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Weihnachten: Als der Weihnachtsmann noch Blau trug


Fund in den USA
Als der Weihnachtsmann noch Blau trug


Aktualisiert am 22.12.2019Lesedauer: 4 Min.
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Blauer Weihnachtsmann: Die kleine Figur wurde bei Ausgrabungsarbeiten in Akron, Ohio entdeckt.Vergrößern des Bildes
Blauer Weihnachtsmann: Die kleine Figur wurde bei Ausgrabungsarbeiten in Akron, Ohio entdeckt. (Quelle: The American Toy Marble Museum Akron, Ohio, USA)

Rot ist die Farbe des Weihnachtsmannes – oder nicht? In den Überresten einer alten, abgebrannten Spielzeugfabrik in den USA bargen Forscher Spielzeug-Weihnachtsmänner. Eine Überraschung in Blau.

Es gibt tatsächlich einen Ort, an dem der Weihnachtsmann zu Hause ist. Ein Ort, an dem er sogar geboren wurde – oder zumindest zum ersten Mal auftauchte. Ein Ort, an dem Tausende von Händen damit beschäftigt waren, Geschenke für Kinder herzustellen. Nein, es ist nicht der Nordpol.

Es ist die Stadt Akron im US-Bundesstaat Ohio. Mehr als 170 Spielzeugfabriken hatten hier im Laufe der vergangenen 135 Jahre ihren Sitz, die meisten von ihnen spezialisiert auf Gummi- und Plastikprodukte. Und in einer von ihnen, der American Marble & Toy Manufacturing Company, erblickte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der ersten Spielzeug-Weihnachtsmänner das Licht der Welt.

Durch Zufall gefunden

Die nur etwa sechs Zentimeter große Figur aus salzglasierter Keramik, die heute im American Toy Marble Museum in Akron steht, ist die älteste bekannte dreidimensionale Darstellung des amerikanischen Santa Claus.
Gefunden hat die kleine Figur der Archäologe Bill Graham 2006 bei einer Ausgrabung auf dem alten Gelände der American Marble & Toy Manufacturing Company, inmitten von Murmeln, Katzen, Hunden, kleinen Tonkrügen und sogar Schuhen aus Keramik.

Ein Wunder, dass er den Weihnachtsmann erkannt hat, denn der kleine Kerl trägt nicht etwa den typischen roten Mantel, sondern ist ganz in Blau gehüllt. Zum einen mag das daran liegen, dass es im Jahr 1904 als die Spielzeugfabrik abbrannte und der Weihnachtsmann unter die Erde kam noch keine rote Salzglasur gab, sondern lediglich die Farben Braun, Schmutziggelb, Grünlichblau und eben Blau zur Auswahl standen.

Zum anderen aber wäre er mit einem roten Mantel seiner Zeit auch weit voraus gewesen. Denn den trägt er erst, seit der Zeichner Haddon Sundblom ihn in den 1930er-Jahren für die Coca-Cola-Werbung in diesem Gewand porträtierte. Das behauptet zumindest die Coca-Cola Company.

Farblich nicht festgelegt

Auch der Getränkehersteller White Rock Beverages würde den ikonischen roten Mantel gern als seine Erfindung beanspruchen. Schließlich warb ein rot gewandeter Santa Claus bereits 1923 für das White Rock Ginger Ale und sogar schon 1915 für das einfache Mineralwasser der Firma.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedenfalls hatte der Weihnachtsmann noch mehr Mäntel im Schrank hängen als nur den roten. In der ersten illustrierten Ausgabe von Charles Dickens’ "A Christmas Carol" von 1843 trug er Grün, in Russland als Väterchen Frost ein kühles Blau und 1863 hüllte er sich gar anlässlich des amerikanischen Bürgerkrieges für die Zeitschrift "Harper’s Weekly" in die Sterne und Streifen der US-Flagge.

Ebenso abwechslungsreich und vielfältig wie seine Garderobe war damals noch sein Charakter. Seinen Ursprung hat die Gestalt, die wir heute als gutmütigen, dicklichen, älteren Mann kennen, in der lykischen Stadt Myra, in der türkischen Provinz Antalya. Dort lebte im 4. Jahrhundert ein – der christlichen Ikonografie zufolge – allerdings recht abgemagerter Heiliger mit Namen Nikolaus. Der steckte der Legende nach den Kindern der Stadt Münzen oder andere kleine Überraschungen in die Schuhe und zahlte die Mitgift für Töchter verarmter Christen, damit diese heiraten konnten und nicht als Prostituierte ihr Leben fristen mussten.

Zu seinem Namenstag, dem 6. Dezember, bekamen ihm zu Ehren noch das ganze Mittelalter hindurch Kinder kleine Geschenke zugesteckt – bis Martin Luther mit der Reformation die Heiligenverehrung unpopulär machte und die Geschenkegeberei stattdessen oftmals zunächst auf den Geburtstag des Herrn verlegt wurde.

In der Neuen Welt angekommen

Überlebt hat der Heilige Nikolaus trotzdem, in der Gestalt des niederländischen Sinterklaas, des russischen Väterchen Frost, des britischen Father Christmas und des französischen Père Noël. In diesen Identitäten kam er mit den Geschichten und Traditionen der Auswanderer auch in die Neue Welt. Dort nahm er deutlich zu – weniger durch die gute Ernährung als vielmehr durch die Feder des Schriftstellers Washington Irving, der ihn in seiner 1809 erschienenen "History of New York" als dickbäuchigen, Pfeifchen schmökenden Wohltäter skizzierte.

Das war die Ausgangslage, als kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert die American Marble & Toy Manufacturing Company die kleine, blau gewandete Figur in ihr Produktionsprogramm aufnahm. Das meiste Geld verdiente die Firma allerdings mit Murmeln. Ihr Gründer, Samuel C. Dyke, hatte den Spielzeugmarkt revolutioniert, als er eine Maschine erfand, mit der sich die Keramikkugeln in Massenproduktion herstellen ließen.

Dadurch fielen die Preise dramatisch – für nur einen Penny bekam man plötzlich eine ganze Handvoll Murmeln. "Commies" nannten die Kinder die Fließbandmurmeln, weil sie bald die "most common" – die am häufigsten vorkommenden – Murmeln neben den seltenen, weil teureren Glasmurmeln waren. Dyke baute mit den Kugeln ein Imperium auf. Tag für Tag rollten eine Million Murmeln aus den Toren der American Marble & Toy Manufacturing Company in die Welt hinaus, genug, um fünf Güterwaggons damit zu füllen.

Imperium aus Spielwaren

Bald war die Firma die größte Spielzeugfabrik der USA. Der Erfolg zog weitere Unternehmer an und machte Akron zur Hochburg der amerikanischen Spielzeugindustrie. Zu den Murmeln kamen weitere Spielzeuge hinzu, vornehmlich sogenannte Pennytoys, billige Figürchen aus Ton. Kleine Tiere, Haushaltsgegenstände – und auch der kleine Weihnachtsmann in seinem blauen Mantel.

Den guten Erhaltungszustand verdankt der blaue Santa Claus dem tragischen Ende der Spielzeugfabrik. 1904 ging die American Marble & Toy Manufacturing Company in Flammen auf. "Das war zwar ein trauriges Ereignis, aber ein Glückstag für die jungen Murmelsammler der Stadt", kommentiert Michael Cohill, Direktor des American Toy and Marble Museums, der gemeinsam mit Ausgräber Bill Graham die Geschichte der Figur recherchierte.

Denn kaum waren die rauchenden Ruinen wieder betretbar, stromerten die Kinder der Stadt durch die Trümmer. "Am nächsten Morgen kamen sämtliche kleine Jungs von Akron und füllten sich die Hosentaschen mit Murmeln." Am Ende musste die Polizei kommen, die Kinder verjagen und die verkohlten Reste der Fabrik zuschütten, um weitere Beutezüge zu vereiteln.


Versiegelt unter der Erdschicht überdauerten die Murmeln, die Pennytoys und der kleine Weihnachtsmann in seinem blauen Mantel die Jahrzehnte. "Es ist ein Wunsch-Weihnachtsmann", erklärt Cohill. "Mann kann ihn in die Hand nehmen, sich ganz fest etwas wünschen – und zu Weihnachten geht es dann in Erfüllung."

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