Gletscher verschüttet Dorf "Blatten kann an diesem Ort nicht wiedererrichtet werden"

Millionen Tonnen Fels und Eis haben das Dorf Blatten unter sich begraben. Die Gemeinde steht vor dem Nichts. Der Wiederaufbau soll kommen. Aber wo?
Ein Gletscherabbruch hat am Mittwoch das Walliser Dorf Blatten fast vollständig unter einem riesigen Schuttkegel begraben. Nur wenige Stunden später trat Gemeindepräsident Matthias Bellwald sichtlich bewegt vor die Presse und sagte: "Wir haben unser Dorf verloren, aber nicht unser Herz."
Mit klaren Worten richtete sich Bellwald auf Walliserdeutsch an seine Mitbürger und versprach, dass die Kirche wieder stehen werde, "wo sie gestanden ist". Worte, die Trost spenden sollen. Doch Geologe und Sozialwissenschaftler Marcos Buser sieht darin vor allem Zweckoptimismus: "Den Ort Blatten wird es so, wie er war, nicht mehr geben. Man kann das woanders wieder aufbauen, an andere Orte ausweichen. Aber nicht mehr an der gleichen Stelle, diese Massen werden nicht mehr weichen", sagte er dem Nachrichtenportal "20 Minuten".
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Der Grund: Die gewaltigen Gesteinsmassen lassen sich kaum entfernen. Laut Buser kostet allein das Verladen eines Kubikmeters Geröll zwischen zwei und drei Franken (ca. zwei bis drei Euro), der Transport zur nächsten geeigneten Ablagestelle noch einmal ähnlich viel. Bei den enormen Mengen an Material, die das Tal nun füllen, summieren sich die Kosten ins Untragbare. Deshalb ist für Buser klar: Der Schutt wird bleiben – Blatten kann an diesem Ort nicht wiedererrichtet werden.
Nächste Gefahr braut sich nach dem Gletscherabbruch zusammen
Die Bevölkerung war bereits am 19. Mai vorsorglich evakuiert worden – ein Schritt, der laut Buser viele Menschenleben gerettet hat. Der Krisenstab habe frühzeitig reagiert, die Gefahr erkannt und das richtige Szenario einkalkuliert. Auch der drohende Gletscherabbruch sei beobachtet worden.
Die nächste große Sorge gilt nun dem Fluss Lonza. Der ist durch das abgerutschte Gestein gestaut worden – und damit entsteht ein gefährlicher Druck. Sollte sich das Wasser Bahn brechen und den natürlichen Damm mitreißen, droht ein sogenannter Murgang, also eine Schlamm- und Gerölllawine, die sich über mehrere Kilometer ins Tal ergießen könnte. Solche Ereignisse gab es laut Buser bereits früher – mit verheerenden Folgen.
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Am Donnerstagmorgen hat sich bei Blatten ein See gebildet, sagte Michel Ebener, Informationschef Regionaler Führungsstab Lötschental zum "Walliser Boten". Die Situation in Blatten sei dramatisch.
"Die Lonza und der Dorfbach Gisentella haben sich zu stauen begonnen", so Ebener. In den Gemeinden Wiler und Kippel wurden gefährdete Gebiete evakuiert, um Schäden im Falle einer Flutwelle zu verhindern.
Evakuierungspläne für nächste Schweizer Gemeinde
Auch in der Gemeinde Gampel-Steg wird die Evakuierung vorbereitet, falls sich die Lage zuspitzt.
Laut Buser ist jetzt entscheidend, dass der Fluss kontrolliert abgeleitet wird. Die Einsatzkräfte sollen dafür so bald wie möglich einen künstlichen Durchfluss schaffen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass keine weiteren Felsmassen nachrutschen.
Blatten braucht Hilfe
Gleichzeitig geht es auch um schnelle Hilfe für die betroffenen Menschen. Kanton und Bund, aber auch der Lotteriefonds, müssten zeigen, dass sie die Bevölkerung in dieser schwierigen Lage nicht im Stich lassen.
Trotz der dramatischen Lage glaubt Buser an eine Chance für die Gemeinde. Die kommenden Monate würden für die Menschen aus Blatten sehr hart werden, der Verlust des eigenen Zuhauses wiege schwer. Doch es gebe auch Potenzial für Zusammenhalt: Wenn es gelinge, das Dorf an einem neuen Ort gemeinsam wiederaufzubauen, könne das eine starke, verbindende Erfahrung sein.
- 20min.ch: "Liveticker: Medienkonferenz zum Bergsturz in Blatten VS"
- srf.ch: "Gletscherabbruch – Sorge vor Murgang nach Bergsturz: Armee ins Tal unterwegs"
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