Diskriminierung im "Selection Fitness"? Muslima soll vor Gericht ihren Glauben beweisen

Gegen das Fitnessstudio Selection Fitness läuft ein Gerichtsverfahren. Die Klägerin, eine zum Islam konvertierte Herzogenratherin, wirft den Betreibern Diskriminierung vor. Vor Gericht sollte sie beweisen, dass sie eine "echte Muslima" ist.
Das Selection Fitness in Herzogenrath ist Lara Seilers allererstes Fitnessstudio gewesen. Mehr als zehn Jahre lang trainierte sie dort regelmäßig. Mit 18 Jahren meldete sie sich an – damals trug sie noch kein Kopftuch. Heute, mit 29 Jahren, sieht sich Seiler als Klägerin in einem laufenden Gerichtsverfahren gegen das Studio wieder. Sie wirft den Betreibern Diskriminierung vor – der Fall wurde bis Montag, 28. April, vor Gericht verhandelt. Das Urteil in dem Fall wird am 19. Mai erwartet.
Lara Seiler, die eigentlich anders heißt, ist mit 26 Jahren zum Islam konvertiert. Ein Jahr später hat sie für sich die Entscheidung getroffen, auch das Kopftuch zu tragen. Probleme habe es deswegen in ihrem Alltag keine gegeben, sagt sie. Familie und Freunde hätten zwar ein paar Fragen gehabt, hätten der heute 29-Jährigen aber auch viel Verständnis entgegengebracht. Was Diskriminierung ist, wusste die studierte Soziologin zwar; wie demütigend sie sich anfühlen kann, habe sie allerdings erst gelernt, als sie das Herzogenrather Fitnessstudio mit Kopftuch betrat.
Das Tragen eines Sport-Hijabs wurde ihr untersagt
"Es war ein Nike-Sport-Kopftuch, ganz so wie das der berühmten Boxerin und deutschen Meisterin im Federgewicht Zeina Nassar", sagt Seiler. Also ein Kopftuch, das eigens für das Training konzipiert wurde. Normalerweise, sagt sie, werde man beim Betreten des Studios freundlich gegrüßt. "An diesem Tag wurden ich und meine Cousine allerdings nur lange komisch angeschaut." Seiler konnte das nicht sofort einordnen. Sie erinnert sich aber an ein mulmiges Gefühl in der Umkleidekabine.
Als sie gemeinsam mit ihrer Cousine in Sportklamotten die Trainingsfläche betrat, kam der Trainer, der vorher nur "komisch geschaut" hatte, auf sie und ihre Begleiterin zu. Er habe auf ihr Kopftuch gedeutet und laut gesagt, dass sie das ausziehen müsse, dass sie "damit" nicht trainieren dürfe.
Selection Fitness: "Religiöse Symbole" sind nicht erlaubt
"Das Fitnessstudio war zum Bersten voll an diesem Tag. Alle haben es mitbekommen. Es war superpeinlich", sagt die Herzogenratherin. Sie fragte, wieso sie nicht im Sport-Hijab trainieren dürfe. Die Antwort, die sie bekommen habe: Weil religiöse Symbole per Hausordnung verboten seien. Um ihr die Hausordnung zu zeigen, habe der Trainer die junge Frau in sein Büro geführt. "Ich lief hinter ihm her und fühlte mich wie eine Aussätzige." Während der Trainer die Hausordnung vorlas ("Keine religiösen Symbole auf dem gesamten Trainingsgelände"), fiel ihr Blick auf die große Kreuzkette des Mannes, erinnert sich Seiler.
Eine der Frauen, die die Auseinandersetzung zwischen Seiler und dem Trainer mitbekommen hat, ist die 25-jährige Ärztin Silvie S. (Name geändert). Vor Gericht sagt sie, dass sie während der gesamten Auseinandersetzung zwischen Seiler und dem Trainer mit sich gerungen habe. Dass sie überlegt habe, einzuschreiten. Dass sie sich gewundert habe, im Selection Fitness überhaupt eine Frau mit Hijab zu sehen. Schließlich sei auch ihr schon einmal vom selben Trainer das bloße Tragen einer Kapuze untersagt worden. Die Begründung: Man wolle in dem Studio nicht, dass man durch das Fenster "vermummte Frauen" sehen könne.
Das Tragen eines Sport-Hijabs führe laut Trainer zu Überhitzung
Lara Seiler erinnert sich daran, wie der Trainer ihr erklärt hat, dass das Training im Hijab gefährlich sei. Sie könne dadurch einen Hitzschlag erleiden, habe er gesagt. Das konnte Seiler nicht nachvollziehen. Schließlich präge das Bild von Männern in Hoodies mit Kapuze den Kraftbereich unzähliger Fitnessstudios. Die Zeugin Slivie S. bestätigt das. Auch ihr Freund habe dort regelmäßig in Kapuze trainiert, ohne je gemaßregelt worden zu sein. Doch der Trainer habe sich auf keine Diskussion mit Seiler und ihrer Cousine eingelassen. Sie habe den Hijab entweder ausziehen oder umgehend das Gelände verlassen sollen. Kurz darauf wurde ihre Mitgliedschaft nach eigenen Angaben fristlos gekündigt. "Das ist ein öffentlicher Ort, für den ich seit Jahren Mitgliedsbeiträge gezahlt habe, und plötzlich wurde ich weggeschickt wie eine Straftäterin", erinnert sie sich.
Auch Seilers Cousine Miriam K. (Name geändert) erinnert sich an das Erlebnis. Bei der Zeugenbefragung vor dem Aachener Amtsgericht bestätigt sie den gesamten Vorfall. Ihr zufolge habe der Trainer den beiden jungen Frauen während der Auseinandersetzung noch gesagt: "Wir wollen so ein Klientel hier nicht haben." Der Richter fragt Miriam K.: "Wissen Sie, welches Klientel der Trainer damit meinte?" Miriam K. antwortet: "Leute wie uns." Sie wird nach einer kurzen Pause noch deutlicher: "Ausländische Mitbürger". Miriam K. ist dunkelhäutig und muslimischen Glaubens. Das Kopftuch trägt sie selbst aber nur in der Moschee. Über den Vorfall im Fitnessstudio sagt sie, dass sie schockiert gewesen sei, allerdings nicht so sehr wie Lara Seiler. Miriam sagt dem Richter: "Ich bin 38 Jahre alt. Alltagsrassismus kenne ich schon mein ganzes Leben. Ich bin abgehärtet".
Lara Seiler war nach dem Vorfall wie vor den Kopf gestoßen. "Ich kannte das damals noch nicht, für mein Aussehen diskriminiert zu werden – weil ich so ..." Sie sucht nach den richtigen Worten: "Weil ich so europäisch aussehe." Lara Seiler ist groß, hat blonde lange Haare unter ihrem Kopftuch und hat große blaue Augen.
TikTok-Video geht viral: Gleichbehandlungsbüro schaltet sich ein
Noch am selben Tag hat Seiler ein TikTok-Video aufgenommen, um öffentlich über ihre Erfahrung zu sprechen. "Und das Video ist viral gegangen", sagt sie. Tausende hätten es geteilt und kommentiert. Viele Nachrichten hätten Seiler erreicht: von Menschen, die berichteten, ähnliche Erfahrungen in einem Studio von Selection-Fitness gemacht zu haben.
Eine der Nachrichten kam vom Aachener Gleichbehandlungsbüro. Die Betreiber von Selection-Fitness hätten wegen Diskriminierung schon häufiger vor Gericht gestanden und seien deswegen auch bereits belangt worden, habe es darin geheißen. Etwa, weil sie einem Menschen aufgrund seiner Hautfarbe den Zutritt zu einem Studio verweigert hätten. Mit dem Gleichbehandlungsbüro an ihrer Seite konnte Lara Seiler überhaupt erst den Mut aufbringen, juristisch gegen Selection Fitness vorzugehen. Kräftezehrend sei das Ganze gewesen – und das sei es immer noch.
Zu einer außergerichtlichen Einigung kam es nicht
Auf die erste schriftliche Beschwerde seien die Betreiber der Studios aber nicht eingegangen. Zu einem anschließenden Schlichtungsgespräch sei der Betreiber dann mit einem Anwalt gekommen. "Und dieses Gespräch war wirklich mehr als unangenehm. Beide haben mir vorgeworfen, nur aufs Geld aus zu sein, und sind mir während des gesamten Gesprächs immer wieder ins Wort gefallen", sagt die junge Frau. Sie hätten Seiler weismachen wollen, dass sie gar nicht wisse, wovon sie spreche, wenn sie über den Islam rede. "Ich habe das Gespräch dann beendet", sagt Seiler. Und damit ging ihr Fall vor das Aachener Amtsgericht.
Geldsumme zur "Erledigung der Sache" angeboten
Noch vor dem ersten Verhandlungstag sei der 29-Jährigen vom Anwalt des Fitnessstudios eine Geldsumme zur "Erledigung der Sache" angeboten worden, sagt sie. "Ich habe das abgelehnt. Es geht mir wirklich nicht ums Geld, sondern um die Sache", so Seiler.
Doch der erste Gerichtstermin knüpfte ihr zufolge da an, wo das Schlichtungsgespräch geendet habe. Nachdem Seilers Anwältin das Überhitzungsargument mit dem Gegenargument der Eigenverantwortung entkräftet habe, habe der Anwalt des Fitnessstudios eine ganze Weile lang über die Unterdrückung von Frauen im Iran referiert.
Muss man seinen Glauben vor Gericht beweisen können?
"Das Ganze gipfelte in der These, dass ich vielleicht ja gar keine 'echte' Muslima bin", sagt Lara Seiler. "Und jetzt muss ich das beweisen. Ich muss beweisen, dass ich eine 'echte' Muslima bin – vor Gericht." Fassungslosigkeit liegt in ihrer Stimme. "Wie kann ich das beweisen? Wie kann man seinen Glauben beweisen? Und wie kann es sein, dass man das vor Gericht wirklich tun muss?"
Dirk Bach, der Anwalt des Fitnessstudios, sagte im Gespräch mit t-online, dass in einem Verwaltungsverfahren der Staat seinen Bürgern zwar einen solchen Beweis nicht abverlangen dürfe. Doch in einem zivilrechtlichen Verfahren, so der Anwalt, stehe Bürger gegen Bürger. Da sei das etwas anderes. Und schließlich müsse auch vor Gericht erst einmal bewiesen werden, dass Seiler, die erst vor einiger Zeit zum Islam konvertiert ist, doch eine "echte Muslima" sei. Seilers Anwältin Asma Safar Al-Halabi ist da anderer Meinung. Es herrsche schließlich Glaubensfreiheit und einen Glauben könne man nicht beweisen, sagte sie zu t-online. Dass die Forderung eines Beweises vor Gericht überhaupt zugelassen wurde, hält sie für fragwürdig.
Gerichtsprozess: So beweist eine Muslima ihren Glauben
Vor dem Gerichtsprozess ist Lara Seiler aufgeregt. Sie hat sich in der Moschee einen Konvertierungsschein ausstellen lassen. Ob das ausreichen wird, weiß sie nicht. Vielleicht, so sagt sie, müsse sie auch das Glaubensbekenntnis aufsagen oder ein paar Suren aus dem Koran rezitieren. "Ich hoffe jedenfalls, dass sie nicht verlangen dürfen, dass ich ihnen etwas vorbete. Das fände ich wirklich demütigend." Das Ganze fühle sich für sie an wie ein Zirkus, sagt sie. Als würde man ihr zurufen "Mach mal eine muslimische Show".
Zur Konvertierung zum Islam hat der Fitnessstudio-Anwalt Dirk Bach viele Fragen, die er an die ebenfalls muslimische Zeugin und Seilers Cousine Miriam K. richtet. "Ich hab offen gestanden keine Ahnung davon", leitet Bach den Fragenhagel ein. Ob Miriam K. auch mal Kopftuch trage, will er von der 38-Jährigen wissen. Und ob man, wenn man zum Islam konvertiere, keine Feier ausrichte. Woher sie wissen könne, dass Seiler konvertiert sei und wie oft die beiden denn in die Moschee gingen.
Ein Glaubensbekenntnis vor Zeugen reicht im Islam aus
Miriam K. antwortet ruhig: "Ich weiß nicht, wann meine Cousine konvertiert ist. Ich weiß aber auch nicht, wann ich konvertiert bin." Eine Konvertierung laufe so ab, dass man vor Zeugen das Glaubensbekenntnis (Schahada) ablegt, in dem man anerkenne, dass es keinen Gott außer Allah gibt und dass Mohammed sein Prophet ist. Dieses Bekenntnis kann formell oder informell, öffentlich oder privat, ausgesprochen werden. "Wir tragen den Tag unserer Konvertierung nicht im Kalender ein. Aber wir erzählen uns davon, freuen uns füreinander und dann gibt es Küsschen-links und Küsschen-rechts." Dirk Bach: "Dann könnte ich also hier jetzt konvertieren." Miriam K.: "Willkommen im Islam".
Neben der eigens für den Prozess ausgestellen Konvertierungs-Urkunde aus der Moschee wird auch der Sport-Hijab, den Lara Seiler aufgrund ihres neu gewählten Glaubens während des Trainings tragen wollte, als Beweis mit in die Akte aufgenommen. Ein weiterer Beweis, so entscheidet der Richter schließlich, sei nicht erforderlich. Anwalt Dirk Bach protestiert: "Meines Erachtens ist die Klägerin noch einen Beweis schuldig geblieben", sagt er. Er protestiert noch weiter und sagt, dass die Religionsfreiheit doch nicht die Beweislast ausheble. Wirft ein, dass die Konvertierungsurkunde erst viele Jahre nach Seilers Konvertierung ausgestellt wurde. Doch der Richter geht auf die Anmerkungen des Anwalts nicht mehr ein und schließt die Beweisaufnahme damit. Das Urteil wird am 19. Mai bekannt gegeben.
- Reporter vor Ort
- Gespräch mit Lara Seiler, Dirk Bach und Asma Safar Al-Halabi
- Anfrage an "Selection Fitness"