Ermittlungen gegen fünf Beamte eingestellt Warum Verfahren gegen Polizisten ins Leere laufen

Nach einer rechtsextremen Demonstration im Januar in Aachen berichten Gegendemonstranten von Polizeigewalt. Gegen mehrere Beamte wird anschließend ermittelt – nun wurde das Verfahren eingestellt. Eine Expertin ordnet ein.
Eine Demonstration von etwa 150 Rechtsradikalen und Neonazis hat Aachen am 18. Januar dieses Jahres in Atem gehalten. Der Aufmarsch mobilisierte bis zu 9.000 Gegendemonstranten, von denen sich rund 1.000 Menschen vom Adalbertsteinweg bis zum Hauptbahnhof in den Weg stellten.
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Ein Großaufgebot der Polizei versuchte, das zu verhindern, trotzdem musste mehrmals die Route der Demonstration geändert werden. Dabei ging die Polizei mit Schlagstöcken hart gegen Gegendemonstranten vor – nach Angaben mehrerer Gegendemonstranten, die mit t-online sprachen, zu hart. Sie berichteten von gezielten Schlägen auf "Köpfe, Hände und Knie" und davon, dass sie am Adalbertsteinweg mit anderen Gegendemonstranten "ohne Ankündigung zusammengequetscht" worden seien. Besonders kritisierten sie das rabiate Vorgehen einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (kurz: BFE) – einer Spezialeinheit der Polizei für Einsätze bei Großveranstaltungen und Demonstrationen.
Die Polizei wies die Vorwürfe zurück und erklärte, dass die "Anwendung von Zwangsmitteln" erforderlich gewesen sei. Sie bestätigte t-online aber auch, dass ein Strafverfahren gegen Polizeivollzugsbeamte – zu denen die BFE zählt – wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet wurde. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, habe der Anzeigeerstatter angegeben, von "fünf Polizisten 'beim Vorbeigehen' nacheinander geschlagen" worden zu sein. Diese waren ihm zufolge vermummt.
Am 25. Juni wurde das Verfahren laut der Staatsanwaltschaft eingestellt. Als Begründung führte sie an, dass sich der "geschilderte Sachverhalt anhand der vorliegenden Einsatzberichte konkreten Beamten nicht habe zuordnen lassen". Ob es noch weitere Strafverfahren gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit der Demo gibt, werde derzeit geprüft.
Definition von übermäßiger Polizeigewalt schwierig: "Graubereich"
Dass Anzeigen oder Ermittlungen gegen Polizeibeamte ins Leere laufen, ist ein häufig zu beobachtendes Phänomen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge wurden im Jahr 2021 über 90 Prozent der Strafverfahren gegen Polizisten eingestellt. Nur bei zwei Prozent der Fälle kam es überhaupt zur Anklage. Warum das so ist, erklärt Juristin und Kriminologin Laila Abdul-Rahman.

Laila Abdul-Rahman
Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Frankfurt und promoviert dort mit den Forschungsschwerpunkten polizeiliche Gewaltanwendungen und Legitimitätswahrnehmungen. Mit weiteren Forschenden war sie am Projekt "Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen" beteiligt, für das mehr als 3300 Betroffene befragt und mehr als 60 qualitative Interviews mit Vertretern von Polizei, Rechtswesen und Opferberatungsstellen geführt wurden. Die Studie ist nicht repräsentativ.
Abdul-Rahman sagt, dass es grundsätzlich schwierig festzustellen sei, ab wann Polizeigewalt als "übermäßig" gilt. "Nicht jede Gewaltanwendung ist ja auch rechtswidrig", erklärt sie. Sie spricht von einem "Graubereich" bei der Bewertung von Gewalt – gerade bei dynamischen Situationen wie bei der Demo in Aachen, wo es oftmals "Beweisschwierigkeiten" gebe und Aussage gegen Aussage stehe. Und selbst wenn es Videobeweise gibt, seien diese meist "interpretationsbedürftig". Bei den Ermittlungen beteiligte Polizisten und Staatsanwälte würden nicht zwangsläufig zum selben Ergebnis kommen, so Abdul-Rahman.
Polizei ermittelt gegen sich selbst
Dazu komme, dass es zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei "natürlich eine institutionelle Nähe" gebe, sagt sie. "Die müssen einfach eng zusammenarbeiten. Da muss es auch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit geben." Dass ein gewisses Grundvertrauen zwischen ihnen besteht, sei naheliegend.
Kollegen würden daher "möglicherweise nicht immer so kritisch befragt oder vernommen, wie es vielleicht sein müsste", so Abduhl-Rahman. Polizisten wüssten aufgrund ihrer Erfahrung im Dienst auch, worauf sie rechtlich bei ihrer Aussage achten müssen, sagt sie.
Korpsgeist bremst Aufklärung
Zudem herrsche innerhalb der Polizei "großer Zusammenhalt", da man sich bei Einsätzen aufeinander verlassen müsse, sagt die Expertin. Man spreche von einem sogenannten Korpsgeist, der meint, dass man sich nach außen abgrenze, sich nicht kontrollieren lasse und sich gegenseitig schütze, egal welche Vorwürfe im Raum stünden, erklärt Abdul-Rahman.
Natürlich gebe es auch Personen in der Polizei, die auf Missstände hinweisen oder auch Kollegen anzeigen. Aber das sei mit einer "großen Hemmschwelle" verbunden, sagt sie. "Man überlegt sich das natürlich mehrfach, ob man jetzt wirklich Vorwürfe gegen Kollegen vorbringen will", sagt sie.
Fehlende Kennzeichnungspflicht verhindert Identifizierung von Beamten
Nach Abdul-Rahmans Einschätzung gibt es eine "hohe Dunkelziffer" an Betroffenen von Polizeigewalt. Nur 14 Prozent derer, die Polizeigewalt anzeigten, würden auch ein Verfahren bekommen, so das Ergebnis ihrer Studie. Auch Gegendemonstranten von der Neonazi-Demo sagten t-online, sie hätten – unter anderem aus Sorge vor Repressalien – nicht vor, Anzeige zu erstatten.
Laila Abdul-Rahman kritisiert außerdem die fehlende Kennzeichnungspflicht für Polizeiuniformen. Betroffene könnten deswegen oft nur Anzeige gegen Unbekannt erstatten. Verfahren würden eingestellt, weil "eben nicht identifiziert werden kann, wer handelt". Das zeigt sich auch beim Fall in Aachen, bei dem die Beamten letztlich nicht identifiziert werden konnten.
Unabhängige Ermittlungsstellen könnten helfen
Was müsste sonst noch verbessert werden? "Es sollte unabhängige Ermittlungsstellen geben", so Abdul-Rahman. Das sei zum Beispiel in Großbritannien und Dänemark der Fall. In Deutschland gebe es ähnliche Institutionen nur in wenigen Bundesländern. Und diese hätten "keine eigene Ermittlungskompetenz", man könne sich dort höchstens beschweren, sagt sie.
Um Polizeigewalt präventiv zu verhindern, müssten die Beamten auch besser mit den Demonstranten kommunizieren, meint Abdul-Rahman. In ihrer Studie hätten Betroffene bemängelt, nicht genügend über Anweisungen der Polizei informiert worden zu sein. Sie seien von Polizeigewalt betroffen gewesen, weil sie sich nicht rechtzeitig von Gefahrensituationen entfernen konnten.
Ein Einflussfaktor für übermäßige Gewalt sei auch Diskriminierung – Stichwort "Racial Profiling". Abdul-Rahman erläutert: "Rassismus und Stereotype beeinflussen natürlich Interaktionen."
Wie offen ist die Polizei für Veränderungen?
Ist die Polizei offen für Veränderungen? "Es gibt dort durchaus offene und kritische Stimmen, die gestärkt werden müssten", sagt Abdul-Rahman. Doch die Polizei sei "eher eine Institution, in der starke Schließungstendenzen und Rechtfertigungstendenzen zu sehen sind." Sie nennt als Beispiel die Polizeigewerkschaften, deren Aufgabe es sei, Kritik von außen abzuwehren.
Um Veränderungen anzustoßen, findet Abdul-Rahman, dass es bei der Polizei mehr Supervision geben müsse. "Man braucht einfach Reflexionsräume, um Stress und Negativerfahrungen aufzuarbeiten. Das setzt natürlich auch eine Führungs- und Organisationskultur voraus, die diejenigen stärkt, die auch Fehlverhalten oder strukturelle Missstände thematisieren", sagt sie. Dafür brauche es eine "gewisse Offenheit" – auch seitens der Politik.
- Interview mit Laila Abdul-Rahman
- Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Aachen
- Gespräch mit Gegendemonstranten
- Eigene Artikel