegen, dass kurz vor der Aktion die Polizei informiert worden sei.

Wie fliegt ein Motorschirm?

Zum Start reicht mit einem Motorschirm eine freie Wiese mit 50 Metern Startstrecke. "Grob gesagt legt man den Schirm hinter sich aus und läuft mit laufendem Motor los, bis der Schirm samt Pilot abhebt", erklärt DULV-Fachfrau Schonert. Aber: "Motorschirme dürfen –wie alle anderen Ultraleichtflugzeuge auch – nur auf entsprechend zugelassenen Geländen starten und landen." Höhe gewinnt der Pilot durch den Schub des Propellers. Bei mehr Gas gewinnt er an Höhe, nimmt er Gas weg, sinkt er.

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Wie kam es zur Notsituation?

Um wie geplant einen Ball gezielt abzuwerfen, musste der Pilot sinken. "Vielleicht hat er unterschätzt, wie tief er kommt", erläutert Blogger Lucian Haas. "Vermutlich hat er dann auch ein Drahtseil der Spidercam übersehen, weil er nach unten geschaut hat. Er musste ja auch die Steuergriffe loslassen, um den Ball abzuwerfen." Spidercam erklärte allerdings später, mit ihren Seilen habe es keinen Kontakt gegeben.* Der Pilot sei "gewissermaßen in der Luft gestolpert", erklärt Haas.. Der Schirm ist vor ihn gekommen. Jetzt hätte es dramatisch enden können, dass er ins Stadion knallt oder in die Ränge." DULV-Expertin Schonert sagt aber auch: "Selbst wenn er sich nicht in den Stahlseilen verfangen hätte, hätte er durch diesen Flug zahlreiche Menschen gefährdet."

Hat der Pilot dann noch Schlimmeres verhindert?

"Zumindest hat er nach dem kurzen Schockmoment sehr gut reagiert, dass er das noch abgefangen und die Kurve an der Tribüne halbwegs bekommen hat", sagt Haas. Schirm und Mann waren Richtung Tribüne geflogen, ehe er eine scharfe Kurve machte, dabei aber dennoch noch Zuschauer erfasste. Zwei Männer kamen ins Krankenhaus, konnten am Mittwoch entlassen werden.

Wie wird die Aktion in der Szene gesehen?

Hass kennt "niemanden, der für die Aktion irgendwie Verständnis hat. Manche Kommentatoren in den sozialen Medien befürchten, dass das jetzt auf die Gleitschirmszene zurückfallen könnte". Er gehe aber davon aus, dass die Menschen durchaus trennen können, dass das eine Aktion eines Greenpeace-Aktivisten war, "die in keiner Weise für unser schönes Hobby steht". Der DULV findet, dass "zu solch gedanken- und rücksichtslosem Vorgehen sich jeder Kommentar erübrigt."

Was droht dem Mann?

Neben möglichen strafrechtlichen Folgen ist auch fraglich, ob er wieder in die Luft gehen kann: "Sanktionen unsererseits können erfolgen, wenn eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt. Dann können wir eventuell in Aktion treten und auch eine Lizenz entziehen", erklärt DULV-Mitarbeiterin Schonert.

*Der Text wurde einer Erklärung von Spidercam aktualisiert.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit DULV-Mitarbeiterin Christina und Lucian Haas
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und sid
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