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Attentat vom 20. Juli 1944: Die umstrittensten "Verräter" in der deutschen Geschichte


Die umstrittensten "Verräter" der deutschen Geschichte

dpa, afp, Beatrice Clasmann

20.07.2019Lesedauer: 5 Min.
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Claus Schenk Graf von Stauffenberg: So plante der Wehrmachtsoffizier vor 75 Jahren sein Attentat auf Adolf Hitler. (Quelle: t-online)
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Am 20. Juli 1944 scheiterte das Attentat auf Adolf Hitler, bis heute debattiert die Bundesrepublik, wie sie die beteiligten Militärs bewerten soll. Auch die AfD versucht, Graf von Stauffenberg zu vereinnahmen.

Er hatte alles gewagt – und verloren. In der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 starb Claus Schenk Graf von Stauffenberg durch die Kugeln eines Exekutionskommandos. Stunden nachdem der Offizier versucht hatte, den Diktator Adolf Hitler im ostpreußischen Führerhauptquartier Wolfsschanze mit einer Bombe zu töten. Das Attentat vom 20. Juli 1944 war damit endgültig gescheitert. Krieg und Holocaust gingen weiter, während die Gestapo die Männer und Frauen des Widerstands unbarmherzig verfolgte.

"Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch-dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet", so wandte sich Hitler an die Deutschen. Viele Menschen glaubten dieser Behauptung, vor allem für Soldaten galten Stauffenberg und seine Mitverschwörer als "Verräter" und "Eidbrecher".

Ein Schicksal, das Stauffenberg selbst erahnt hatte. Vor dem Attentat sinnierte er: "Derjenige allerdings, der etwas zu tun wagt, muß sich bewußt sein, daß er wohl als Verräter in die deutsche Geschichte eingehen wird." Um dann zu dem Schluss zu kommen: "Unterläßt er jedoch die Tat, dann wäre er ein Verräter vor seinem eigenen Gewissen."

Umstritten bis in die heutige Zeit

In der Bundesrepublik wird bis in die Gegenwart über die Attentäter des 20. Juli und ihre Motive diskutiert. Nicht darüber, dass ihre Tat persönlichen Mut erforderte. Aber: Demokraten im heutigen Sinne finden sich eben nur sehr wenige unter den Männern und Frauen, die im Widerstand gegen die Nationalsozialisten ihr Leben riskiert haben. Vor allem in bürgerlichen Kreisen, im Adel und unter den Offizieren der Reichswehr gab es viele, die mit den Nazis zunächst auch große Hoffnungen verbanden – etwa mit Blick auf die Überwindung des als Demütigung empfundenen Vertrags von Versailles.

Darüber, ob die Angehörigen des militärischen Widerstands heute trotzdem zum Vorbild taugen oder nicht, ist jetzt eine ganz aktuelle Debatte entbrannt. Befeuert wird dieser Streit von mehreren neuen Publikationen, die sich vor allem mit der Motivation Stauffenbergs auseinandersetzen. Ging es ihm darum, eine bedingungslose Kapitulation zu verhindern oder gar um die eigene heroische Tat? Handelte er, der als ranghoher Militär viel wissen musste über die Verbrechen des Regimes, aus religiöser Überzeugung und Verantwortungsgefühl?

Für das Traditionsverständnis der Bundeswehr hat der militärische Widerstand bis heute große Bedeutung. Denn wie Stauffenberg, Generalmajor Henning von Tresckow und andere Militärs, die dem verbrecherischen NS-Regime den Gehorsam verweigerten, so sollen auch die Soldaten der Bundeswehr als Bürger in Uniform selbst verantwortungsbewusst denken und nicht blind Befehlen folgen.

Angela Merkel hat sich in Hinsicht auf Stauffenberg und seine Mitverschwörer mittlerweile deutlich geäußert. Die Bundeskanzlerin bezeichnete die Akteure des 20. Juli als Vorbild: "Denn sie haben gezeigt, dass sie ihrem Gewissen folgen, und damit haben sie einen Teil der Geschichte Deutschlands geprägt, der ansonsten durch die Dunkelheit des Nationalsozialismus bestimmt war." Zugleich betonte die Regierungschefin: "Auch wir sind heute verpflichtet, uns allen Tendenzen entgegenzustellen, die die Demokratie zerstören wollen."

"Ein politischer Kopf?"

Es gibt weitere Äußerungen zu Stauffenbergs Bewertung. Gut zwei Wochen vor dem 75. Jahrestag des Attentats auf Hitler hatte sich der Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, zum Streitgespräch mit dem Buchautoren Thomas Karlauf getroffen. Karlaufs Biografie "Stauffenberg. Porträt eines Attentäters" hatte zuletzt für einigen Wirbel gesorgt. Tuchel hielt Karlauf, der in seinem Buch den großen Einfluss des 1933 verstorbenen Dichters Stefan George auf Stauffenberg betont, entgegen, der spätere Attentäter sei anderen Annahmen zum Trotz sehr wohl "ein politischer Kopf" gewesen.

Da die Protagonisten des militärischen Widerstands hingerichtet wurden und auch aus dem mit ihm verbundenen "Kreisauer Kreis", der politisch-gesellschaftliche Pläne für eine Nachkriegsordnung erarbeitete, nur wenige überlebten, sind bis heute nicht alle Fragen, die Historiker interessieren, beantwortet. Vor allem die Frage, was die Verschwörer wann über die Ermordung der Juden in den Konzentrationslagern wussten, und inwieweit sie dieses Wissen bei ihren Überlegungen leitete, konnte nicht abschließend geklärt werden.

Empörung über die AfD

Regelrecht empört zeigte sich Tuchel bei der Diskussion mit Karlauf über die von ihm beobachtete Vereinnahmung Stauffenbergs durch die AfD und die sogenannte Neue Rechte, die in ihrer Fundamentalopposition gegenüber den etablierten Parteien oft von "Widerstand" spricht. Die Thüringer AfD-Landtagsfraktion hatte vor zwei Jahren das Konterfei Stauffenbergs mit dem Spruch "Der echte Antifaschismus hat keine bunten Haare" veröffentlicht.

Tuchel äußerte sich dazu mit den Worten: "Nee, ihr seid nicht im Widerstand. Dies ist etwas anderes als Widerstand in einer totalitären Diktatur." Es sei zudem eine "Unverschämtheit", dass die von dem christlichen Widerstandskämpfer Josef Wirmer für ein neues Deutschland entworfene Flagge heute auf den Kundgebungen des ausländerfeindlichen Pegida-Bündnisses in Dresden geschwenkt werde. "Dieses Symbol, das für Demokratie und für die Wiederherstellung des Rechtsstaates steht", so Tuchel, dürfe nicht vereinnahmt werden von Menschen, die intolerant seien und "die ein anderes autoritäres Gesellschaftsbild haben."

Ähnlich hatte sich zuvor auch Sophie von Bechtolsheim, eine Enkeltochter Stauffenbergs, geäußert. Sie hatte im Juni das Buch "Stauffenberg – mein Großvater war kein Attentäter" veröffentlicht. Mit dem Titel will die Autorin ausdrücken, dass es ihrem Vorfahren nicht um die Tat selbst gegangen sei, sondern darum, eine neue Ordnung in Deutschland zu etablieren. Um den Preis des eigenen Lebens und der Gefahr des Scheiterns.

Nicht nur Offiziere leisteten Widerstand

Denn Stauffenberg war als Attentäter keine ideale Besetzung. Das Hantieren mit dem Zünder des für Hitler bestimmten Sprengstoffs war für ihn aufgrund seiner Kriegsverletzung nicht leicht. Er hatte 1943 in Tunesien ein Auge, eine Hand, sowie mehrere Finger der anderen Hand verloren. Außerdem sollte er zugleich als treibende Kraft auch den Umsturz von Berlin aus vorantreiben. Deshalb flog er am Tag des Attentats, direkt nachdem er den Sprengsatz deponiert hatte, in die Hauptstadt zurück. Dass letztlich er derjenige war, der den Sprengsatz zündete, war auch dem Umstand geschuldet, dass sich unter denen, die Zugang zu Hitler hatten, kein anderer fand, der bereit gewesen wäre, das Attentat auszuführen.


Die Bundesrepublik wird sicher noch lange um die Bewertung des militärischen Widerstands debattieren. Aber auch angesichts der Bedeutung des Attentats vom 20. Juli 1944 darf allerdings eines nicht vergessen werden: Es gab viele andere Menschen und Gruppen, die im Nationalsozialismus Widerstand leisteten. Darunter etwa die Geschwister Scholl und die Weiße Rose, das Netzwerk, dem die Nazis den Namen "Rote Kapelle" gaben und nicht zuletzt den Arbeiter Georg Elser, der schon 1939 eine Bombe gezündet hatte, die Hitler töten sollte.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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