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"Das eigene Kind geopfert" | Missbrauchsprozess von Freiburg steht vor den Urteilen


"Das eigene Kind geopfert"
Missbrauchsprozess von Freiburg steht vor den Urteilen

dpa, Jürgen Ruf

Aktualisiert am 05.08.2018Lesedauer: 4 Min.
Die angeklagte Mutter (l.) wird aus dem Gerichtssaal geführt: Sie hat gestanden, ihren Sohn pädophilen Männern gegen Geld überlassen zu haben. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Die angeklagte Mutter (l.) wird aus dem Gerichtssaal geführt: Sie hat gestanden, ihren Sohn pädophilen Männern gegen Geld überlassen zu haben. (Archivbild) (Quelle: Patrick Seeger/dpa)
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Es ist ein Fall von nicht gekannter Dimension: Eine Mutter überlässt ihr Kind Männern gegen Geld zum Vergewaltigen. In dem Prozess fallen nun die Urteile. Das Motiv der Frau bleibt vage.

Von dem Kind, das jahrelang Schreckliches erleben musste, gibt das Gericht wenig preis. Der Junge soll unbehelligt bleiben. Er lebt bei einer Pflegefamilie, persönlich erscheinen muss er in dem Prozess nicht. Auf der Anklagebank im Landgericht Freiburg sitzen seine Mutter und deren Lebensgefährte, der sich von dem Jungen Vater nennen ließ. Sie haben zugegeben, den heute Zehnjährigen jahrelang Männern gegen Geld zum Vergewaltigen überlassen zu haben. Nach knapp zwei Monaten und zehn Verhandlungstagen spricht das Landgericht Freiburg am kommenden Dienstag das Urteil.

"Es ist ein Verfahren, das die Beteiligten an Grenzen gebracht hat", sagt der Vorsitzende Richter Stefan Bürgelin. Die Schwere der Taten, die Vielzahl der Täter, der lange Zeitraum, der Hang zu Sadismus und Gewalt sowie die menschenverachtende und demütigende Art und Weise, wie auch die Mutter mit dem Kind umging, erschreckten die Ermittler. Es ist ein Fall mit bisher nicht gekannten Dimensionen, sagen sie.

Im Darknet boten die Hauptangeklagten das Kind an

Insgesamt acht Festnahmen und Anklagen gab es. Die 48-jährige Mutter und ihr wegen schweren Kindesmissbrauchs vorbestrafter 39-jähriger Lebensgefährte sind die Hauptbeschuldigten. Sie haben zugegeben, den damals in Staufen bei Freiburg lebenden und heute zehn Jahre alten Jungen mehr als zwei Jahre lang im Darknet – einem anonymen Bereich des Internets – angeboten und Männern gegen Geld für Vergewaltigungen überlassen zu haben. Zudem sollen sie das Kind sowie ein kleines Mädchen auch selbst mehrfach sexuell missbraucht haben. Die Taten wurden gefilmt, die Filme über das Darknet weitergeleitet.

Die Frau äußerte sich im Prozess lediglich nicht-öffentlich. Sie nimmt sonst ohne äußerliche Regung oder erkennbare Emotion an dem Prozess teil. Als "erschreckend nüchtern und teilnahmslos" nannten Prozessbeteiligte ihr Geständnis. Das Motiv bleibt vage. Als sie vergangenen September festgenommen wurde, nahmen ihr die Behörden ihr Kind weg und brachten es in Sicherheit. Gefragt nach ihm hat sie seither nicht mehr, sagt eine Polizeibeamtin: "Ihre einzige Sorge war, wie sie im Gefängnis an Tabak kommt."

Für die Mutter ergab es Sinn, ihren Sohn zu opfern

Der psychiatrische Gutachter Hartmut Pleines attestiert der Frau, die in schwierigen sozialen Verhältnissen lebte, eine geringe Emotionalität und wenig Mitgefühl: "Die Bereitschaft, ihren Sohn zu opfern, liegt in ihrem wenig entwickelten Gewissens- und Normengerüst begründet." Die Frau habe ihre eigenen Interessen über die ihres Kindes gestellt. Sie habe die Beziehung mit ihrem Freund sichern wollen. Doch hörig, wie sie selbst sagte, sei sie ihm nicht gewesen.

Ihr Lebensgefährte, der sich als Haupttäter bezeichnet, nutzte den Prozess für umfassende Aussagen. Er äußerte sich öffentlich und sprach in den Strafverfahren gegen andere Beschuldigte als Zeuge. "Es ist eine Lebensbeichte", sagt der Chefermittler der Freiburger Polizei. Im Gegensatz zur Mutter arbeitete er die Verbrechen auf. Ohne seine Hilfe hätte die Polizei den Fall nicht aufklären, die später angeklagten Männer nicht festnehmen können.

Der Angeklagte forderte die Sicherheitsverwahrung ein

Vor Gericht schilderte der Lebensgefährte die Verbrechen geschäftsmäßig, Gefühle ließ er nicht erkennen. Für sich selbst zieht der 39-Jährige Konsequenzen. Er fordert Sicherungsverwahrung für sich und will dauerhaft hinter Gitter. "Das ist das erste Mal in meiner juristischen Laufbahn, dass ich im Auftrag eines Mandanten Sicherungsverwahrung verlange", sagt seine Anwältin Martina Nägele. Zudem will er Schmerzensgeld zahlen.

Ihm sei es um Befriedigung seiner sexuellen Interessen gegangen, sagt der Mann. Es sei aber auch um Geld gegangen. Einer der Männer, ein Spanier, zahlte bis zu 15.000 Euro für Vergewaltigungen und versprach weitere finanzielle Zuwendungen.

Der Junge ist noch nicht bereit für eine Therapie

Der Junge werde nach dem Missbrauch jahrelange Hilfe benötigen, sagte eine Polizistin, die ihn kennt. Für eine psychologische Betreuung sei es Experten zufolge noch zu früh: "Es braucht noch ein bis zwei Jahre, bis er eine Therapie ansatzweise beginnen kann." Derzeit sei der Junge damit beschäftigt, "in seinem neuen Leben anzukommen". Dabei werde er, auch von der Polizei, unterstützt. Der leibliche Vater, ein Drogenabhängiger, starb kurz nach der Geburt des Kindes im Juli 2008 an einer Überdosis.

Beide Angeklagten, sagt der Gutachter, sind voll schuldfähig. Ihnen drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis und anschließende Sicherungsverwahrung. Für die Mutter ist Sicherungsverwahrung Beobachtern zufolge unwahrscheinlich, da die Frau nicht vorbestraft ist und keiner im Prozess Sicherungsverwahrung fordert.

Auch Justiz und Jugendamt sind in Bedrängnis

In der Kritik stehen auch kurz vor Ende des Prozesses Justiz und Jugendamt. Ihnen wird vorgeworfen, den Jungen nicht geschützt zu haben. Warnungen seien ignoriert, auf bekannte Gefahren nicht reagiert worden, sagt die Anwältin des Jungen, Katja Ravat. Vor Gericht gaben sich Vertreter der Justiz und des Jugendamtes ahnungslos. Gegen den Sachbearbeiter im Jugendamt ermittelt die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen gegen andere werden geprüft.

Die beteiligten Familiengerichte und das Jugendamt versuchen, den Fall intern aufzuklären. Im September wollen sie Ergebnisse vorlegen.

Verwendete Quellen
  • dpa
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