Mordprozess: Zeugen mit neuen Details "Wenn die nicht leise sind, dann sorge ich schon dafür"

Der Prozess gegen einen Pfleger des Rhein-Maas-Klinikums geht weiter. Er ist wegen neunfachen Mordes angeklagt. Am Montag sagen ehemalige Kollegen von ihm vor Gericht aus. Sie berichten von fragwürdigen Äußerungen des Angeklagten.
Ein 44-jähriger Pfleger soll auf einer Palliativstation mehrere Patienten bewusst mit Überdosen von Medikamenten getötet haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm deswegen neunfachen Mord und 34-fachen versuchten Mord vor. Die Taten sollen sich von Dezember 2023 bis Mai 2024 im Rhein-Maas-Klinikum in Würselen ereignet haben.
Am Montag (28. April) sagen ehemalige Kolleginnen und Kollegen des Angeklagten vor dem Aachener Landgericht aus – unter anderem der Pflegedienstleiter der Palliativstation sowie sein Stellvertreter.
Der stellvertretende Pflegedienstleiter sagt vor Gericht, dass er anfangs einen positiven Eindruck vom Angeklagten gehabt habe. Er sei immer freundlich gewesen, habe "gewissenhaft gearbeitet" und sei gut mit Patienten umgegangen. Über Privates habe man aber kaum gesprochen – er sei ein "Einzelgänger" gewesen, wie auch weitere Zeuginnen am Montag berichten. Bekannt sei ihm nur, dass er kürzlich geheiratet habe und einen Hund besäße, so der Stellvertreter.
Angeklagter: "Hätte die Tür zugemacht und ihn verbluten lassen"
Mit der Zeit habe sich aber sein Verhalten verändert. Besonders über jüngere Kolleginnen habe er "gelästert", dass sie nicht vernünftig arbeiteten, sagt der Stellvertreter. Eine Zeugin sagt zudem aus, dass er über sie das Gerücht in die Welt gesetzt habe, sie würde Medikamente stehlen und diese als Drogen in einem Park weiterverkaufen.
Zudem sei er zweimal bei Nachtschichten aufgetaucht, obwohl er nicht im Dienst gewesen sei, berichtet eine weitere Zeugin. Er habe dies damit begründet, den Medikamentenschrank der Station saubermachen und einen Urinbecher für seinen Hund holen zu wollen. Über eine Stunde habe er sich unbeobachtet in der Klinik herumgetrieben. Beim zweiten Mal habe sie es ihrem Vorgesetzten gemeldet – nach einer Ansprache sei er nachts nicht mehr aufgetaucht, so die Zeugin.
Ihrer Aussage zufolge habe er auch häufig bei Dienstantritt geäußert, keine Lust auf "nervige Patienten" zu haben. Einmal habe er gesagt: "Wenn die nicht leise sind, dann sorge ich schon dafür." Als einmal ein Patient fast verblutet sei, sagte er laut der Zeugin lachend: "Wenn das in meiner Schicht passiert wäre, hätte ich die Tür zugemacht und ihn verbluten lassen."
"Große Mengen" an Midazolam machen Mitarbeiter stutzig
Seine Worte seien anfangs belächelt worden, sagt die Zeugin. Der Verdacht, dass etwas nicht stimmt, sei den Mitarbeitern erst später gekommen. Nach Nachtschichten des Angeklagten habe man oft mehrere Patienten morgens kaum aufwecken können. Eine am Vortag noch "sehr lebendige Frau" sei am nächsten Morgen "halbtot" gewesen, so die Zeugin. Ein Patient berichtet davon, nachts mit etwas gespritzt worden zu sein, wovon er nicht wisse, was es sein soll.
Wie sich später herausstellte, handelte es sich dabei um Midazolam – ein starkes Beruhigungsmittel, das bei zu hoher Dosierung zu Bewusstlosigkeit und Atemdepression führen kann. In der Regel werde dies Patienten nur in kleinen Mengen bis zu 5 Milligramm verabreicht, so die Zeugin. Den Mitarbeitern sei kurz vor dem Pfingstwochenende 2024 in den Protokollen und Unterlagen aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Mal sei die Dosierung viel zu hoch, mal überhaupt nichts eingetragen gewesen.
Wie der stellvertretende Pflegedienstleiter aussagt, sei er besonders stutzig geworden, als "große Mengen" an 15 Milligramm-Ampullen Midazolam bestellt worden, viele aber nicht auffindbar gewesen seien. Derartige Ampullen würden eigentlich nur in seltenen Fällen gebraucht werden, weswegen die Menge keinen Sinn ergeben habe. Kurze Zeit später hätten Mitarbeiter mehrere solch leerer Ampullen im Spritzen-Abfallbehälter entdeckt. Man habe alles dokumentiert und am Pfingstsamstag (18. Mai) telefonisch die Pflegedienstleitung informiert.
Angeklagter Pfleger in Aachen: "Ich wollte den Patienten doch nur helfen"
Der Pflegedienstleiter berichtet vor Gericht, dass er auf Rufbereitschaft gewesen und nach dem Anruf sofort in die Klinik gefahren sei. Dort habe er sich am Abend mit seinem Stellvertreter getroffen und den angeklagten Pfleger vor seiner Nachtschicht abgefangen. Man habe ihn dann mit den Vorwürfen konfrontiert. Dem Pflegedienstleiter habe der Angeklagte daraufhin gesagt, dass er Midazolsam gerne einsetze, um das "Leid der Patienten zu lindern". Auf die Frage, warum er vor einer höheren Dosierung, wie es eigentlich vorgeschrieben ist, keinen Arzt um Rat gefragt habe, habe der Angeklagte gesagt, dass er die Ärzte nicht nerven wollte, so der Pflegedienstleiter.
Sein Stellvertreter beschreibt das Gespräch gegenüber Richter Vogt noch genauer. Der vorher selbstbewusste Angeklagte habe mit gesenktem Kopf sowie gefalteten Händen ihnen gegenüber gesessen und mit "zitternder Lippe" gesagt: "Ich wollte den Patienten doch nur helfen. Ich bin kein Euthanasie-Pfleger." Das habe beim Stellvertreter ein komisches Gefühl verursacht. "Es wirkte schon fast Psycho auf mich", sagt er vor Gericht. Der angeklagte Pfleger sei vom Dienst freigestellt worden, seine Nachtschicht habe er nicht mehr angetreten.
Als Reaktion auf die Vorkommnisse habe man mittlerweile das anonyme Meldesystem "CIRS" in der Klinik integriert, sagt der Pflegedienstleiter. Die Mitarbeiter seien sensibilisiert worden, "Augen und Ohren" offenzuhalten, um derartige Fälle in Zukunft zu verhindern.
Am Mittwoch werden weitere Zeugen vor dem Aachener Landgericht aussagen. Ende März hatten sich bereits seine ehemaligen Kollegen einer Klinik in Köln-Merheim, wo er vor seiner Tätigkeit am Rhein-Maas-Klinikum gearbeitet hatte, über ihn geäußert. Auch dort ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen mutmaßlicher Morde an Patienten. Der Angeklagte selbst sollte ursprünglich auch am Montag aussagen – aus terminlichen Gründen seines Verteidigers wurde seine Aussage aber vertagt. Ein neuer Termin ist hierfür noch nicht bekannt.
- Reporter vor Ort