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China: Raffinierte Taktik gegen den Westen – jetzt geht gar nichts mehr


Tagesanbruch
Jetzt geht gar nichts mehr

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 13.10.2023Lesedauer: 7 Min.
Meinung
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IWF-Zentrale in Washington (Archivbild).Vergrößern des Bildes
IWF-Zentrale in Washington (Archivbild). (Quelle: imago images)

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser,

falls Sie abergläubisch sind, bleiben Sie bitte liegen. Ziehen Sie die Bettdecke bis über die Ohren und verharren Sie so bis heute Abend. Dann kann Ihnen eigentlich nichts passieren. Sollten Sie jedoch zur glücklichen Schar derer gehören, denen Kombinationen aus Wochentagen und Zahlen nichts anhaben können: Glückwunsch, dann starten Sie mit mir beschwingt in den Tag! Denn auch an diesem Freitag, den 13., gibt es Wichtiges da draußen in der Welt.

Zum Beispiel gibt es viele Maßstäbe für Macht. Einer ist der Zorn. Schaut man aus dem Fenster und erblickt draußen Hundertschaften von Polizisten, Schulter an Schulter und Schild an Schild, während Demonstranten die Straßen füllen, Steine fliegen und Wasserwerfer spritzen, sollte man sich als mächtiger Macher vielleicht die Frage stellen, ob man seine Sache richtig macht. An einem aber kann kein Zweifel bestehen: Wo vor der Tür so viel Zoff herrscht, muss man sich um die eigene Relevanz keine Sorgen machen.

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Aufruhr und Protest sind für die Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds und seiner Schwesterorganisation, der Weltbank, bisher ständige Begleiter gewesen. Zur Jahrtausendwende musste die Mega-Konferenz der Finanzgiganten sogar mal vorzeitig beendet werden – so sehr lief der Zoff auf der Straße aus dem Ruder. In dieser Woche sind die hohen Herrschaften wieder zu ihrer alljährlichen Beratung zusammengekommen: Sie treffen sich im marokkanischen Marrakesch, Finanzminister Christian Lindner und Bundesbank-Chef Joachim Nagel sind auch dabei.

Draußen vor der Tür allerdings herrscht tote Hose. Das liegt nicht nur daran, dass der Polizeistaat Marokko mit Demonstranten nicht viel Federlesens macht. Weltbank und Währungsfonds, einst als Bastion des Raubtierkapitalismus geschmäht und als Werkzeug der Imperialisten in Washington verteufelt, bringen die Gemüter nicht mehr in Wallung. Die Freude darüber dürfte sich in den Konferenzsälen allerdings in Grenzen halten. Denn der Friede vor den Toren ist kein Zeichen dafür, dass die mächtigen Institutionen sich heute größerer Akzeptanz erfreuen. Im Gegenteil: Das mangelnde Interesse ist das Symptom einer Krise, angesichts derer den Protestierenden vergangener Generationen vor Staunen der Pflasterstein aus der Hand fallen würde.

Währungsfonds und Weltbank sind schon immer ungleiche Zwillinge gewesen. Good Cop und Bad Cop, harte Hunde hier und Softies dort: So könnte man die Aufgabenverteilung beschreiben, wenn man ein bisschen gemein sein will. Der Internationale Währungsfonds, kurz IWF, ist für das knallharte Geschäft zuständig. Staaten, deren Finanzen in schweres Fahrwasser geraten sind, hoffen auf rettende IWF- Kredite als letzten Anker. Der Währungsfonds rückt die Kohle rüber, wenn niemand sonst es mehr tut. In höchster Not ist er die einzige Alternative zu Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit, leeren Regalen und Tankstellen ohne Benzin, zu Hunger und dem Staatszerfall. Allerdings ist die Hilfe an harte Auflagen geknüpft.

Die Kollegen von der Weltbank sind dagegen handzahmer unterwegs und rücken auf den Besprechungstischen lieber Räucherstäbchen und Klangschalen zurecht. Sie sind für Armutsbekämpfung und langfristige Entwicklung, Perspektiven und den Weg zu einem besseren Leben zuständig (jedenfalls sehen sie selbst ihre Arbeit so). Von einer internationalen Institution wie der Weltbank würde man erwarten, dass sie ihre Arbeit neutral und ausgewogen erledigt und für ihr edles Bestreben mit weltweiter Akzeptanz belohnt wird. Eigentlich.

Tatsächlich wird jedoch nicht nur der IWF, sondern auch die Weltbank als Vehikel westlicher Interessen wahrgenommen. Denn was der Fonds und die Bank tun und wem sie Geld gewähren, bestimmen die Staaten mit den größten Stimmrechten in den Leitungsgremien. Dort ist der Westen nicht nur krass überrepräsentiert – die USA verfügen sogar über ein Veto. Gegen den Willen Washingtons fließt also kein Cent. Gleichzeitig lotst das Weiße Haus so manchen Dollar an amerikanische Kumpelstaaten, die eher in die Kategorie zwielichtig fallen. Kein Wunder also, dass vor allem linke Gruppen gegen die kapitalistischen Zwillinge mobil gemacht haben, als ginge es gegen Teufel und Beelzebub.

Doch die Welt ist komplizierter geworden und die Durchsetzung westlicher Interessen auch. Die Weltbank hat als nicht neutraler Entwicklungshelfer mittlerweile mächtige Konkurrenz bekommen. Die kommt unter dem Namen "Neue Seidenstraße" daher: China baut in Asien und Afrika Straßen und Häfen, zieht Städte hoch und bezahlt sie auch noch. Geschenkt ist das allerdings nicht. Denn in den Nehmerländern werden die Segnungen nicht nur mit Zinszahlungen, sondern auch mit politischem Einfluss vergütet. So errichtet Chinas Staatschef Xi Jinping rund um den Globus seinen Gegenentwurf zur westlich dominierten Weltordnung. Das könnte man im Sinne einer multipolaren Weltordnung sogar beklatschen – würde in Peking ein Demokrat regieren und nicht ein Diktator, der über Leichen geht.

Die Systemkonkurrenz des Westens und der chinesischen Staatskapitalisten hat sich in der Entwicklungshilfe also längst eingenistet. Ihre volle, zerstörerische Wucht entfaltet die Rivalität von West und Ost aber erst dort, wo der Internationale Währungsfonds zu Werke geht: in den am schlimmsten gebeutelten Krisenstaaten der Erde. Der Fonds verfügt über rettende Ressourcen in enormem Ausmaß – aber er zahlt sie nicht aus. An Nachfrage mangelt es nicht: Staaten wie der Libanon oder Sri Lanka stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Menschen dort tun es auch. Doch der erlösende Geldregen des IWF wird blockiert – und zwar von China. Peking weigert sich, den Pleitegeiern einen Teil ihrer Schulden zu erlassen, wie es sonst in diesen Fällen üblich wäre. Ohne Schuldenerlass springt der IWF aber gar nicht erst ein. Stattdessen bietet China immer öfter seine eigene Notfallhilfe an, ohne das an die große Glocke zu hängen. Auch Geld aus den arabischen Golfstaaten macht der IWF-Finanzfeuerwehr Konkurrenz. Über die Details dieser Deals ist kaum etwas bekannt, aber sicher ist, dass sich die Geber damit erheblichen Einfluss verschaffen.

Die Welt verändert sich. Die vom Westen dominierte Finanzordnung befindet sich auf dem Rückzug, was beim Jahrestreffen von Weltbank und Währungsfonds in Marokko für erheblichen Diskussionsbedarf sorgt. Eines allerdings ist beim Alten geblieben: Diejenigen, auf deren Rücken das Ringen der Systeme ausgetragen wird, haben dabei nicht viel zu lachen. Die Rivalität der Weltmächte trifft jene Nationen am härtesten, in denen die Not am größten ist. Und die Folgeprobleme beschäftigen dann auch uns hierzulande: Elend, Flüchtlinge, Terrorismus. Das Rettungssystem des Währungsfonds war früher nicht über Kritik erhaben, hat aber das Schlimmste verhindert. Jetzt funktioniert es gar nicht mehr. Die imposante Institution von einst ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Eigentlich schade, dass in Marrakesch nicht mal mehr jemand demonstriert.

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Klappt der Pakt?

Als Olaf Scholz Anfang September im Bundestag erstmals den Begriff "Deutschlandpakt" bemühte, dachte er an schnellere Genehmigungsverfahren für Stromtrassen, Brücken und Windräder. An eine gemeinsame, überparteiliche Kraftanstrengung von Bund und Ländern für Bürokratieabbau und Modernisierung. Wenn der Kanzler heute Abend CDU-Chef Friedrich Merz sowie die Ministerpräsidenten Boris Rhein und Stephan Weil empfängt, soll es um genau diesen Deutschlandpakt gehen – allerdings hat sich das Verständnis dessen, was damit gemeint ist, stark verändert: "Krisengipfel zur Migration" wäre nun wohl ein passenderes Etikett. War die Forderung nach einer rigideren Asylpolitik bislang vor allem von Unionsseite vorgetragen worden, so hat nach den AfD-Erfolgen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen auch die aufgeschreckte Ampelkoalition den Handlungsbedarf erkannt. Innenministerin Nancy Faeser hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Abschiebungen von Asylbewerbern erleichtern soll. Und Olaf Scholz scholzt in gewohntem Kauderwelsch von einem "Thema, wo der Staat zeigen muss, dass er auch Dinge unter Kontrolle hat".

Halbwegs gute Voraussetzungen also für einen Deutschlandpakt zumindest in der Einwanderungspolitik? Nun ja, die Länderchefs, die von zweitägigen Beratungen aus Frankfurt nach Berlin kommen, werden zunächst einmal ihre Forderungen nach mehr Bundesgeld für die Flüchtlingskosten vortragen – und dann mal weitersehen.


Baerbock und die Bürokratie

Gestern war US-Außenminister Blinken zum Solidaritätsbesuch in Israel, heute folgt Annalena Baerbock: "Im Rahmen ihrer aktuellen Krisendiplomatie" werde die deutsche Außenministerin in das von der Hamas angegriffene Land reisen, teilte das Auswärtige Amt mit. Eher kann man darin wohl den Versuch sehen, von den deutschen Unzulänglichkeiten abzulenken: Die Außenministerin und ihr Botschafter Steffen Seibert waren ersichtlich überfordert, schnelle Rückflüge für deutsche Staatsbürger aus Israel zu organisieren. Nach tagelangem Bürokratiespektakel sind die ersten 370 Reisenden nun aus Tel Aviv heimgebracht worden.


Die Ampel und das Gift

Noch bis Mitte Dezember ist das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat in der EU zugelassen, für die Zeit danach müsste die Genehmigung erneuert werden. Die EU-Kommission hat eine Verlängerung bis 2033 vorgeschlagen und braucht dafür die Zustimmung von mindestens 55 Prozent der EU-Staaten, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Wenn der zuständige Ausschuss heute Mittag in Brüssel darüber abstimmt, gilt es als unwahrscheinlich, dass Deutschland dafür votiert – obwohl die Ampelleute auch in dieser Frage wie immer uneinig sind. "Die Machtbalance zwischen Konzernen und Politik hat sich gefährlich verschoben", meint der Chef der Deutschen Umwelthilfe im Gespräch mit meiner Kollegin Nicole Sagener.


Lesetipps

Was unser Reporter Daniel Mützel aus Israel berichtet, ist erschütternd: Im Kibbuz Gvulot hat er den Familienvater Gilad Korngold getroffen, der seit dem Terrorangriff der Hamas acht Verwandte vermisst. Warum der Israeli nun ausgerechnet auf Deutschland hofft, hat mein Kollege eindrucksvoll aufgeschrieben.


Mehrheitlich verurteilen die Staaten der Welt die Gräuel der Hamas-Terroristen. Anders China: Peking verfolgt knallhart eigene Interessen, berichtet mein Kollege Patrick Diekmann.


Ukraine, Israel, Afghanistan: Ist Deutschland für die vielen Krisen gewappnet? Der Militärexperte Carlo Masala bezweifelt das im Interview mit meinem Kollegen Marc von Lüpke.


Ohrenschmaus

Brauchen Sie heute Morgen etwas Beflügelndes? Bitte sehr.


Zum Schluss

Was sagt Christian Lindner zu seinem Psychiater?

Ich wünsche Ihnen einen gesunden Tag.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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